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14.11.2017, 09:06 Uhr
Renée Rauchalles
Text & Debatte
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© Folker Schellenberg

Über Gunna Wendts Kunst des Biografieschreibens

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Franziska Gräfin zu Reventlow ist eine der zentralen Frauen in Gunna Wendts Biographien

Spiegel bayerischer Literatur und Kultur, fundiert und unterhaltsam, Essays, Prosatexte und Gedichte von prominenten und unbekannten Autoren: Das ist die Zeitschrift Literatur in Bayern, die im Allitera Verlag erscheint. Seit über 30 Jahren informiert sie über das literarische Geschehen des Freistaats. Der folgende Beitrag von Renée Rauchalles ist der Münchner Schriftstellerin Gunna Wendt gewidmet, die 2017 mit dem Schwabinger Kunstpreis ausgezeichnet wurde. Die Auszeichnung erhielt sie „insbesondere für ihre Arbeiten über großartige Frauengestalten, die der Schwabinger Szene ihren Stempel aufgedrückt haben“. Der Text erschien in der Ausgabe 129 (2017).

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Nachdem sie 1981 nach München gekommen war, lernte sie bald die „wunderbare Regisseurin, Filmemacherin und Schauspielerin Margit Saad-Ponelle“ kennen, die für ihren Start im Schwabinger Kulturleben sehr wichtig war, erzählte Gunna Wendt in ihrer humorvoll vorgetragenen Dankesrede bei der Schwabinger Kunstpreisverleihung. Seit sie bei dem von Saad-Ponelle inszenierten Stück Gipfelkonferenz im Schwabinger TAMS als Regieassistentin fungierte, sei sie mit ihr (sie war anwesend) befreundet. Ein Glücksfall, wie wohl so manche Station im Leben der in Jeinsen bei Hannover geborenen Autorin und Ausstellungsmacherin, die an der Universität Hannover Psychologie und Soziologie studiert und dort ihre Magisterarbeit zum Thema Paula Modersohn-Becker. Zur Situation einer Künstlerin um die Jahrhundertwende in Deutschland abgeschlossen hat.

Seitdem gab es viele interessante und erfüllende Stationen bis zu der erfolgreichen Biografin, die neben ihrer Arbeit für Theater und Radio (Jazz Welle Plus, Bayerischer Rundfunk, 1989 Hörfunkpreis der BLM) für mehrere zeitgenössische Opern Libretti schrieb, zehn Jahre Redakteurin für das Münchner Literaturtelefon war, das „Literaturblatt“ in München betreute, Ausstellungen gestaltet (unter anderem Literaturarchiv Monacensia, Deutsches Theatermuseum), seit Mitte 1990 nahezu jährlich eine Biografie publiziert, zahlreiche Lesungen hält – und immer noch über eine ungebremste Schaffenskraft verfügt.

 

Juni 2017: Gunna Wendt erhält den Schwabinger Kunstpreis. © Dieter Schnöpf

 

„Alles ist längst in ihr und drängt nach seiner Entfaltung“, schrieb Wendt in ihrer profunden Maria Callas-Biografie. Das trifft auch auf sie zu. Geschrieben hat sie schon immer. Mit erst 12 Jahren veröffentlichte sie das Märchen Die Liederprinzessin und der Trommelkönig in der „Hannoverschen Allgemeine“. Und ihr Interesse, den Lebensgeschichten vor allem herausragender und ungewöhnlicher Frauengestalten oder Familienclans wie der Bernadottes, Furtwänglers, Romanows, oder Bechsteins literarisch nachzuspüren, begann bereits bei ihrer Magisterarbeit.

Es verwundert, dass es ca. zwanzig Bücher und so vieler Jahre bedurfte, bis zumindest die Schwabinger-Künstlerinnen-Biografien der im Münchner Stadtviertel Berg am Laim lebenden Schriftstellerin (wo fast alle ihre Bücher entstanden) mit einem Preis geehrt wurden. „Das liegt daran“, so Wendt in ihrer Dankesrede, dass „die literarische Biografie ein Genre ist, mit dem sich die Literaturkritik und Literaturwissenschaft schwer tut – im deutschsprachigen Raum. Sie ist aus fast allen Förderprogrammen – allen voran der Deutsche Literaturfonds – ausgeschlossen. Man weiß sie nicht so recht einzuordnen: so zwischen Fiktion und Dokumentation. Werden Fußnoten verwendet, heißt es, das störe den Lesefluss. Wenn nicht, erfolgt oft der Vorwurf der mangelnden Wissenschaftlichkeit, obwohl diese gar nicht beansprucht wurde. [...] Als Biografin bewegt man sich immer so dazwischen – ein Raum, in dem ich mich – zugegeben – ganz wohlfühle, denn dann ist man in keiner Schublade.“

Nicht schwer tun sich dagegen die Leserinnen und Leser. Sie lieben Wendts hervorragend recherchierte und einfühlsam geschriebene Biografien unterschiedlichster Persönlichkeiten, was sich auch an den Neuauflagen zeigt. Auch die Schriftstellerin und Literaturwissenschaftlerin Ruth Klüger vermisste weder in der Callas-Biografie noch in der über Clara Rilke-Westhoff und Paula Modersohn-Becker, Fußnoten bzw. Wissenschaftlichkeit. Im Gegenteil, die wäre bei Clara und Paula (10 Auflagen!) wegen der fiktionalen Einschübe nicht angebracht, schrieb sie in ihrer Rezension, und weiter: „Das eigentlich Neue und Fesselnde ist der weibliche Blick auf weibliches Leben und weiblichen Ehrgeiz“, was nicht nur für diese Wendt-Biografie gilt.

 

Mit ihren Büchern hält sie den Mythos Schwabing lebendig

Gefesselt von Wendts Biografien war auch die fünfköpfige Jury, die unter dem Vorsitz von Kulturreferent Dr. Hans-Georg Küppers über die Vergabe des Preises mit dieser Begründung entschied: „Wenn Lena Christ, Franziska zu Reventlow, Liesl Karlstadt und Emmy Hennings in unserer heutigen Zeit eine Seelenverwandte wählen dürften, dann wäre es Gunna Wendt. Die Münchner Schriftstellerin lässt in ihren Biografien, die sich teils so mitreißend wie Romane lesen, die Schwabinger Bohème wiederauferstehen. Eine Würdigung jener Künstlerinnen, die lange im Schatten ihrer berühmten Männer standen, obwohl sie selbst hoch talentiert waren und Werke von großer Eigenständigkeit schufen. Mutige Frauen, die sich über alle gesellschaftlichen Grenzen hinwegsetzten und zu Vorbildern wurden. [...] Obendrein hat sie eine charmante Anleitung verfasst zu einem Spaziergang durch die Kaffeehäuser der Schwabinger Bohème.“

Am 26. Juni 2017 wurde ihr (neben dem Schauspieler und Regisseur Thorsten Krohn sowie Wolfgang Schlick mit der Express Brass Band) der mit 5.000 € dotierte Schwabinger Kunstpreis für kulturelle und künstlerische Leistungen, gestiftet von Stadtsparkasse München, Café Münchner Freiheit, Constantin Film AG  und Landeshauptstadt München, im Verwaltungszentrum Stadtsparkasse München-Nordschwabing durch Dr. Küppers überreicht.

 

Zwei Frauen, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten: Im Februar 2018 erscheint Gunna Wendts Doppelporträt über Erika Mann und Therese Giehse im Piper Verlag

 

Die Laudatio für Gunna Wendt hielt Susanne John, Redakteurin, Texterin und PR-Frau, seit dreißig Jahren ihr Fan, wie sie gleich am Anfang ihrer euphorischen Rede – eine wahre Liebeserklärung an die Autorin – gestand. Als treuer „Follower“ führte sie bestens durch Wendts vielfältiges Wirken, demnächst erweitert durch das Buch Erika und Therese: Erika Mann und Therese Giehse – Eine Liebe zwischen Kunst und Krieg (Februar 2018). Die Fans dürfen sich freuen auf sicher wieder facettenreiche und spannende Lektüre.

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Renée Rauchalles ist Autorin, Künstlerin und Dozentin und lebt in ihrer Geburtsstadt München, wo sie Grafik, Malerei, Operngesang und Schauspiel studierte und u.a. am Residenztheater München tätig war. 17 Jahre stellte sie in ihrer ZEITfürKunst-GALERIE in selbstkonzipierten zahlreichen Lesungen vorwiegend Lyrikerinnen vor, die teilweise auch Eingang fanden in ihre Lyrik-Anthologie Mir träumte meine Mutter wieder – Autorinnen und Autoren über ihre Mütter. Sie veröffentlicht eigene Lyrik, Prosa, Essays sowie Sachliteratur. Ihr bildnerisches Werk ist regelmäßig in Ausstellungen zu sehen.

 

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