Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (12): „Mir ist überall wohl, wo ich Menschen treffe“

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© Literaturhaus München

Die 128. Ausgabe der Literatur in Bayern (Allitera Verlag, München) widmet ihren Schwerpunkt dem selbsternannten „Provinzschriftsteller“, geschichtenerzählenden Revolutionär und international erfolgreichen Autor Oskar Maria Graf aus Berg am Starnberger See. Die Autorinnen und Autoren beleuchten unterschiedliche Facetten des widersprüchlichen Dichters, dessen Tod im Exil in New York sich 2017 zum 50. Mal jährt. Laura Mokrohs und Karolina Kühn, Kuratorinnen der aktuell stattfindenden Ausstellung im Literaturhaus (2. Juni bis 5. November 2017), haben sich eingehend mit der Exilzeit des Autors beschäftigt.

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Die Ausstellung Oskar Maria Graf: Rebell, Weltbürger, Erzähler blickt auf das Leben und Schreiben des bayrischen Weltliteraten in den Jahren des Exils. Oskar Maria Graf begegnet uns als ein im Innersten politischer Mensch, der sich jenseits jeder Ideologie behauptet. Seinen Platz findet der große Erzähler immer wieder am Schreibtisch, schreibend will auf die Welt einwirken. Seine langjährige Staatenlosigkeit und stets kritische Haltung zu Konzepten wie „Heimat“ oder „Nation“ sind gerade vor dem Hintergrund der heutigen weltpolitischen Lage von großer Aktualität.

Oskar Maria Graf sieht sich 1933 in der Pflicht, politisch Stellung zu beziehen. Hatte er Anfang der Dreißigerjahre noch mit dem Image des „Provinzschriftstellers“ gespielt, muss er nun eine Vereinnahmung durch die ideologisch geprägte Heimatliteratur fürchten. Als er seine Bücher nicht auf den Schwarzen Listen der Nationalsozialisten findet, veröffentlicht er von Wien aus den Protestbrief „Verbrennt mich!“. Damit wird eine Rückkehr nach Deutschland unmöglich.

Gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin Mirjam Sachs lebt er ab Februar 1933 in Wien. Hier hält er so viele Vorträge wie noch nie, liest aus seinen Werken und reagiert unmittelbar auf die politischen Ereignisse. Als sich jedoch auch in Österreich das Vorgehen gegen die Arbeiterbewegung verschärft, zieht das Paar Anfang 1934 weiter nach Brünn.

In den Jahren des Exils kommen Oskar Maria Graf seine engen Kontakte zu internationalen Schriftstellern und Intellektuellen wie Ernst Toller oder Klaus Mann zugute. Die Schriftsteller vernetzen sich nicht nur für die Organisation des Widerstands – sie unterstützen sich auch bei ganz praktischen Fragen, wie Passangelegenheiten oder Reiseplanung. 1938 bekommen Oskar Maria Graf und Mirjam Sachs die für die Einreise in die USA notwendigen Bürgschaften.

In New York wird Graf Präsident der German American Writers Association, neben der politischen Arbeit verschafft er hier zahlreichen verfolgten Freunden und Kollegen Visa. Mit Mirjam Sachs bezieht er eine kleine Wohnung in einem Wohnblock in Washington Heights, einer Gegend, in der viele deutsche Emigranten leben. Sie findet bald Arbeit in der Redaktion der Zeitschrift Aufbau; er richtet sich zu Hause am Schreibtisch ein. An der Wand vor sich versammelt er Einflüsse und Erinnerungen, zentral hängt ein Bild seiner Mutter. Graf arbeitet nun wieder an seinem schon in Brünn begonnenen autobiografischen Roman Das Leben meiner Mutter. Er stützt sich hierfür auf frühere Recherchen zur Berger Familienhistorie und befragt brieflich seine Geschwister. Das Buch, das sein Hauptwerk werden soll, erscheint 1940 zunächst nur als Übersetzung unter dem Titel Life of my mother.

1943 gründet Oskar Maria Graf seinen bei Emigranten berühmten Stammtisch. In Lederhosen zieht er durch die deutschen Wirtshäuser New Yorks und verweigert sich beharrlich der englischen Sprache:

„Ich merke, wie unsagbar ich in der deutschen Sprache gefangen bin, ich kann doch wirklich die Deutschen nicht leiden, […] – aber die Sprache ist geradezu mein Schicksal, mein Segen und mein Fluch!!“1

Die wöchentliche Geselligkeit wird ein wichtiger Bezugspunkt seines New Yorker Lebens. Auch sein Schreiben lebt von Anekdoten und dem mündlichen Erzählen. Obwohl Graf dem bayrischen Lebensgestus verhaftet bleibt, ist er fasziniert von der Internationalität New Yorks.

„Ich war zu keiner Zeit Patriot, und ein Nationalist schon überhaupt nie. [...], aber ich liebe New York, weil es jene Wunschstadt ist, die ich immer gesucht habe: im Kleinen ein Abbild in Frieden vereinigter Nationen.“2

Dennoch – in den USA gilt er als Kommunist, wird ab 1943 vom FBI überwacht und muss lange auf die Staatsbürgerschaft warten. Trotz einiger Vortragsreisen und einer Leserschaft unter den deutschen Emigranten kann Oskar Maria Graf mit seinem Schreiben in New York kaum verdienen, den Lebensunterhalt bestreitet hauptsächlich Mirjam Sachs. Mit dem Kriegsende 1945 beginnt er die Exilsituation als Diaspora, einen Schwebezustand des Provisorischen, zu beschreiben.

1958 erhalten Oskar Maria und Mirjam Graf, die inzwischen verheiratet sind, die amerikanische Staatsbürgerschaft und können wieder frei reisen. Bei seinem ersten Besuch in München 1958 freut Graf sich über die Treffen mit Freunden und beobachtet andererseits mit Abscheu, wie sich die Eliten der NS-Zeit halten können.

Er überlegt, nach Europa zurückzugehen, denkt dabei an München, Berlin, London oder Ascona. Tatsächlich hat er sich jedoch in New York eingewöhnt – hier wird er bis an sein Lebensende bleiben. Heimat ist für ihn nicht an das Konzept der Nation gebunden, sondern findet sich in der Landschaft, unter Freunden und in der Sprache.

„Heimat ist Sprache (seltsam, dass man statt Muttersprache und Mutterlaut nicht Vatersprache und Vaterlaut sagen kann!) und ein ererbter unverlierbarer Lebensgestus.“3

 

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[1] Oskar Maria Graf an Gisela Blauner, 11. September 1960 (Münchner Stadtbibliothek / Monacensia, OMG 199).

[2] Oskar Maria Graf: Was mich abhält, nach Deutschland zurückzukehren In: Reden und Aufsätze aus dem Exil. Hrsg. v. Helmut F. Pfanner. München 1989, S. 377.

[3] Ebd.

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Daten zur Ausstellung

Eine Ausstellung des Literaturhauses München in Kooperation mit der Bayerischen Staatsbibliothek und der Monacensia

Leitung Literaturhaus: Tanja Graf

Kuratorinnen: Laura Mokrohs und Karolina Kühn

Gestaltung und Szenografie: unodue{ münchen

Kulturpartner: Bayerischer Rundfunk

 

 

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