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10.08.2023, 15:11 Uhr
Harald Beck
Text & Debatte

„Minga“ – ein Unwort? Eine Replik von Harald Beck

Freilich ist es Pfuideifi, wenn das Hannoveraner Kindl Doris Dörrie anlässlich ihrer Ernennung zur Ehrenbürgerin von „magic Minga“ spricht. Schon weil’s ein bisserl einfallslos ist, noch einmal nachzubeten, was man vor 15 Jahren beim Stadtgründungsfest zum Beifall aller anwesenden Loden-Frey-Schnösel g‘sagt hat. Von wegen medschick!

Aber wenn Wolfgang Görl in der Süddeutschen „Minga“ deshalb zum Unwort erklärt („Kein Münchner, der seine Stadt liebt und dieser Liebe sein gesamtes Vermögen zur Begleichung der Miete opfert, würde dieses Unwort auch nur in seiner Nähe dulden.), dann schütt‘ er einfach ‘s Kind mit ‘m Bad aus.

„Münga“ (auch Münka) war schon im 19. Jahrhundert eine häufig gebrauchte Dialekt-Variante von München. Die Schreibung „Minga“ setzt sich erst nach und nach im 20. Jahrhundert durch. Um 1915 verwenden sie Lena Christ und Ludwig ThomaDetlev von Liliencron benutzt die i-Schreibung allerdings bereits in einem Brief Ende Februar 1890: Aus der Königinstraße in München schreibt er an den Rechtsanwalt Kröger: „Als mein Tagebuch, das ich bisher in Minga (so nennen die Land-Bergbewohner München) schrieb, darf ich Ihnen beim Erscheinen meines nächsten Gedichtbuches die Lieder bezeichnen, die es darstellen.“ Ob Münga oder Minga, entscheidet das Ohr, und Liliencron hatte ein feines.

Schon 1827 adelt Schmeller in seinem Bayerischen Wörterbuch das unschuldige Dialektwörterl mit dem Zitat: „D Isa rinnt z Münga für [vorbei]“.

Der wohlvergessene Münchner Haus- und Hofdichter Peter Auzinger reimt in seiner Sammlung Eichenzweig und Daxbosch’n von 1877 vielversprechend:

Auf Münga kimmt a Deandl nein,
War jung und sauba und a fein

Und die Münchener Ratsch-Kathl vom 11. Januar 1896 bietet eine Auswahl von „Münchner Schnaderhüpferl“ an:

Münga grenzt gegn Nord’n
Dös woas ma jetzt gwiß,
Ans nördliche Eismeer
Weils Bier so kalt is.

A Privatier z‘ Schwabing
Der sagt‘s alle Tag,
Daß z‘ Münga guat z‘leb’n is,
Wenn ma Bräuaktien hat.

Im selben Jahr erfahren wir in Otto Julius Bierbaums Roman Die Freiersfahrten und Freiersmeinungen des weiberfeindlichen Herrn Pankrazius Graunzer, der Schönen Wissenschaften Doktor, nebst einem Anhange wie schließlich alles ausgelaufen. „... und dann war es auch Brigittens Wunsch einmal auf „Minga“ zu fahren, bevor es in die Fremde geht.“

1912 findet sich in Lena Christs Erinnerungen einer Überflüssigen das von Münka abgeleitete Adjektiv Münkara (heute Mingerer): „Dirnei, jatz muaßt brav sei, d'Münkara Muatta kimmt; dö bringt dir ebbas Scheens mit.“

Ein Beitrag im Sammelblatt des Historischen Vereins Ingolstadt von 2016 schildert eine Begegnung im Jahr 1948, deren Dialog den Einzugsbereich von Minga deutlich erweitert:

Ich fragte den Schreihals, woher er komme. ‚Ja, vo Minga!‘ ‚So, so, i hab aa an Bruada z‘ Minga.‘ ‚Naa, naa, bei Minga bin i her!‘ ‚Ja, woher nacha?‘ ‚Vo‘ Ing‘lstod!‘ ‚Na bin i aa vo Minga, i bin vo Sieg’nburg in der Holledau!‘

Münga/Minga rutscht halt einfach besser durch die Kehle als München mit seinem stimmlos velaren Frikativ.

Wenn die falschen Leute ein richtiges Wort in den Mund nehmen, mag zwar gelegentlich verbale Halitosis entstehen, aber noch lange kein Unwort. Selbst „zugroaste Schlawiner“ (Ludwig Thoma in seinem Einakter Waldfrieden von 1916) dürfen versuchsweise Mundart in den Mund nehmen, auch wenn’s den Einheimischen sauer aufstößt.

Für echte Unwörter ist übrigens z‘ Minga immer noch der Wirtschafts- und Stammtisch-Minister zuständig.

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Harald Beck, geboren 1951 in München, war Mitarbeiter an der Critical and Synoptic Edition des Ulysses. Er übersetzte u.a. James Joyces Dubliners, den Monolog der Molly Bloom aus Ulysses sowie den Anfang von Finnegans Wake. Er ist zudem Münchner in fünfter Generation und schreibt sprach- und literaturgeschichtliche Beiträge.