Info
15.10.2020, 11:50 Uhr
Bernd Zabel
Text & Debatte
images/lpbblogs/instblog/2020/gross/Dachau_Moabit_gross.jpg

Begegnung mit Albrecht Haushofer: Eine literarische Collage

Wer die Straße, die vom Ammersee nach Andechs führt, befährt, passiert auf dem Scheitelpunkt des bewaldeten Höhenrückens einen Wegweiser mit der Aufschrift: Hartschimmelhof, Privatstraße. Nur wenige wissen, dass sich der Hof seit Generationen im Besitz der Familie Haushofer befindet. Haushofer? Albrecht? Verfasser der Moabiter Sonette? Da klingelt es bei manchem. Als politischer Gefangener, den Verschwörern des 20. Juli 1944 zugerechnet, unmittelbar vor Kriegsende ermordet, hat er in der Haft ein einzigartiges literarisches Zeugnis verfasst, eben diese 80 Sonette, die in den 50er und 60er Jahren zur Pflichtlektüre im Deutschunterricht gehörten.

Auf diese Weise ist auch Norbert Göttler mit den Gedichten in Berührung gekommen, als Gymnasiast in Dachau. Die Erinnerungen aus der Nachkriegszeit verbindet er mit Zitaten aus den Sonetten und mit der Geschichte ihres Autors und bezeichnet das schmale Bändchen bescheidenerweise als literarische Collage. Aber es ist mehr als das. Am Leben Haushofers wird exemplarisch deutlich, wie der deutsche Konservativismus zum Steigbügelhalter des Nazismus wurde – ohne es in letzter Konsequenz zu wollen. Man könnte meinen, diese Geschichte wäre schon allzu oft und an vielen Beispielen erzählt. Aber gilt es nicht, jede Generation aufs Neue mit der Problematik zu konfrontieren?

1903 als Sohn des bayerischen Generals und späteren Professors für Geopolitik Karl Haushofer geboren, wird Albrecht in die Fußstapfen des Vaters treten, allerdings nicht in München, sondern in Berlin, wo er seine Theorien zur Verbindung von Geographie und Geschichte entwickelt.

Schon bald kommt er mit den Spitzen des Dritten Reichs in Kontakt. Die Weltläufigkeit und besonderen Sprachkenntnisse des England-Experten erweisen sich für die neuen Machthaber als nützlich. Er übernimmt diplomatische Missionen, fungiert sogar zeitweise als Dolmetscher Hitlers. Innerlich bleibt er aber distanziert und entfernt sich zunehmend von der braunen Macht, er kommt in Berührung mit dem Widerstand, ohne sich jedoch aktiv an der Vorbereitung und Durchführung des Attentats vom 20. Juli 1944 zu beteiligen. Dennoch wird er verhaftet, im Gefängnis an der Lehrter Straße inhaftiert und immer wieder verhört. Als die Rote Armee Berlin bereits erreicht hat, wird Albrecht Haushofer bei der Evakuierung von SS-Schergen erschossen.

Göttler stellt diese Ereignisse nicht linear dar. Er greift vor, blendet zurück und schildert in kurzen, prägnanten Szenen entscheidende Momente. Der Leser begegnet der Familie Haushofer in nachgestellten Gesprächen. Erinnert wird aber auch an unbekannte Schicksale, um stellvertretend auf die schier unüberschaubare Menge anonymer Opfer hinzuweisen.

„Fiktive Dialoge und Monologe sind eine von vielen Möglichkeiten der Spurensuche. Sie sind fiktiv, aber nicht beliebig. Sie sind historisch verantwortbar und – hoffentlich – erhellend“, heißt es zu Beginn des Buchs. Höhepunkt eines solchen Dialogs ist das Interview, das Erika Mann mit Karl und Martha Haushofer zu führen versucht. Als „embedded journalist“ der US-Armee trifft sie auf zwei verbitterte, hartnäckige Nazis, die sich wenig später das Leben nehmen werden.

Norbert Göttler legt mit diesem Band ein hochverdichtetes, sehr persönliches Zeugnis ab, das den Leser von der ersten bis zur letzten Zeile in Atem hält.