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14.11.2018, 17:13 Uhr
Monacensia im Hildebrandhaus
Dichtung ist Revolution
Ein bebilderter Blog von Laura Mokrohs und Barbara Yelin. Redaktion: Sylvia Schütz / Monacensia im Hildebrandhaus

Dichtung ist Revolution (2): 15. November 1918 – Ernst Toller und Gustav Landauer treffen in München ein

Im November 1918 wird die Wittelsbacher Monarchie gestürzt, der Schriftsteller und Revolutionär Kurt Eisner ruft in München den „Freistaat Bayern“ aus. Zum 100. Jubiläum von Revolution und Rätezeit zeigt die Monacensia im Hildebrandhaus die Ausstellung „Dichtung ist Revolution“. Kuratorin Laura Mokrohs und Zeichnerin Barbara Yelin erzählen begleitend in zehn Episoden in Text und Bild von den Überzeugungen, Ideen und Taten der revolutionären Schriftsteller Kurt Eisner, Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller.

 

Am 15. November 1918 treffen – durch Zufall am gleichen Tag – Ernst Toller und Gustav Landauer zur Unterstützung der Revolution in München ein. Sie haben Hoffnung, hier den Frieden und ein menschlicheres Zusammenleben verwirklichen zu können. Toller schickte bereits am 11. November 1918 ein Telegramm an Kurt Eisner, um seine Mitarbeit anzubieten:

ein hoch der freien republik bayern. nach intensiver arbeit in berlin schwer erkrankt. hoffe ich ende der woche nach münchen abfahren zu können. stelle mich ihnen zur verfügung. soll ich unterwegs aufträge ausführen [?]

Der junge Toller, zu diesem Zeitpunkt knapp 25 Jahre alt, will sich sofort in den Dienst der Revolution stellen. Erst aber hindert ihn die spanische Grippe, er liegt krank bei seiner Mutter in Landsberg an der Warthe.

Die europaweite Grippepandemie erreichte in den letzten Kriegsmonaten ihren Höhepunkt und kostete unzählige Menschenleben, wurde in der zeitgenössischen Presse aber kaum beachtet. Umso sehnlicher erwarteten die Menschen das Kriegsende und die Bereitschaft zum revolutionären Umsturz wuchs. Auch bei Toller ist die Begeisterung für die Ziele der Revolution im Herbst 1918 nicht neu. 1914 als junger Student war er noch mit Begeisterung in den Krieg gezogen. Dazu bewog ihn nicht zuletzt die Hoffnung, die von klein auf wegen seiner jüdischen Herkunft empfundene Ausgrenzung durch den Einsatz für die Heimat überwinden zu können. Schon 1916 kehrte er jedoch zum Kriegsgegner gewandelt, körperlich und seelisch angeschlagen, zurück. Ab da engagierte er sich gegen den Krieg. Kurzzeitig studierte er in München, wo er im Kreis um den Theaterwissenschaftler Artur Kutscher Kontakte in die literarische Szene knüpfte. Ende 1917 ging er nach Heidelberg und schloss sich einer pazifistischen Studentengruppe an, mit der er einen Aufruf gegen die Kriegspolitik der Deutschen Vaterlandspartei verfasste. Gemeinsam mit „Studenten in fremden Ländern, die gegen die unfaßbare Sinnlosigkeit und Entsetzlichkeit der Kriege, sowie gegen jegliche Militarisierung überhaupt schon jetzt protestieren“ wollten sie alle „Teilnahmslosen“ „[a]ufrütteln“ und alle „Gleichgesinnten“ sammeln. Ende November 1917 gründete Toller seinen eigenen Kulturpolitischen Bund der Jugend in Deutschland, mit dem er junge Menschen zur „politischen Aktivität führen“ wollte, wie er in seinen „Leitsätzen“ ausführte:

Der Bund ist eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten und Gleichgewillten. Wir wollen Führer sein, indem wir schreiten. Die Gesamtheit entflammen, indem wir brennen. Beherrscht vom Willen zum Umpflügen des Bodens, auf dem wir nicht länger gewillt sind, herumzustolpern. Beherrscht von der uns einenden Idee wahrhaftigen Geistes. [...] Durch Liebe die Keime von Schutt und Fäulnis zu befreien, sei unsere Aufgabe. Auf daß jeder seinen Wirkungskreis umgestalte in schöpferische, geisterfüllte Wirklichkeit und wir gelangen zu einer Gemeinschaft.

Die Aufrufe schickte Toller an verschiedene Intellektuelle, auch an Kurt Eisner, den er um seine persönliche Meinung bat. Wenig später trafen die beiden sich in Berlin. Dort sprach Toller im Dezember 1917 bei einer Versammlung mit dem Motto „Arbeiter der Stirn und der Faust vereinigt Euch“. Somit war der Grundstein für ihre Zusammenarbeit gelegt. Als Eisner im Januar 1918 gemeinsam mit Sarah Sonja Lerch und jungen USPD-Leuten in den Münchner Munitionsfabriken zum Streik mobilisierte, schloss Toller sich an. Er besuchte Eisners Versammlungen im Goldenen Anker, lernte Oskar Maria Graf kennen und sprach auf der Theresienwiese zu den streikenden Arbeitern. Nach den Streiks wurde Eisner wegen „Landesverrates“ verhaftet. Bei Toller wurden von ihm mitverfasste Flugblätter beschlagnahmt, mit denen unter anderem die Freilassung Eisners gefordert wurde. Sie zeigen deutliche Parallelen zu Tollers Drama Die Wandlung, an dem er gerade schrieb.

Ausschnitte aus der frühen Fassung des Dramas und Gedichte aus der Zeit schickte Toller auch an Gustav Landauer, dessen Buch Aufruf zum Sozialismus mit der Idee vom freien Zusammenleben in Bünden ihn zweifelsfrei beeinflusst hatte. Er schrieb an Landauer:

Was ich tue, tue ich nicht aus Not allein, nicht aus Leid am häßlichen Alltagsgeschehen allein, nicht aus Empörung über politische und wirtschaftliche Ordnung allein, das alles sind Gründe, aber nicht die einzigen. [...]. Ich will das Lebendige durchdringen, in welcher Gestalt es sich auch immer zeigt, ich will es mit Liebe umpflügen, aber ich will auch das Erstarrte, wenn es sein muß, umstürzen, um des Geistes willen. Ich will, daß niemand Einsatz des Lebens fordert, wenn er nicht selbst von sich weiß, daß er sein Leben einzusetzen willens ist, daß er es einsetzen wird.

In den Tagen nach der Revolution im November 1918 in München treffen sie sich wieder.

Auch Landauer lag Anfang November 1918 mit Grippe im Bett, zu Hause im schwäbischen Krumbach. Dorthin war er mit seiner Frau Hedwig Lachmann und den Kindern im Mai 1917 gezogen, „um in dieser abnormen Zeit natürlich und gedeihlich leben und arbeiten zu können“. Sie wohnten in einem Haus unmittelbar neben der Synagoge. Schon 1914 waren die beiden konsequenten Antimilitaristen schockiert über den Kriegstaumel vieler anderer Intellektueller, darunter auch einiger ihrer Freunde. Schreibend kämpfte das Paar gegen den Krieg an, bis im Februar 1918 der plötzliche Tod Hedwig Lachmanns durch eine schwere Lungenentzündung Landauer völlig aus der Bahn warf.

Gerade wegen ihres Todes fühlte er sich verpflichtet, in der Revolution in München aktiv zu werden. In einem Brief schreibt er:

Ich bin der Alte, aber die Zeit will neu werden, und dessen freue ich mich von Herzen und helfe ihr, mit der rechten und mit der linken Hand, mit meinen letzten Kräften, wo ich kann. Ich möchte wissen, auf was ich noch warten sollte, um mich zu verbrauchen.

Zuerst muss er noch seine Genesung abwarten: „Ich bin noch Rekonvalezent; brauche dringend noch ein paar Tage Schonung. Dann sofort nach München, wohin Eisner mich berufen hat.“

Am 14. November schreibt Eisner ihm: „Kommen Sie, sobald es Ihre Gesundheit erlaubt. Was ich von Ihnen möchte, ist, daß Sie durch rednerische Betätigung an der Umbildung der Seelen mitarbeiten.“ Noch von Krumbach aus berichtet Landauer seiner Tochter über seine Ahnung von den Schwierigkeiten der kommenden Wochen und Monate:

Wir haben eine ungeheure Aufgabe, die dadurch noch schwerer gemacht ist, dass nach all den Qualen, die den Menschen die Ausdauer genommen haben, der Sieg über die alten Mächte so spielend leicht war. So stehen wir vor der größten Wandlung, ohne dass die meisten innerlich bereitet und gewandelt sind.

Noch kritischer schreibt er an die Freundin Auguste Hauschner am 15. November, dass sich für ihn „noch absolut gar nichts in der Welt geändert“ habe und lediglich die „Möglichkeit zur Änderung“ da sei. Von der erfolgten Revolution alleine verspräche er sich noch gar nichts; was einsetzen müsse und was sein Wirken der nächsten Zeit sein werde, ist ein wirklicher Wandel in den Menschen und das Abschaffen der alten Ordnung des „Tote[n] und Vermoderte[n]“. Da „das Herz“ ihn nach München zieht, ist es am 15. November 1918  so weit, dass er den Zug nehmen kann und, in München angekommen, im Hotel Wolff direkt am Hauptbahnhof absteigt.

Klar ist ihm, dass der revolutionäre Umsturz nur der erste Schritt gewesen sein kann und es jetzt vor allem gilt, die Menschen zu erreichen. Neben der Verwirklichung des Rätegedankens erhofft er sich die Umsetzung seiner Siedlungsidee. Gemeinschaft soll sich auf Basis des eigenen freien Willens entwickeln und nicht durch gesellschaftliche Normen erzwungen werde. An die Stelle des Staates sollen autonome Zusammenschlüsse treten. In München angekommen arbeitet er in „engstem Einvernehmen“ mit Eisner zusammen, den er besonders vor der Gefahr verfrühter Wahlen warnt.

 

 

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-> Weiter geht es am 30. November mit „Dichtung ist Revolution“ Folge 3

-> Zur letzten Folge 1

 

Quellen der Zitate:

Ernst Toller an Kurt Eisner, 11.11.1918. Brief Nr. 21. In: Martin Gerstenbräun, Stefan Neuhaus, Gerhard Scholz, Veronika Schuchter, Irene Zanol (Hg.): Ernst Toller. Briefe 1915-1939. Digitale Ausgabe. URL: http://tolleredition.de/, 2017.

Ernst Toller: Aufruf [gegen die Deutsche Vaterlandspartei]. In: Sämtliche Werke. Bd. 4.1, 2015, S. 170.

Ernst Toller: Leitsätze für einen kulturpolitischen Bund der deutschen Jugend. In: Sämtliche Werke. Bd. 4.1, 2015, S. 171-174.

Ernst Toller an Gustav Landauer, 20.12.1917. Brief Nr. 14. In: Martin Gerstenbräun, Stefan Neuhaus, Gerhard Scholz, Veronika Schuchter, Irene Zanol (Hg.): Ernst Toller. Briefe 1915-1939. Digitale Ausgabe. URL: http://tolleredition.de/, 2017.

Gustav Landauer an Max Nettlau, 5.1.1919 In: Gustav Landauer. Sein Lebensgang in Briefen. Bd. 2. Hg. v. Martin Buber. Frankfurt am Main 1929, S. 350.

Gustav Landauer an Leo Kestenberg, 12.11.1918. In: Gustav Landauer. Sein Lebensgang in Briefen. Bd. 2. Hg. v. Martin Buber. Frankfurt am Main 1929, S. 295.

Kurt Eisner an Gustav Landauer, 14.11.1918. In: Gustav Landauer. Sein Lebensgang in Briefen. Bd. 2. Hg. v. Martin Buber. Frankfurt am Main 1929, S. 296.

Gustav Landauer  an Gudula Landauer, 13.11.1918. In: Gustav Landauer. Sein Lebensgang in Briefen. Bd. 2. Hg. v. Martin Buber. Frankfurt am Main 1929, S. 295.

Gustav Landauer an Auguste Hauschner, 15.11.1918. In: Gustav Landauer. Sein Lebensgang in Briefen. Bd. 2. Hg. v. Martin Buber. Frankfurt am Main 1929, S. 297.

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