1918/1968 – Revolutionen (2): Ein Denkmal für Gustav Landauer

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Gustav Landauer in den 1890er Jahren

Die 132. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema Aufbrüche. Als Fortsetzung unserer neuen Blogreihe zu den Revolutionen 1918 und 1968 veröffentlichen wir hier die Rede, die Michael Stephan zur Einweihung des neu und wieder errichteten Denkmals für Gustav Landauer im Münchner Waldfriedhof hielt.

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„Jetzt gilt es noch andere Opfer anderer Art zu bringen, nicht heroische, sondern stille Opfer, um für das rechte Leben ein Beispiel zu geben.“

Dieses Zitat aus Gustav Landauers programmatischem Hauptwerk Aufbruch zum Sozialismus (1911) steht auf dem neuen, von der Landeshauptstadt München in Auftrag gegebenen und am 29. Juni 2017 im Waldfriedhof enthüllten Denkmal für diesen bedeutenden Kulturphilosophen und Publizisten. Landauer spielte in München in der kurzen Zeit der ersten Räterepublik vom 7. bis 13. April 1919 eine führende Rolle, wurde im Zuge der gewaltsamen Niederschlagung dieses politischen Experiments verhaftet und am 2. Mai 1919 im Gefängnis in Stadelheim auf brutalste Weise ermordet.

Der eindringliche Satz über die Opferbereitschaft stand bereits auf dem Gedenkstein an Landauers Grab, das sich ursprünglich nicht weit vom heutigen Denkmal befand (Alter Teil, Gräberfeld 95). Die wechselvolle Geschichte dieses Grabes ist auch ein Stück Münchner Zeitgeschichte.

Nach der Ermordung Landauers bemühte sich seine Tochter Charlotte, ebenso wie der langjährige Freund und literarische Testamentsvollstrecker Martin Buber (1878–1965), um eine würdige Grabstätte. Am 19. April 1922 bevollmächtigten sie den Münchner Stadtrat Fritz Weigel (er war Mitglied der USPD, bis 1924 im Stadtrat, dann zog er nach Berlin), die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen. Dieser kauft am 20. Februar 1923 eine Grabstelle im Waldfriedhof, beantragt aber zugleich am 28. Februar im Namen der „syndikalistischen Arbeiter-Förderation Deutschlands und Freunde Landauers“ Stundung der Kosten bzw. kostenlose Überlassung. Noch vor einer Entscheidung des Stadtrates erfolgte im Mai 1923 im Rahmen einer Gedenkfeier, an der auch Charlotte Landauer teilnahm, die Beisetzung der Urne in einem eigens dafür angefertigten Betonsockel auf der angekauften Grabstelle. Er hatte die schlichte Inschrift: „Hier ruht Gustav Landauer“. Am 25. September 1923 lehnte der Stadtrat die kostenlose Überlassung des Grabplatzes endgültig ab.

Schon im August war aber von den Initiatoren der Kaufpreis bezahlt worden mit einer Laufzeit von 15 Jahren bis zum 21. April 1938. Mittels Spendenaufrufen, dem Verkauf von Postkarten und gedruckten Sammelmarken der „Freien Arbeiter-Union Deutschlands“ in München sowie eines „Gustav-Landauer-Gedenkstein-Komitees“ gelang es schließlich, das am 26. Mai 1925 ein würdiges Grabdenkmal aufgestellt werden konnte (Entwurf: Johann Weigl). Dieser 5,30 Meter hohe Oberlisk aus Muschelkalk war mit einem schrägen offenen Schacht gestaltet; durch eine an der Spitze angebrachte blaue Glasscheibe wurde das von oben einfallende Licht gebrochen. Die Urne mit der Asche Gustav Landauers war vor der Aufstellung des Obelisken in den Betonsockel des Denkmals einbetoniert worden. Auf der Vorderseite des Denkmals stand das genannte Zitat sowie die Lebensdaten: „1870 Gustav Landauer 1919“. Auf der Rückseite stand: „Errichtet von der freien Arbeiterunion Deutschlands. Anarcho-Syndikalisten Arbeiterbörse München“.

 

Gustav Landauer mit Familie

 

In den folgenden Jahren konnten regelmäßig Anfang Mai Gedenkveranstaltungen an diesem Grabdenkmal stattfinden, bis die Nationalsozialisten im Jahr 1933 zu einer radikalen Maßnahme griffen. Der Münchner Stadtrat beschloss auf Antrag der Stadtratsfraktion der NSDAP in einer öffentlichen Sitzung am 22. Juni 1933, das Grab Landauers (so wie das des am 21. Februar 1919 ebenfalls ermordeten bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner am Ostfriedhof) „als erloschen“ zu erklären; „der Abbruch der Denkmäler und die Beseitigung der Aschen (nach den bestehenden Vorschriften) hat unverzüglich zu erfolgen.“ Die beiden Urnen mit der Asche von Gustav Landauer und Kurt Eisner wurden am 30. Juni der Israelitischen Kultusgemeinde übergeben, die sie dann im Neuen Israelitischen Friedhof an der Garchinger Straße in zwei Erdgräbern bestattete.

In dem im Stadtarchiv München liegenden Akt über das Grab findet sich ein interessantes anonymes Schreiben, das am 26. Juni 1933 bei der Münchner Stadtratsfraktion der NSDAP einging:

„Scheusale der Kultur!!
Ihr seid doch echte Idioten
lasst nicht einmal in Ruh die Toten
der Geist der Toten lebet fort
trotz brauner Pest u(nd) Nazimord!!
Der Geist der Toten
vom Münchener Ost- und Waldfriedhof!“

Im Sommer 1946 beschäftigte sich der Münchner Stadtrat mit der „Zu- und Aberkennung während der nationalsozialistischen Stadtverwaltung“, d.h. von Straßen- und Schulnamen sowie von Ehrengräbern. Hans Ludwig Held, der Beauftragte für Kultur, berichtete am 25. September 1946 in dieser Sache an Oberbürgermeister Karl Scharnagl:

„Die Gräber Gustav Landauers [am Waldfriedhof] sowie Kurt Eisners am Ostfriedhof sind aufgelassen. Die Gründe hierfür sind im Grabbuch nicht eingetragen. Ganz abgesehen von der politischen Einstellung der beiden genannten Männer handelt es sich selbstverständlich bei dem Verfahren der nationalsozialistischen Stadtverwaltung um den Ausdruck ihrer antisemitischen Gesinnung. Die Bedeutung Gustav Landauers als Schriftsteller steht außer Frage. Ihn verbanden mit München Freundschaften mit zahlreichen Männern und Frauen des Münchner Schrifttums, dazu kommt, dass er in München den mörderischen Kugeln seiner politischen Feinde erlag. Das Geschehen um Kurt Eisner braucht nicht erst geschildert zu werden, da die Ermordung des ersten bayerischen sozialistischen Ministerpräsidenten noch in der Erinnerung unserer Tage steht.“

Auf dem neuen jüdischen Friedhof besteht heute noch ein gemeinsames Grab von Kurt Eisner und Gustav Landauer. Auf dem Grabstein, angeblich ein Überrest des alten Denkmals vom Waldfriedhof, stehen schlicht nur beide Namen untereinander.

Den Anstoß für das neue Denkmal im Münchner Waldfriedhof gab die Anfang 2015 gestartete „Initiative zum Wiederaufbau eines Gedenksteins für Gustav Landauer“, zu der auch der Historiker Siegbert Wolf gehört, der seit 2008 eine Werkausgabe der Schriften Landauers herausgibt, mit bislang 13 Bänden. Zu den Unterstützern gehörte ebenfalls der Münchner Stadtrat Thomas Ranft.

Nach dem einstimmigen Beschluss des Münchner Stadtrats in seiner Vollversammlung im November 2015 wurde ein beschränkter Wettbewerb ohne gestalterische Vorgaben für Münchner Bildhauer und Steinmetzen ausgelobt. Eine Jury, bestehend aus Vertreterinnen und Vertretern der Stadtratsfraktionen sowie Fachjuroren der Städtischen Friedhöfe München und des Stadtarchivs, entschied dann im Frühjahr 2016 über die eingereichten Entwürfe: Zum Zuge kam die Vorlage von Markus Knittel, F. X. Rauch Grabmale (München).

 

Das neu und wieder errichtete Denkmal am Münchner Waldfriedhof © Michael Stephan

 

Das gelungene Ergebnis ist eine freistehende Stele mit mehr als 2,50 Meter Höhe. Als Material wurde gebürsteter Lavabasalt gewählt. Es symbolisiert mit seinem Weg vom Erdinnern zur Oberfläche die Beharrlichkeit, mit der sich Gustav Landauer lebenslang – trotz vieler Widerstände – für seine freiheitlichen Ideen und gesellschaftlichen Vorstellungen engagiert hat. Der Stein ist in der Mitte in zwei Hälften gespalten, um dem Betrachter den gewaltsamen Tod Landauers im Zuge der Niederschlagung der bayerischen Revolution im Frühjahr 1919 plastisch vor Augen zu führen. Die beiden Stelenhälften sind – als Reminiszenz an das ursprüngliche Denkmal – durch eine blaue Glasplatte verbunden, die mit Glaspulver bestrahlt wurde. In diese Platte ist die vormalige Grabinschrift, das eingangs genannte Zitat, eingraviert.

Gustav Landauer steht für ein anderes Bayern, ein anderes Deutschland, ein Deutschland des Friedens, der Freiheit und der kulturellen Verständigung. Zu Recht ehrt die Landeshauptstadt München Gustav Landauer mit diesem neuen, wieder errichteten Denkmal.

 

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Dr. Michael Stephan, 1954 in Stuttgart geboren, aufgewachsen in München und hier lebend; Leiter des Stadtarchivs München; dort Herausgeber der Stadtviertelreihe Zeitreise ins alte München und Autor des Bandes über Schwabing (2015); Mitherausgeber der Reihe Miscellanea Bavarica Monacensia. Viele stadtgeschichtliche Vorträge und Publikationen; einer der Schwerpunkte ist die literarische Szene Münchens (u.a. Franz von Pocci, Henrik Ibsen, Thomas Mann, Georg Queri, Max Halbe und Josef Ruederer). Vorsitzender des Historischen Vereins von Oberbayern; Vorstandsmitglied des Kulturforums der Sozialdemokratie in München und der Franz-Graf-von-Pocci-Gesellschaft; Mitglied der Deutschen Schillergesellschaft und der „Saubande“, dem Freundeskreis des Valentin-Karlstadt-Musäums.

Die Rede, die Michael Stephan bei der Enthüllung des neuen Grabsteins für Gustav Landauer im Waldfriedhof am 29. Juni 2017 hielt, wird abgedruckt im Turmschreiber Jahrbuch 1919, das im Herbst 2018 im Volk Verlag München erscheint.

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