Oskar Maria Graf in Berg II

Mit Das Leben meiner Mutter (1946) gibt Oskar Maria Graf nicht nur ein eindrucksvolles Porträt seiner Mutter, er erzählt auch eine Geschichte der bayerischen Volkskultur, die beschreibt, wie es auf dem Land zuging in der Zeit von 1857 bis 1934. Das harte Leben, insbesondere für die Mutter des vielköpfigen Hauswesens, schildert Graf äußerlich unspektakulär; gleichwohl wird durch die Gestalt der Therese Heimrath das Verhalten einer Person charakterisiert, die durch ihre Selbstlosigkeit und ihr Arbeitsethos dem geborenen Städter ungewöhnlich erscheinen muss. Bei einem Fest in Berg am Starnberger See scheint Fremde und Einheimische dagegen nichts zu trennen:

Es war ein märchenhaftes Fest, das nicht nur den Landleuten, sondern auch den herbeigeströmten fremden Gästen auf Jahre hinaus unvergesslich blieb. Das wunderbar milde Wetter trug viel dazu bei. Die warme Spätsommerluft hatte einen zärtlich fächelnden Hauch von berückender Reife, die schon den nahenden Herbst verriet. Sie war von keinem Wind bewegt, sie schwamm nur, gleichsam seidenweich, zwischen Himmel und Erde. Alles Sichtbare schien selig zu lächeln: der wolkenlose zartblaue Himmel, die weithin strahlende Sonne und die lieblich gewellte Landschaft, die sich auf der glatten Seefläche traumhaft schön widerspiegelten, das bunte Gemisch der vielen Menschen – Fremde aus aller Herren Länder, sonntäglich gekleidete Einheimische, weiße Kinderzüge mit Blumensträußen und musizierende Veteranenvereine, die brechend vollen, tief gehenden Dampfschiffe und die unzähligen Ruder- und Segelboote, die schon vom frühen Morgen ab aus allen Richtungen daherfuhren und sich in weitem Abstand vor den Gestaden von Berg und Leoni sammelten. Ein ununterbrochenes jubelndes Singen und Klingen erfüllte den Tag. Wenn der Gesang oder eine Musikkapelle an einer Stelle abbrachen, fingen sie woanders an. Es war, als töne das ganze See-Rund, als jauchze die festliche Landschaft heiter zum Himmel empor. (Oskar Maria Graf: Das Leben meiner Mutter. Frankfurt am Main 1982, S. 357-359. © List Taschenbuch in der Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2009)

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek

Sekundärliteratur:

Tworek, Elisabeth (2011): Literarische Sommerfrische. Künstler und Schriftsteller im Alpenvorland. Ein Lesebuch. Allitera Verlag, München, S. 190f., S. 251.



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