1918/1968 – Revolutionen (10): Einige Neuerscheinungen zu Revolution und Räterepublik

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Kundgebung am 7. November 1918 auf der Theresienwiese © BSB / Bildarchiv Hoffmann

Die 132. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema Aufbrüche. In unserer Journal-Reihe zu den Revolutionen 1918 und 1968 veröffentlichen wir hier einen Artikel von Hannes S. Macher, der einen kritischen Blick auf die jüngsten Bucherscheinungen zu Revolution und Räterepublik in München wirft.

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Am 8. November jährt sich zum 100. Mal die Gründung des Freistaates Bayern. Die SPD im Bayerischen Landtag wünscht sich deswegen einen arbeitsfreien Gedenktag, die CSU ist dagegen. Beiden Parteien könnte Volker Weidermanns literarisches Revolutionslesebuch Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen gewidmet sein. Denn es ist eine Hommage an die von Humanismus und Demokratie durchdrungenen Ideen der damaligen Revolution und vor allem ein kritisches Loblied auf die Revoluzzer um Kurt Eisner, die der Autor hier mit viel Sympathie als Träumer beschreibt.

Idealisten wäre vielleicht der passendere Titel gewesen, aber Träumer ist ja auch nicht ganz verkehrt. Denn idealistische Träumer waren sie ja alle, die Protagonisten der Revolution – trotz tiefgreifender ideologischer Unterschiede, mit visionären Ideen ausgestatte Umstürzler wie Kurt Eisner, Gustav Landauer, Ernst Toller, Erich Mühsam, Oskar Maria Graf und viele andere mehr: Politiker und Schriftsteller der Schwabinger Boheme an der Macht, die ihre umwälzenden Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit, Pazifismus und direkter Demokratie in die Tat umsetzen wollten, bis ihre Träume durch den Terror von ganz links und ganz rechts zunichte gemacht wurden.

Als Sympathisant und fiktiver Augenzeuge hat Volker Weidermann, Gastgeber des Literarischen Quartetts im ZDF, hier all die turbulenten Ereignisse zwischen November 1918 und Mai 1919 akribisch zusammengetragen und daraus eine wunderschöne feuilletonistische Blütenlese destilliert. Ein bayerischer Politik- und Geschichts-Thriller vom Spannendsten, zumal Weidermann auch all die Ereignisse nach Eisners Ermordung am 21. Februar 1919 durch Anton Graf Arco von Valley nicht ausspart, als der erste Ministerpräsident des Freistaates Bayern auf seinem Weg in den Landtag war, um nach der verlorenen Wahl mit lächerlichen 2,5 Prozent der abgegebenen Stimmen für sich und seine USPD-Partei seinen Rücktritt erklären wollte.

Zwei Räteregierungen waren die Folge und damit Chaos und Willkür programmiert, bis in den letzten April- und ersten Maitagen 1919 die Reichswehr, die Freikorps und die Weißen Truppen in München einmarschierten und in einem konterrevolutionären Exzess ein Blutbad anrichteten.

 

Soldaten an der Stelle des Attentats auf Kurt Eisner © BSB / Bildarchiv Hoffmann

 

All die Schriften, Reden, flammenden Aufrufe und Tagebucheintragungen, die Briefe, Notizen, die offiziellen Memoranden und privaten Mitteilungen der handelnden Politiker und vieler Augen- und Ohrenzeugen hat Weidermann zu einem literarisch-historischen Spaziergang zwischend der Residenz und den Bierkellern, den großbürgerlichen Boudoirs und den tristen Kasernenhöfen, zwischen den Hinterzimmern realer Bierwirtschaften und den feudalen Cafés der nun nicht mehr königlich-bayerischen, sondern freistaatlichen Landeshauptstadt gebündelt.

Zunächst die Umsturzstimmung in den letzten entbehrungsreichen und vom Tod Millionen gefallener Soldaten geprägten Kriegswochen. Dann die Massendemonstrationen im Januar 1918 zur sofortigen Beendigung des Krieges und die Ausrufung des Freistaates Bayern durch Kurt Eisner in der Nacht vom 7. auf den 8. November. Schließlich die Regierungsübernahme mit manch witzigen Begleiterscheinung von nicht immer sehr kompetenten Kabinettsmitgliedern.

Gradezu ruhelos wandert Weidermann auf den literarischen Spuren all der anderen Gewährsleute zwischen den unterschiedlichsten Schauplätzen der Geschehnisse hin und her: Thomas und Klaus Mann, ebenso wie Heinrich Mann, der nach Eisners Ermordung eine flammende Gedenkrede auf den Gründer des Freistaates Bayern gehalten hat, dazu Lion Feuchtwanger, Oskar Maria Graf, Hermann Hesse, Josef Hofmiller, Ricarda Huch, Klabund, Victor Klemperer, Annette Kolb, Rainer Maria Rilke, Oswald Spengler und zahlreiche Zeitgenossen werden zitiert, die das Revolutionsgeschehen entweder enthusiastisch zustimmend, skeptisch oder ablehnend beurteilen.

 

Umzug des Freikorps Werdenfels Anfang Mai 1919 © BSB / Bildarchiv Hoffmann

 

Zunächst überwiegt die Zustimmung zur Abschaffung der Monarchie sowie der kirchlichen Aufsicht über das Schulwesen und die Euphorie über die Einführung des Frauenwahlrechts, des Acht-Stunden-Arbeitstages und der Pressefreiheit ist schier grenzenlos. Eine Revolution ohne Blutvergießen. Wann in der Geschichte gab es das schon? Doch nach Eisners Tod verstärkt sich die Furcht vor einer totalen Umwertung aller Werte nach russischem Vorbild selbst bei den anfangs mit den revolutionären Ideen liebäugelnden oder gar enthusiastisch jubelnden Bürgerinnen und Bürgern.

Der Terror gegen »Abtrünnige« und von Denunzianten grundlos als Revolutionsgegner Verdächtigte nimmt unter der Räteregierung der kommunistischen Ideologen Max Levien und Eugen Leviné erschreckende Ausmaße an. Gefolgt von wilkürlichen Verhaftungen, Geiselmorden und Erschießungen nach dem Einmarsch der »Ordnungszelle Bayern« sind offiziell 557 Tote zu beklagen, die Schätzungen gehen von rund 1200 aus. Erich Mühsam vertraut im Zuchthaus Ebrach am 7. Mai 1919 (»Nachmittag 3/4 5 Uhr«) seinem Tagebuch resigniert an: »Das ist die Revolution, der ich entgegengejauchzt habe. Nach einem halben Jahr ein Bluttümpel: mir graut.«

 

 

Pech ist es allemal, wenn ein- und dasselbe aktuelle Thema von mehreren Autoren aufgegriffen wird und nur eines der gleichzeitig erschienenen Werke zum Verkaufserfolg wird. So ergeht es leider auch Ralf Höllers ebenso bestens recherchiertem, aber etwas trocken präsentierten Wintermärchen, das, gestützt auf die größtenteils auch von Weidermann verwendten Quellen, ebenfalls der Revolution 1918/19 in München nachspürt.

Höller schildert als Historiker die Chronologie der Ereignisse und gibt die Fakten authentisch wider, was als Dokumentation zwar hilfreich ist, aber an Weidermanns lebendige Schilderung der revolutionären Aufbruchsstimmung und des Verlaufs des Umsturzes leider nicht ganz heranreicht. Schade, zumal Höller in seiner kaleidoskopartig arrangierten Zusammenschau erfreulicherweise noch einige andere literarische Quellen als sein Bestseller-Konkurrent aufgespürt und ausgewertet hat und das Buch mit historischen Fotos ausgestattet ist.

 

 

Wer den Traum von einer besseren Welt und das »Märchen, das für ein paar Wochen Wirklichkeit geworden war« (Weidermann) nochintensiver auf sich wirken lassen möchte, für den hat der Audio Verlag das Träumer-Werk auf vier CDs verewigt. Axel Milberg ist der Erzähler, die Originaltexte der Dichter, Schriftsteller und der anderen Protagonisten lesen unter anderem Claudia Ebner, Alexander Duda und Thomas Loibl.

Noch vitaler und musikalisch geradezu subversiv ist freilich Hanns Wells 2:19 Stunden dauerndes Hörspiel Rotes Bayern. Ein Zusammenschnitt der schönsten und stärksten Revoluzzertexte, herrlich präsentiert von Johanna Bittenbinder, Gisela Schneeberger, Bernhard Butz, Gert Heidenreich und veredelt mit der aufrührerisch bekennenden Musi der Wellbappn. Ein grüabig-aufmüpfiger Hörgenuss.

 

   

 

Nach jahrelanger Recherche über die Vorgeschichte der Novemberrevolution legt Günther Gerstenberg zwei Dokumentationen vor, die kein positives Licht auf die damalige SPD sowie auf die Justzbehörden und die Gerichte werfen.

Die Streiks der Münchner Arbeiter in den Bayerischen Motoren- und Flugzeugwerken, vor allem jedoch die Aufstände der Arbeiterinnen in den Krupp'schen Geschützwerken, in der Zigarettenfabrik Austria, den Deckel'schen Präzisionswerken und anderen kriegswichtigen Produktionsbetrieben im Januar 1918 wertete Kurt Eisner als »noch viel würdiger« als diejenigen zehn Monate später. Denn »dann hätten wir noch einen Frieden haben können, in dem wir nicht auf Gnade und Ungnade dem Gegner ausgeliefert gewesen wären«, erinnerte er sich im Januar 1919.

Doch der Massenstreik, zu dem Eisner und die Gewerkschaften aufgerufen hatten und bei dem weit üner 8.000 kriegsmüde Arbeiterinnen und Arbeiter teilgenommen haben, wurde von der SPD-Führungsriege hintertrieben. Denn die Genossen der Mehrheits-SPD wollten ja keine »vaterlandslosen Gesellen« sein, weshalb sie 1917 nach harten internen Auseinandersetzungen und der Abspaltung der Unabhängigen Sozialdemokraten die Kriegskredite letztlich doch bewilligten. Und Massenstreiks zur Beendigung des Krieges waren für die Mehrheits-SPD so lange nicht opportun, bis auch die Arbeiterschaft in den anderen europäischen Ländern zum Generalstreik »Nieder mit den Waffen« bereit sei.

Die 16 »Rädelsführer« des Januarstreiks wurden »wegen Verbrechen des versuchten Landesverrats« verhaftet und verurteilt. Darunter natürlich Kurt Eisner (»Schriftsteller in München-Großhadern«), Ernst Toller (»Student und Schriftsteller«), die Schwestern Betty und Emelie Landauer (»Buchhalterinnen«) sowie Sarah Sonja Lerch, geb. Rabinowitz, die Cornelia Naumann im Sammelband Steckbriefe an die Seite von Rosa Luxemburg stellt und in Erst Tollers Drama Masse Mensch verewigt ist.

Gerstenberg hat mit dieser mit Fotos und Faksimiles reich ausgestatteten Dokumentation anhand von zahlreichen bisher unbekannten Polizeiunterlagen, Vernehmungsprotokollen der Jusitzbehörden und Gerichtsurteilen diesen Vorkämpferinnen und Vorkämpfern für die Gründung des demokratischen Freistaates Bayern im Jahre 1918 ein würdiges Denkmal geschaffen.

Sekundärliteratur:

Volker Weidermann: Träumer – Als die Dichter die Macht übernahmen. Kiepenheuer & Witsch: Köln 2017.

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Ralf Höller: Das Wintermärchen – Schriftsteller erzählen die bayerische Revolution und Münchner Räterepublik 1918/19. Edition Tiamat: Berlin 2017.

Zur Publikation

Hans Well: Rotes Bayern. Die Münchner Revolution 1918 und die Räterepublik 1919. Hörverlag: München 2018.

Zur Publikation

Günther Gerstenberg/Cornelia Naumann: Steckbriefe gegen Eisner, Kurt u. Genossen wegen Landesverrats. Edition AV: Berlin 2017.

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Günther Gerstenberg: Der kurze Traum vom Frieden. Ein Beitrag zur Vorgeschichte des Umsturzes in München 1918. Edition AV: Berlin 2018.

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