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01.04.2015, 10:34 Uhr
Lena Gorelik
Text & Debatte

Münchner Autoren-Initiative gegen Fremdenhass

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© Juliane Brückner

Am 9. März fand im Café Lost Weekend eine große Lesung Münchner Autoren statt, bei der das Literaturportal Bayern als Kooperationspartner mitwirkte. Motto des Abends war: „But you’re welcome – eine Initiative gegen Fremdenhass“. Wo sind wir selbst fremd? Wie hängen Fremdsein und Schreiben zusammen? Fragen wie diesen ging vor fast 100 Besuchern eine Reihe namhafter Autoren nach: Steven Uhly, Lena Gorelik, Daniel Jaakov Kühn, Andreas Unger, Sandra Hoffmann, Margarete Moulin, Jürgen Bulla, Katja Huber (der wir auch für Mitschnitt und Nachbearbeitung danken!), Daniel Grohn, Emel Ugurcan, Andrea Heuser und Dagmar Leupold. Es moderierten Maximilian Dorner und Fridolin Schley, für den musikalischen Rahmen sorgte Daniel Grohn.

Wer den Abend verpasst hat – oder ihn auffrischen möchte – kann die Texte im Literaturportal Bayern noch einmal nachlesen und nachhören. Die gesammelten Texte werden im Sommer als Buch im P. Kirchheim Verlag erscheinen. Vorab eine Kostprobe der Schriftstellerin Lena Gorelik.

 

Ängste

Manchmal scheinen die Dinge so banal zu sein, dass ich mich frage, ob ich nicht naiv bin. Nur, dass ich es auf der politisch korrekten Seite bin, selbstverständlich. Und mich deshalb zurücklehnen und eine Geschichte erzählen kann.

Berlin, Winter. Wenn man aus München nach Berlin kommt, so kann man sich an den vielen libanesischen Imbissen freuen, an der Selbstverständlichkeit, mit der jeder nicht nur Sushi, sondern auch Pelmeni kennt, man kann beinahe so tun, als sei man ein bisschen in London, aber das ist bereits literarische Überschwänglichkeit. Und den grauen Himmel, den nimmt man einfach so hin, man ist ja aus München.
An diesem einen Tag scheint sogar ein wenig die Sonne. Sie scheint und blendet mich, außerdem denke ich gerade darüber nach, was davon zu halten ist, dass sich auf dem Kudamm ein paar Meter von Chanel und Yves SaintLaurent ein Netto befindet, und so übersehe ich die grüne Ampel.
„Es ist grün“, sagt ein Herr neben mir, wie freundlich, und weil die Sonne scheint, und ich in Berlin bin, denke ich noch: In München wäre mir das nicht passiert, was wahrscheinlich nicht stimmt. Der Herr ist in diesem Alter, das einer Beschreibung, keiner Zuschreibung bedarf: Er ist nicht alt, er ist nicht jung, sondern das langweilige Dazwischen, und so sieht er auch aus: Jeans, Sneaker, eine graue Jacke, blonde Haare, einer von denen, die man auf jeden Fall übersieht. Er ist gerade dabei, meine Gedanken zu verlassen, da spricht er mich mitten im Überqueren der Straße, was offensichtlich durch seine freundliche Anmerkung zu einer gemeinsamen Unternehmung geworden ist, noch einmal an: „Sie sehen wohl kein Grün mehr, weil Sie bei der letzten Wahl zu viel Grün gewählt haben.“ Dieser eine Satz fällt, und plötzlich meine ich zu realisieren, der sieht doch aus wie der Verrückte aus diesem einen Film, mit diesen fettigen blonden Haaren ...
„Wie bitte?“ Und als hätte er auf meine Frage gewartet, bleibt er augenblicklich  wir haben soeben die Straße überquert  stehen und legt los. Ein Sprung. In seinem oder in meinem Kopf? Ich bin im ersten Moment so perplex, dass ich an dieser Stelle erfinden müsste, wie es ihm gelingt, diese Verbindung herzustellen: von der grünen Ampel zu meiner Wahlentscheidung (welche Wahl eigentlich?) zu den Muslimen (er sagt es so, „die Muslime“), die überall sind und offensichtlich vor allem hier in Deutschland und auch in Berlin, oder ist es Europa, und die, das wisse man doch, das traue sich nur keiner zu sagen, auch die im Fernsehen nicht, obwohl die Zahlen im Internet zu finden seien, die jedenfalls enthaupten doch Andersgläubige, also uns. Ja, hier in Berlin. Das traue sich nur keiner zu sagen.
Ein zweiter Zeitsprung. Zwischen dem ersten und dem zweiten Zeitsprung möchte ich gehen, aber genauso unvermittelt, wie diese Hass- und Angsttirade sich über mich zu ergießen begann, merke ich, als ich es nicht mehr aushalte und mich auf eine Antwort arroganterweise einzulassen weigere, dass wir nicht mehr alleine sind. Da sind zwei weitere Herren und eine Dame, sie jünger, die Herren älter, sie passen hier auf den Kudamm genauso wie nach Berlin, aber auch nach München und gar nicht zueinander (und schon gar nicht zu mir) und haben nur diese eine, für sie offensichtliche Weisheit gemeinsam: Deutschland gehört uns. Und sie nehmen es uns weg.
Die „sie“ sind dieser Tage Muslime. Es waren auch schon mal die Juden, aber das haben wir ja zum Glück aufgearbeitet, später waren es Ausländer und Gastarbeiter im Allgemeinen und Türken und Italiener und Griechen (die sind es auch wieder) im Besonderen und viele andere mehr. Diese Angst.
Dass die nicht lieber Angst davor haben, denke ich, aber sage es nicht laut, weil es keinen Sinn macht und wieso meine ich, dass es keinen Sinn macht, mit ihnen zu diskutieren, wie überheblich von mir dass die nicht lieber Angst davor haben, dass spätestens 2025 hierzulande sieben Millionen Facharbeiter fehlen werden? Oder davor, dass ihre Kinder in einem Land aufwachsen könnten, in dem sie keine Vielfalt kennen lernen können, nicht in Form von Menschen, Religionen, Meinungen, Traditionen, Sprachen, weshalb sie dieses Land ob ihrer natürlichen Neugierde eines Tages verlassen werden müssen, aber stopp, das ist ja meine Angst.

Seit wann ist sie da, die Angst vor Menschen, die schon lange mit und unter uns leben, die sich als Teil unserer Gesellschaft, unseres Landes sehen, nicht alle von ihnen, aber dann doch auch nicht ein zu geringer Teil? Die Angst ist nicht neu und sehr einfach gestrickt: Es ist die Angst vor Fremd. Fremd macht Angst, weil fremd  wie der Begriff schon sagt  fremd ist. Und fremd kann so gut nicht sein, denn fremd ist anders. Und anders, ja, vor anders hat man Angst. Meistens hält sich die Angst leicht versteckt. Ist aber immer bereit, hervorzuspringen. Es braucht nicht viel, um sie hervorzuholen: manchmal einen Anlass wie den Bau einer Moschee, manchmal eine Person wie Thilo Sarrazin, manchmal auch nur einen Satz oder eine beunruhigende gesellschaftliche Entwicklung. Und schon ist sie da, diese Angst vor den Fremden, die … und dieser Satz lässt sich endlos und in jede beliebige Richtung ergänzen  die plötzlich um sich greift wie die Pest. Es ist aber kein Plötzlich. Wenn in Dresden innerhalb von Tagen zwanzigtausend Pegida-Anhänger für Demonstrationen mobilisiert werden können, dann heißt es, dass diese Angst schon lange irgendwo nahe an der Oberfläche lauerte. Dann heißt es, dass alle Beteuerungen seitens Politiker, Deutschland verstehe sich als ein Einwanderungsland, nichts weiter sind als genau das: Beteuerungen. Dann heißt es nichts anderes, als dass aus vielen Köpfen nach wie vor eine Hierarchie nicht wegzudenken ist; dass viele immer noch meinen, jemand, der Paul heißt, sei mehr ein Teil dieses Landes als jemand namens Mustafa. Und ja, genauso einfach sind diese Gedanken gestrickt.

Ich entweiche denen, die mir Angst machen mit ihrer Angst, und laufe den Kudamm runter und wundere mich, weil die Sonne immer noch scheint, diese Wintersonne, die mir doch viel weniger grell vorkommen müsste nach diesem Gespräch, so schriebe ich das wahrscheinlich in einem Roman. Der Tag aber geht weiter, zufälligerweise ein Montag, irgendwo in Berlin finden also Bärgida und Anti-Bärgida-Versammlungen statt. Ich nehme nicht teil und rede mir ein, dass es nichts brächte, dass man sich doch nur gegenseitig unter eh ähnlich Denkenden bestärken würde, darin, dass es auch ein anderes Deutschland, eines ohne Ängste gibt, aber Gleiches immer zu Gleichem, und an den Ängsten, gegen die man demonstriert, rüttelt man damit nicht.

Später an jenem Tag sitze ich im Taxi. Der Taxifahrer ist gesprächig. Ich spreche nicht gerne mit Taxifahrern, Small Talk fällt mir schwer. Der Taxifahrer erzählt von Männern, die sich spätabends besoffen in seinen Wagen setzen, lallend beteuern, sie hätten überhaupt nicht vorgehabt, ihre Frauen zu betrügen, das geschähe ihnen, als nähmen sie nicht daran teil. Und meine Freundin, die neben mir im Taxi sitzt und um meine Unredseligkeit weiß, antwortet ihm, ja, diese Männer, sie reißt ein paar witzige Sprüche, und gemeinsam regen sie sich nun über Männer, diese Schweine, auf, ein einfaches aber amüsantes Ballspiel mit Klischees. Sie sprechen über Sex, was in mir den Wunsch weckt, an der nächsten Kreuzung auszusteigen, und sie lachen, und irgendwie lache ich dann doch auch mit. Und dann geschieht die Banalität, die mich fragen lässt, ob die Dinge wirklich so einfach sein können, oder ob ich naiv bin. Wir zahlen. Öffnen die Autotüren, bedanken, verabschieden uns. Da sagt der Taxifahrer: „Wenn es mehr Menschen wie Sie in Deutschland gäbe, die einfach nur mit mir sprechen, dann würde ich mich in Deutschland derzeit wohler fühlen. Ich lebe seit dreißig Jahren in Berlin.“ Ich zögere für einen Moment, dann lasse ich die Banalität für sich stehen. Banal und naiv (wie übrigens auch dieser letzte Satz dieser Geschichte), so lächelt er doch, als er davon fährt.

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