Zum 120. Geburtstag von Erika Mann. Ein Lebensrückblick
Zum 120. Geburtstag von Erika Mann gedenkt die Autorin Gunna Wendt in einem resümierenden Lebensrückblick der facettenreichen Persönlichkeit Erika Manns, dem „Lieblingskind”, deren Geburt im Hause der Manns, in München, anfänglich allerdings keine große Freude auslöste.
*
Erika Manns Geburt am 9. November 1905 löste bei ihren Eltern zunächst keine Begeisterung aus. Im selben Jahr, am 11. Februar, hatten Thomas Mann und Katia Pringsheim geheiratet. Trotz ihrer frauenbewegten Großmutter, der Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, war für Katia die weibliche Unterordnung unter den Willen ihres Mannes selbstverständlich. Und auch dass ein Sohn mehr gilt als eine Tochter. Umso größer war die Enttäuschung, als ihr erstes Kind ein Mädchen war. „Ich war immer verärgert, wenn ich ein Mädchen bekam, warum, weiß ich nicht”, gesteht sie in ihren „ungeschriebenen Memoiren”. Thomas Mann schrieb seinem Bruder Heinrich im November 1905, wie enttäuscht er sei, eine Tochter bekommen zu haben. Ein Sohn sei für ihn „poesievoller, mehr als Fortsetzung und Wiederbeginn meiner selbst”. Damals wusste noch niemand, dass die unerwünschte Tochter einmal sein „kühnes und herrliches” Lieblingskind werden würde.
Ein Jahr nachdem Erika das Licht der Welt erblickt hatte, folgte endlich der ersehnte Sohn: Am 18. November 1906 wurde Klaus geboren. Erika und Klaus Mann waren nahezu von Anfang an unzertrennlich, bezeichneten sich zeitweise sogar als Zwillinge. Dabei waren sie grundverschieden und die Geschlechtsrollen vertauscht. Sie habe ausgesehen wie ein „magerer, dunkel hübscher Zigeunerjunge”, berichtete Klaus Mann und ergänzte bewundernd, „sie konnte wie zwei Buben turnen und raufen”.
Erika und Klaus Mann wuchsen in dem Bewusstsein auf, etwas Besonderes zu sein – mit den damit verbundenen Implikationen Chance und Bürde. Der Wermutstropfen lag darin, dass sie nicht um ihrer selbst willen außergewöhnlich waren, sondern wegen der Berühmtheit ihres Vaters. „Er war anders als andere Väter”, resümierte Erika. Er benötigte unbedingte Ruhe und konnte „fuchsteufelswild” werden, wenn die Kinder das vergaßen und ihn störten. Für sie und ihre Belange interessierte er sich kaum. Umso stärker waren Erikas Bemühungen, Aufmerksamkeit zu erheischen, nicht übersehen zu werden. Damit eroberte sie sich eine Sonderrolle innerhalb der Geschwisterschar und verteidigte diese mit Nachdruck. „Die Eri muss die Suppe salzen”, lautete ein geflügeltes Wort innerhalb der Familie Mann.
In der Schule, die Erika Mann häufig wechselte, fiel ihr immer etwas ein, womit sie den Unterricht stören, die Lehrer in Verlegenheit bringen und die Lacher auf ihre Seite ziehen konnte. Sie sprach hervorragend bayerisch und münchnerisch – als einzige in ihrer Familie. Schließlich „baute” sie ihrer Mutter zuliebe das „Sau-Sau-Sau-Kotzabitur” an der Städtischen Höheren Mädchenschule in der Luisenstraße.
Gleich nach dem Abitur ging Erika Mann nach Berlin. Das Leben in München bot zwar viele Abwechslungen, Anregungen und Vergnügungen, aber künstlerisch konnten weder sie noch Klaus Fuß fassen. Im Sommer 1923 lernte sie bei einem Besuch bei ihrem Onkel Heinrich Mann die ein Jahr jüngere Pamela Wedekind kennen, mit der sich Klaus verlobte. Gleichzeitig verliebte sich Erika in Pamela. Die Freundin, deren „eisige Anmut” und „harte, gefährliche und geistige Lieblichkeit” ihren Bruder faszinierten, war Erika Manns zweite große Liebe. Die erste war zweifellos ihr Bruder Klaus. Dieser schrieb sein erstes Theaterstück Anja und Esther, in dem er und Erika 1925 zusammen mit Pamela Wedekind und Gustaf Gründgens auf der Bühne standen. Es wurde weder vom Publikum noch von der Presse positiv aufgenommen. Nur die schauspielerische Leistung der beiden Hauptdarstellerinnen wurde gelobt. Im Juli 1926 heirateten Erika Mann und Gustaf Gründgens, doch die Ehe blieb nur kurze Zeit bestehen.
Im Oktober 1927 brachen Erika und Klaus als „Literary Mann Twins” zu einer Weltreise in die USA, nach Honolulu, Japan, Korea und in die Sowjetunion auf. Klaus Mann erzählte, dass ihm seine Schwester an einem Spätsommerabend bei einem Spaziergang am Starnberger See plötzlich gestanden habe, sie wolle lieber anderswo sein, am besten „zehntausend Meilen weg von hier”. Bei Klaus rannte sie damit offene Türen ein. Auch er war an einem Punkt angelangt, an dem ihm sein bisheriges Leben reiz- und perspektivlos erschien. An diesem Abend am Starnberger See, in der bayerischen Idylle, die Erika so liebte, beschlossen die beiden Anfang Zwanzigjährigen, „ein bisschen nach Amerika” zu gehen und entwickelten die Idee zu einer Expedition quer durch den riesigen Kontinent von der Ostküste zur Westküste. Ihr anschließender Reisebericht Rundherum. Abenteuer einer Weltreise wurde zu einem großen Erfolg und ermutigte Erika Mann, als Journalistin und Kolumnistin für verschiedene Zeitschriften zu arbeiten, darunter für das Berliner Magazin Tempo, die Münchner Neuesten Nachrichten und den Bayerischen Staatsanzeiger.
Anfang der 1930er Jahre begann Erika Mann politisch tätig zu werden. Ihr erster brisanter Auftritt fand am 13. Januar 1932 auf der Großen-Öffentlichen-Frauenversammlung im Hotel Union in München statt. Die Kundgebung stand unter dem Motto “Weltabrüstung oder Weltuntergang” und wurde veranstaltet von drei Münchner Friedensorganisationen. Klaus Mann berichtete, Erika sei es „rührend-eindrucksvoll” gelungen, das Publikum mit ihrer Schlussrede zum Thema „Deutsche Zukunft” und Abrüstung zu begeistern. Während der Veranstaltung sei es zu einem „aufregenden Störungsversuch” einiger „Nazi-Buben" gekommen, die sich Zutritt zu der Kundgebung verschaffen wollten, was eine „kurze Panik” ausgelöst habe. Gefährlicher als der Störversuch an Ort und Stelle waren die nachträglichen Reaktionen in der Presse: So befand der Völkische Beobachter, die Kundgebung sei eine „Schmach” und Erika Manns Auftreten dabei ein „besonders widerliches Kapitel” gewesen.
Erika entschied sich, nun mit vollen Kräften gegen die Nationalsozialisten zu kämpfen. Am 1. Januar 1933 gründete sie das „literarische Cabarett `Die Pfeffermühle´” mit der Absicht, dem Protest gegen den Nationalsozialismus eine effiziente Form und einen adäquaten Raum zu geben. Rückblickend bezeichnete Klaus Mann „Die Pfeffermühle” als „wirkungsvollstes und erfolgreichstes theatralisches Unternehmen der Emigration”, denn eigentlich habe ihr Exil bereits in München begonnen.
Erika Mann hoffte, in ihrer Pfeffermühlen-Arbeit die beiden Talente, auf die sie zunehmend vertraute, einsetzen und weiterentwickeln zu können: schreiben und theaterspielen. Beim Schreiben war es vor allem die knappe Form, die ihr lag: Feuilletons, Glossen, Satiren – kurze prägnante Texte, die eine Aussage pointiert auf den Punkt brachten. Dass sie neben der berühmten Schauspielerin Therese Giehse ihren Bruder Klaus, dessen schriftstellerische Begabung sie weitaus höher einschätzte als ihre eigene, bei dem Projekt Pfeffermühle an ihrer Seite wusste, gab ihr Sicherheit und Zuversicht.
Doch von Anfang an waren die Tage der Pfeffermühle in München gezählt. Als Erika und Klaus nach einer Klausur in Lenzerheide, in der sie ein neues Programm erarbeitet hatten, am 10. März 1933 in München eintrafen, wehten auf allen öffentlichen Gebäuden die Hakenkreuzfahnen. Erika erkannte sofort, dass das Ende der Pfeffermühle in Deutschland unwiderruflich gekommen war und informierte die Mitglieder des Kabaretts, dass sie ihre Arbeit in München einstellen und an einem anderen Ort außerhalb Deutschlands fortsetzen müssten.
Erika und Klaus Mann verließen Deutschland am 13. März.1933: Erika mit dem Auto Richtung Arosa, Klaus mit dem Nachtzug Richtung Paris. Erika wurde die deutsche Staatsbürgerschaft am 8. Juni 1935 aberkannt. Als Begründung wurde ihre geistige Urheberschaft an der „deutschfeindlichen Pfeffermühle” genannt, die mit ihren „würdelosen Darbietungen” eine „Verunglimpfung Deutschlands” zum Ziel gehabt habe.
Erika Mann zeigte sich wie immer handlungsfähig und flog am 12. Juni 1935 nach London, um drei Tage später den Schriftsteller Wystan H. Auden zu heiraten. Dadurch erhielt sie die britische Staatsbürgerschaft genau an dem Tag, an dem der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels verkündete, dass sie keine Deutsche mehr sei.
Im September 1936 reisten Erika und Klaus Mann zusammen mit den anderen Ensemblemitgliedern der Pfeffermühle in die USA, um dort nach einem neuen Spielort zu suchen. Im Bedford Hotel in New York, wo sich damals viele deutsche Exil-Schriftsteller trafen, lernten sie Martin Gumpert kennen. Der aus Berlin stammende Arzt und Schriftsteller war 1936 nach New York emigriert und hatte dort eine Praxis für Allgemeinmedizin eröffnet. Er versorgte Klaus Mann mit Tabletten, die ihn von seiner Heroinsucht befreien sollten. Doch seine Bemühungen blieben erfolglos. Am 21. Mai 1949 nahm sich Klaus Mann im Alter von 42 Jahren in Cannes mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben und wurde auf dem Cimetière du Grand Jas beigesetzt. Erika kam über den Verlust ihres geliebten Bruders nie hinweg.
Erika blieb in Amerika. Am 15. März 1937 sprach sie auf der ersten amerikanischen Massenkundgebung gegen Hitler im New Yorker Madison Square Garden vor mehr als 20.000 Menschen. Sie ging auf Vortragsreisen und war in den 1940er Jahren Kriegsberichterstatterin in Spanien, Ägypten, Persien, Palästina, Belgien, Frankreich sowie Beobachterin beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess. 1947 begleitete sie ihren Vater auf seiner ersten Europareise nach dem Krieg. Thomas Mann betrachtete sie als „Sekretärin, Biographin, Nachlasshüterin, Tochter-Adjutantin”. 1952 verließ sie die Vereinigten Staaten und übersiedelte, zusammen mit ihren Eltern, in die Schweiz. Nach dem Tod Thomas Manns, 1954, betrachtete sie es als Hauptaufgabe, die Nachlässe ihres Vaters und ihres Bruders zu verwalten. Gesundheitlich ging es ihr immer schlechter. Sie starb am 27. August 1969 im Kantonsspital Zürich an einem Gehirntumor und wurde im Familiengrab auf dem Friedhof in Kilchberg beigesetzt.
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Zum 120. Geburtstag von Erika Mann gedenkt die Autorin Gunna Wendt in einem resümierenden Lebensrückblick der facettenreichen Persönlichkeit Erika Manns, dem „Lieblingskind”, deren Geburt im Hause der Manns, in München, anfänglich allerdings keine große Freude auslöste.
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Erika Manns Geburt am 9. November 1905 löste bei ihren Eltern zunächst keine Begeisterung aus. Im selben Jahr, am 11. Februar, hatten Thomas Mann und Katia Pringsheim geheiratet. Trotz ihrer frauenbewegten Großmutter, der Frauenrechtlerin Hedwig Dohm, war für Katia die weibliche Unterordnung unter den Willen ihres Mannes selbstverständlich. Und auch dass ein Sohn mehr gilt als eine Tochter. Umso größer war die Enttäuschung, als ihr erstes Kind ein Mädchen war. „Ich war immer verärgert, wenn ich ein Mädchen bekam, warum, weiß ich nicht”, gesteht sie in ihren „ungeschriebenen Memoiren”. Thomas Mann schrieb seinem Bruder Heinrich im November 1905, wie enttäuscht er sei, eine Tochter bekommen zu haben. Ein Sohn sei für ihn „poesievoller, mehr als Fortsetzung und Wiederbeginn meiner selbst”. Damals wusste noch niemand, dass die unerwünschte Tochter einmal sein „kühnes und herrliches” Lieblingskind werden würde.
Ein Jahr nachdem Erika das Licht der Welt erblickt hatte, folgte endlich der ersehnte Sohn: Am 18. November 1906 wurde Klaus geboren. Erika und Klaus Mann waren nahezu von Anfang an unzertrennlich, bezeichneten sich zeitweise sogar als Zwillinge. Dabei waren sie grundverschieden und die Geschlechtsrollen vertauscht. Sie habe ausgesehen wie ein „magerer, dunkel hübscher Zigeunerjunge”, berichtete Klaus Mann und ergänzte bewundernd, „sie konnte wie zwei Buben turnen und raufen”.
Erika und Klaus Mann wuchsen in dem Bewusstsein auf, etwas Besonderes zu sein – mit den damit verbundenen Implikationen Chance und Bürde. Der Wermutstropfen lag darin, dass sie nicht um ihrer selbst willen außergewöhnlich waren, sondern wegen der Berühmtheit ihres Vaters. „Er war anders als andere Väter”, resümierte Erika. Er benötigte unbedingte Ruhe und konnte „fuchsteufelswild” werden, wenn die Kinder das vergaßen und ihn störten. Für sie und ihre Belange interessierte er sich kaum. Umso stärker waren Erikas Bemühungen, Aufmerksamkeit zu erheischen, nicht übersehen zu werden. Damit eroberte sie sich eine Sonderrolle innerhalb der Geschwisterschar und verteidigte diese mit Nachdruck. „Die Eri muss die Suppe salzen”, lautete ein geflügeltes Wort innerhalb der Familie Mann.
In der Schule, die Erika Mann häufig wechselte, fiel ihr immer etwas ein, womit sie den Unterricht stören, die Lehrer in Verlegenheit bringen und die Lacher auf ihre Seite ziehen konnte. Sie sprach hervorragend bayerisch und münchnerisch – als einzige in ihrer Familie. Schließlich „baute” sie ihrer Mutter zuliebe das „Sau-Sau-Sau-Kotzabitur” an der Städtischen Höheren Mädchenschule in der Luisenstraße.
Gleich nach dem Abitur ging Erika Mann nach Berlin. Das Leben in München bot zwar viele Abwechslungen, Anregungen und Vergnügungen, aber künstlerisch konnten weder sie noch Klaus Fuß fassen. Im Sommer 1923 lernte sie bei einem Besuch bei ihrem Onkel Heinrich Mann die ein Jahr jüngere Pamela Wedekind kennen, mit der sich Klaus verlobte. Gleichzeitig verliebte sich Erika in Pamela. Die Freundin, deren „eisige Anmut” und „harte, gefährliche und geistige Lieblichkeit” ihren Bruder faszinierten, war Erika Manns zweite große Liebe. Die erste war zweifellos ihr Bruder Klaus. Dieser schrieb sein erstes Theaterstück Anja und Esther, in dem er und Erika 1925 zusammen mit Pamela Wedekind und Gustaf Gründgens auf der Bühne standen. Es wurde weder vom Publikum noch von der Presse positiv aufgenommen. Nur die schauspielerische Leistung der beiden Hauptdarstellerinnen wurde gelobt. Im Juli 1926 heirateten Erika Mann und Gustaf Gründgens, doch die Ehe blieb nur kurze Zeit bestehen.
Im Oktober 1927 brachen Erika und Klaus als „Literary Mann Twins” zu einer Weltreise in die USA, nach Honolulu, Japan, Korea und in die Sowjetunion auf. Klaus Mann erzählte, dass ihm seine Schwester an einem Spätsommerabend bei einem Spaziergang am Starnberger See plötzlich gestanden habe, sie wolle lieber anderswo sein, am besten „zehntausend Meilen weg von hier”. Bei Klaus rannte sie damit offene Türen ein. Auch er war an einem Punkt angelangt, an dem ihm sein bisheriges Leben reiz- und perspektivlos erschien. An diesem Abend am Starnberger See, in der bayerischen Idylle, die Erika so liebte, beschlossen die beiden Anfang Zwanzigjährigen, „ein bisschen nach Amerika” zu gehen und entwickelten die Idee zu einer Expedition quer durch den riesigen Kontinent von der Ostküste zur Westküste. Ihr anschließender Reisebericht Rundherum. Abenteuer einer Weltreise wurde zu einem großen Erfolg und ermutigte Erika Mann, als Journalistin und Kolumnistin für verschiedene Zeitschriften zu arbeiten, darunter für das Berliner Magazin Tempo, die Münchner Neuesten Nachrichten und den Bayerischen Staatsanzeiger.
Anfang der 1930er Jahre begann Erika Mann politisch tätig zu werden. Ihr erster brisanter Auftritt fand am 13. Januar 1932 auf der Großen-Öffentlichen-Frauenversammlung im Hotel Union in München statt. Die Kundgebung stand unter dem Motto “Weltabrüstung oder Weltuntergang” und wurde veranstaltet von drei Münchner Friedensorganisationen. Klaus Mann berichtete, Erika sei es „rührend-eindrucksvoll” gelungen, das Publikum mit ihrer Schlussrede zum Thema „Deutsche Zukunft” und Abrüstung zu begeistern. Während der Veranstaltung sei es zu einem „aufregenden Störungsversuch” einiger „Nazi-Buben" gekommen, die sich Zutritt zu der Kundgebung verschaffen wollten, was eine „kurze Panik” ausgelöst habe. Gefährlicher als der Störversuch an Ort und Stelle waren die nachträglichen Reaktionen in der Presse: So befand der Völkische Beobachter, die Kundgebung sei eine „Schmach” und Erika Manns Auftreten dabei ein „besonders widerliches Kapitel” gewesen.
Erika entschied sich, nun mit vollen Kräften gegen die Nationalsozialisten zu kämpfen. Am 1. Januar 1933 gründete sie das „literarische Cabarett `Die Pfeffermühle´” mit der Absicht, dem Protest gegen den Nationalsozialismus eine effiziente Form und einen adäquaten Raum zu geben. Rückblickend bezeichnete Klaus Mann „Die Pfeffermühle” als „wirkungsvollstes und erfolgreichstes theatralisches Unternehmen der Emigration”, denn eigentlich habe ihr Exil bereits in München begonnen.
Erika Mann hoffte, in ihrer Pfeffermühlen-Arbeit die beiden Talente, auf die sie zunehmend vertraute, einsetzen und weiterentwickeln zu können: schreiben und theaterspielen. Beim Schreiben war es vor allem die knappe Form, die ihr lag: Feuilletons, Glossen, Satiren – kurze prägnante Texte, die eine Aussage pointiert auf den Punkt brachten. Dass sie neben der berühmten Schauspielerin Therese Giehse ihren Bruder Klaus, dessen schriftstellerische Begabung sie weitaus höher einschätzte als ihre eigene, bei dem Projekt Pfeffermühle an ihrer Seite wusste, gab ihr Sicherheit und Zuversicht.
Doch von Anfang an waren die Tage der Pfeffermühle in München gezählt. Als Erika und Klaus nach einer Klausur in Lenzerheide, in der sie ein neues Programm erarbeitet hatten, am 10. März 1933 in München eintrafen, wehten auf allen öffentlichen Gebäuden die Hakenkreuzfahnen. Erika erkannte sofort, dass das Ende der Pfeffermühle in Deutschland unwiderruflich gekommen war und informierte die Mitglieder des Kabaretts, dass sie ihre Arbeit in München einstellen und an einem anderen Ort außerhalb Deutschlands fortsetzen müssten.
Erika und Klaus Mann verließen Deutschland am 13. März.1933: Erika mit dem Auto Richtung Arosa, Klaus mit dem Nachtzug Richtung Paris. Erika wurde die deutsche Staatsbürgerschaft am 8. Juni 1935 aberkannt. Als Begründung wurde ihre geistige Urheberschaft an der „deutschfeindlichen Pfeffermühle” genannt, die mit ihren „würdelosen Darbietungen” eine „Verunglimpfung Deutschlands” zum Ziel gehabt habe.
Erika Mann zeigte sich wie immer handlungsfähig und flog am 12. Juni 1935 nach London, um drei Tage später den Schriftsteller Wystan H. Auden zu heiraten. Dadurch erhielt sie die britische Staatsbürgerschaft genau an dem Tag, an dem der Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda, Joseph Goebbels verkündete, dass sie keine Deutsche mehr sei.
Im September 1936 reisten Erika und Klaus Mann zusammen mit den anderen Ensemblemitgliedern der Pfeffermühle in die USA, um dort nach einem neuen Spielort zu suchen. Im Bedford Hotel in New York, wo sich damals viele deutsche Exil-Schriftsteller trafen, lernten sie Martin Gumpert kennen. Der aus Berlin stammende Arzt und Schriftsteller war 1936 nach New York emigriert und hatte dort eine Praxis für Allgemeinmedizin eröffnet. Er versorgte Klaus Mann mit Tabletten, die ihn von seiner Heroinsucht befreien sollten. Doch seine Bemühungen blieben erfolglos. Am 21. Mai 1949 nahm sich Klaus Mann im Alter von 42 Jahren in Cannes mit einer Überdosis Schlaftabletten das Leben und wurde auf dem Cimetière du Grand Jas beigesetzt. Erika kam über den Verlust ihres geliebten Bruders nie hinweg.
Erika blieb in Amerika. Am 15. März 1937 sprach sie auf der ersten amerikanischen Massenkundgebung gegen Hitler im New Yorker Madison Square Garden vor mehr als 20.000 Menschen. Sie ging auf Vortragsreisen und war in den 1940er Jahren Kriegsberichterstatterin in Spanien, Ägypten, Persien, Palästina, Belgien, Frankreich sowie Beobachterin beim Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess. 1947 begleitete sie ihren Vater auf seiner ersten Europareise nach dem Krieg. Thomas Mann betrachtete sie als „Sekretärin, Biographin, Nachlasshüterin, Tochter-Adjutantin”. 1952 verließ sie die Vereinigten Staaten und übersiedelte, zusammen mit ihren Eltern, in die Schweiz. Nach dem Tod Thomas Manns, 1954, betrachtete sie es als Hauptaufgabe, die Nachlässe ihres Vaters und ihres Bruders zu verwalten. Gesundheitlich ging es ihr immer schlechter. Sie starb am 27. August 1969 im Kantonsspital Zürich an einem Gehirntumor und wurde im Familiengrab auf dem Friedhof in Kilchberg beigesetzt.
