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08.11.2018, 12:25 Uhr
Gerd Holzheimer
Revolutionen 1918/1968
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Gerd Holzheimer © Volker Derlath

1918/1968 – Revolutionen (6): Gustav Regler – Ein Leben voller Aufbrüche

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Gustav Regler (rechts) 1937 als Interbrigadist im Spanischen Bürgerkrieg mit Ernest Hemingway (Mitte) und Ilya Ehrenburg (links). © Gustav-Regler-Archiv, Merzing

Die 132. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema Aufbrüche. In unserer Journal-Reihe zu den Revolutionen 1918 und 1968 veröffentlichen wir hier einen Artikel von Herausgeber Gerd Holzheimer über Gustav Regler, einen der weniger bekannten literarischen Chronisten der Räterepublik in München.

*

Zu den weniger bekannten, jedoch mitnichten weniger interessanten Figuren der Münchner Räterepublik zählt Gustav Regler (1898–1963). Klaus Hübner bezeichnet Regler in den Schweizer Monatsheften vom März 1987 schon in der Überschrift seines Beitrages als: Katholik, Kommunist, Kalter Krieger. Dahinter steht ein wahrhaft bewegtes Leben. Moskau, Paris, Madrid, Mexiko sind nur einige seiner Stationen, in Neu Delhi stirbt er kurz vor seinem Besuch bei Pandit Nehru. Mit Marieluise Vogeler, Tochter des Malers Heinrich Vogeler, war er verheiratet. Die Münchner Räterepublik hat er miterlebt und wäre dabei beinahe ums Leben gekommen, im Spanischen Bürgerkrieg hat er mitgekämpft – 1942 erfolgt sein offizieller Austritt aus der KPD.

Im Deutschen Theater hatte Gustav Regler Eisner sprechen hören, ohne an diesem Abend überhaupt zu wissen, das es sich dabei um den bayerischen Ministerpräsidenten handelt – es ist der Tag, bevor Eisner einem Attentat zum Opfer fällt: »Kriege enden immer mit Niederlagen von uns allen. Es ist mehr Haß in den Friedensverträgen als in den Kriegserklärungen. Rache ist dummer Haß. Aufgezwungene Vergeltung schafft neue Bitterkeit und neue Kriege. Und dazu sprechen alle, als wenn sie wüßten, wer den Krieg vom Zaun gebrochen hat. Um aber das herauszufinden, müßten die Akten sämtlicher Ministerien der Welt geöffnet werden. Wir wollen unsere Aktenschränke öffnen! Einer muß anfangen. Wir sind alle schuldig und das sage ich, der im Gefängnis saß, weil er diesem Kriegstreiben nicht länger zusehen konnte!«

Eisner lässt sich auch durch Zwischenrufe nicht rausbringen, ruhig fährt er fort: »Ich klage niemand an. (...) Die Zeit ist für Versöhnung. Die Zeit ist für Güte. (...) Nur noch aufbauen!« Am anderen Tag spaziert Regler durch München, um sich die Stadt anzuschauen: »Die Türme der Frauenkirche hoben sich betont in den blauen Himmel; die Stadt hatte schon etwas vom Licht Italiens. ›Extrablatt!‹ schrie es nun dicht neben mir. ›Ich braue kein Extrablatt‹, sagte ich gut gelaunt in den Morgen hinein. (...) Da hielt der Junge mir eines der Blätter vor die Augen. Ich las, daß der Ministerpräsident Kurt Eisner auf dem Weg zum Landtag von irgendeinem Grafen erschossen worden sei.«

Gustav Regler beschreibt seine Erlebnisse nach dem Ende der Räterepublik: »Ich wurde in der Königinstraße verhaftet, es war entwürdigend, weil es dumm war; die Soldaten bestanden nicht einmal auf einer Leibesvisitation; ich hatte lange Haare – das genügte als Indiz. Aus dem nahen Garten hörte man die Schüsse der Hinrichtungen. Ich stolperte, von Gewehrkolben gestoßen, bis zur nächsten Ecke, wo ich zu meinem Erstaunen einen ganzen Haufen Gefangener antraf.«

Wie durch ein Wunder kann Regler entkommen. Ein Wagen schleudert auf den Bürgersteig, erfasst die Wachen, ein letzter Soldat wirft erschrocken sein Gewehr weg. Regler »setzte über die kleine Mauer, die mich vom Englischen Garten trennte, uns stand vor einem schmalen, aber wasserreichen Bach. Ich watete hindurch und klomm das moosbewachsene Ufer hinauf. Verblüfft blieb ich oben stehen. Der Frühling, o mein Gott, das war der Frühling! Grüne Wiesen weit und breit. Schlüsselblumen, Vergißmeinnicht, Flaum von Blättern an den Bäumen. Stille, auf leichtem Wind treibend.«

Freilich tritt ihm ein Mann in den Weg mit der freundlichen Mitteilung: »Hier werden Sie erschossen!« Regler schaut an dem Mann vorbei, »hinauf zu dem kleinen Tempel griechischen Stils«, dort werden Männer aufgestellt, »es ging sehr rasch. Eine Salve bellte, man sah Pulverdampf, man sah die Schützen nicht, aber die aufgestellten Männer fielen von den griechischen Säulen nieder wie die Zinnsoldaten. Die Detonationen waren kurz wie die von Auspuffgasen eines Autos. Siebenmal puffte es.«

Auch Strasser, ein Freund Reglers, wird vorbeigeführt – er sucht ihn kurze Zeit später auf dem Friedhof unter den Toten, doch hat Strasser kein Gesicht mehr. »Ich starrte hilflos auf den Stumpen, der aus dem Ärmel herausrutschte, und fühlte mich taub, als wäre ich ein Tier, das zuviel geschlagen worden war. Das war Teufelswerk! Ich fand, daß man zuviel von mir verlangte.« Der Totengräber kommentiert die grausige Szenerie so: »Es sind Rote und Weiße; wir haben alles zusammengeworfen; bleibt sich ja auch gleich.« Regler verlässt die Stadt.

 

Parade des Freikorps Faupel-Görlitz, 6. Mai 1919 am Odeonsplatz © Bayerische Staatsbibliothek/Hoffmann

 

In der Publikation Begegnung mit Gustav Regler in der Edition des VS Saar wird seine Suche nach dem idealen Herrscher beschrieben, eine mindestens schon seit Plato existierende Suchbewegung. Beschrieben in einer Art von Gleichnis, die Moses und Aaron vereint: »den Herrschenden und den Liebenden, den Ordner und den Anarchisten, Moses, der das Volk verachtet, Aaron, der es liebt.«

»Wer über das innere und äußere Chaos dieses Jahrhunderts unterrichtet sein will und gern gute Prosa liest, der notiere sich auf seiner Lektüreliste auch den Namen Gustav Regler!«, so empfiehlt es uns Klaub Hübner und berichtet vom 1987 neuerwachten Interesse an Gustav Regler. Genau zwanzig Jahre später versuchte ich in meiner Reihe Literarischer Herbst in Weßling unweit des Grabes seines Sohnes Dieter in einer Veranstaltung an ihn zu erinnern. Im Gelehrtenhaushalt Smolka am Weßlinger Pfarrhaus gingen illustre Gäste aus und ein: Wilhelm Hausenstein gehörte dazu, und eben auch Gustav Regler.

Seine erste Frau, Lotte Regler, mit der er den Sohn Dieter hatte, verfügte, krebskrank geworden, nach dem Ende ihrer zweiten Ehe, dass sie ihren Sohn Dieter nach ihrem Tod der Familie von Dr. Smolka als Pflegeeltern »zukommen« lassen wollte. Diese waren völlig überrascht, da nur eine nachbarschaftliche Nähe zunächst in Berlin bestanden hatte. Dennoch nahmen sie Dieter 1941 in ihre große Familie auf, in ihrem Heim in Weßling. Doch wurde er schon ein halbes Jahr später zum Arbeits- und Militärdienst eingezogen, wo er erkrankte und von den Ärzten fälschlicherweise gegen Angina behandelt wurde. Tatsächlich hatte er Diphtherie, woran er 1942 starb.

 

 

Gustav Regler 1944 in Mexiko © Gustav-Regler-Archiv, Merzing // Seine Erlebnisse im Exil seit 1940 verarbeitete er in Vulkanisches Land (1947).

 

Gustav Regler übernahm seinerseits 1950 die Patenschaft für Anselm Smolka, den jüngsten Spross der Familie. In einem Brief aus Cuernavaca/Morerols, Mexiko, von einer »Fahrt zu den Kuesten des Pazifischen Ozeans«: »Waehrend Palmwedel uns umschlossen und Ibisse sich sanft abstiessen von Dschungelfelsen, traeumten wir, wieder dort im Haus am See zu sein.« Mit dem »Haus am See« ist der alte Pfarrhof in Weßling gemeint, den er vom Pazifik aus grüßt – gleichwohl zeigt er sich zunächst skeptisch über seine »geistige Vaterstelle«, die er als Pate des kleinen Anselm Smolka einnehmen soll, und will nicht versprechen, sich selbst »zum kritiklosen Glied der ecclesia militans« machen zu können.

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