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14.07.2015, 12:26 Uhr
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Hermann Kesten

Büchersendung: Hermann Kesten und Ludwig Fels in einer neuen Edition

Das Kaffeehaus ist ein Wartesaal der Poesie. (Hermann Kesten, Dichter im Café)

München, Wien, Berlin – betrachtet man die Landkarte der deutschsprachigen Literatur des 20. Jahrhunderts, fallen zunächst einmal die großen kulturellen und avantgardistischen Zentren ins Auge. Franken hingegen ist im Bewusstsein der literarischen Welt eher ein blinder Fleck, was sicher auch an der vergleichsweise überschaubaren Verlagslandschaft liegen mag. Die schöne „Edition Moderne Fränkische Klassiker« des Verlags ars vivendi rückt nun bedeutende Schriftstellerinnen und Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, die in Franken gelebt und gewirkt haben, wieder stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit und würdigt ihr künstlerisches Schaffen. Die Reihe beginnt mit dem 80er-Jahre-Bestseller-Roman Ein Unding der Liebe des in Treuchtlingen geborenen Ludwig Fels und dem Kaffeehaus-Buch Dichter im Café von Hermann Kesten, der in Nürnberg aufgewachsen ist und später auch zum Ehrenbürger der Stadt ernannt wurde. Geplant sind zwei Titel pro Jahr – u.a von Bernhard Kellermann, Jakob Wassermann, Gisela Elsner, Karlheinz Deschner, Natascha Wodin, Ernst Penzoldt, Leonhard Frank. Herausgegeben werden sie von Norbert Treuheit und Stefan Imhof. Armin Stingl, der bereits für die besondere Ausstattung der Shakespeare-Gesamtausgabe verantwortlich zeichnete, gestaltet sie sehr ansprechend.

Dichter im Café

Einen „Spaziergänger“ nannte Hermann Kesten sich; er durchstreifte mit seinem Notizheft und meist auch Bleiststiftstummeln in der Jacken- oder Hosentasche die Weltstädte – zu Beginn seiner Schriftstellerlaufbahn Berlin, dann, nach der Flucht vor Hitler, Paris, New York, schließlich Rom; und auch seine Heimatstadt Nürnberg, wo er nach dem Ende des Dritten Reiches Ehrenbürger war, hatte für ihn, den Mann mit vielen Freunden, urbane Reize. Marcel Reich-Ranicki meinte zum 80. Geburtstag des Dichters, dass dieser erzwungermaßen, doch auch von seinem Naturell her, ein heimatloser Weltbürger gewesen sei, der im Café seine existenzielle Verankerung und Ruhe gefunden habe. Es war eine bewegliche, regsame Geborgenheit: „Ich brauche mich nur in ein Café zu setzen, schon fühle ich mich zu Hause.“ (Aus dem Nachwort von Hermann Glaser)

Das Kaffeehaus – legendärer Treffpunkt des literarischen Austauschs, Umschlagplatz revolutionärer Ideen und Bühne des Lebens. Hermann Kesten unternimmt in seinem erstmals 1959 erschienenen Buch eine essayistisch-kulturhistorische Tour d’Horizon durch die Welt der Cafés – und damit die Literaturgeschichte der Moderne. Er erzählt von eigenen Erfahrungen und Begegnungen in Paris, London, Rom, New York, Wien, München und Berlin, von Büchern, Persönlichkeiten und Leidenschaften – und lauscht den Geschichten dabei immer auch humorvoll Klatsch sowie kleine und große Dramen ab.

   

 Ein Unding der Liebe

Süddeutschland, tiefste Provinz, die frühen Achtzigerjahre. Georg Bleistein, 27, Gehilfe in der Großküche eines Schnellrestaurants, lebt in einer kleinstädtischen Siedlung bei Tante und Großmutter. Er ist Bewohner eines Wohlfahrtstaates, dessen Insignien Reihenhäuser, Kreissparkassen und Plastikblumen sind. Georg hat, oberflächlich betrachtet, alles, was er braucht: Zu Hause wird er vollgestopft mit Essen und Trinken, er trägt wärmende Kleidung, hat ein Dach über dem Kopf. Und doch ist da ein tiefer Spalt, ein fundamentaler Mangel – Georg möchte lieben und geliebt werden, aber alle Versuche sind vergebens; stets enden sie nur im Konsum. Ein wütender, roher Roman über einen sensiblen jungen Menschen und dessen Ausbruchsversuche aus einer betäubenden, aggressiven Welt.

Ein Unding der Liebe ist eines der Bücher, die aus dem Meer von Neuerscheinungen herausragen, das jährlich den Buchmarkt überschwemmt. Es ist für mich – ich gebe es unumwunden zu – der beste Roman der fränkischen Nachkriegsliteratur, ein Solitär, ein erratischer Block in der Landschaft. Fels erfüllt damit Kafkas Forderung: 'Ein Buch muss die Axt sein für das gefrorene Meer in uns.' Seine Axt, mit der er das Eis aufhackt, in dem der Held zu erfrieren droht, ist die Sprache. Eine Sprache von expressionistischer Kraft, die ihresgleichen sucht.“ (Aus dem Nachwort von Fitzgerald Kusz)

Biografisches

Hermann Kesten, am 28.1.1900 im galizischen Pidwolotschysk geboren, siedelte 1904 mit seiner Familie nach Nürnberg über. Nach dem Studium der Rechtswissenschaft, Nationalökonomie, Geschichte, Germanistik und Philosophie arbeitete er u.a. als Lektor in Berlin, bevor er 1933 nach Frankreich emigrierte. Später lebte er an verschiedenen Orten in den USA und Europa. Der literarische Durchbruch gelang ihm 1927 mit seinem Debüt Josef sucht die Freiheit. Während des Kriegs verfasste er biografische Romane über historische Persönlichkeiten, daneben immer häufiger auch Essays. Kesten galt als hervorragender Literaturvermittler und war von 1972 bis 1976 Präsident des deutschen P.E.N. 1974 erhielt er den Georg-Büchner-Preis, 1980 wurde er zum Ehrenbürger der Stadt Nürnberg ernannt. Er starb 1996 in Basel.

Ludwig Fels, geboren am 27. November 1946 im mittelfränkischen Treuchtlingen, hielt sich zunächst mit verschiedenen Gelegenheitsjobs über Wasser. Seit 1973 ist er freier Schriftsteller. Er debütierte mit dem Lyrikband Anläufe, zahlreiche weitere Publikationen, Theaterstücke und Romane folgten. Ein Unding der Liebe befand sich 1981 monatelang an der Spitze der SWR-Bestenliste. Immer wieder veröffentlichte Fels auch Hörspiele und arbeitete für den ORF. Er wurde mit vielen Auszeichnungen bedacht, u. a. mit dem Leonce-und-Lena-Preis 1979, dem Preis der SWR-Bestenliste 1979 und dem Wolfgang-Koeppen-Preis 2004. Fels lebt heute in Wien.