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16.02.2023, 11:43 Uhr
Thomas Lang
Spektakula
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Maschinelles Schreiben beim Brechtfestival 2023

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Alle Fotos (c) Literaturportal Bayern

Vom 10. bis 19. Februar 2023 finden in Augsburg die Brechttage statt. Besonders ist in diesem Jahr nicht nur, dass ein Jubiläum ansteht, der 125. Geburtstag des Dichters, sondern auch das gesamte von aktuellen gesellschaftlichen Diskursen inspirierte Programm des Festivals. Dazu gehört auch die Auseinandersetzung mit dem digitalen Medium. ChatGPT, die offene, KI-basierte Chatanwendung der Firma Open-AI, soll dabei ein neues Theaterstück von Bertolt Brecht schreiben. Wird der 11. Februar 2023 in die Literaturgeschichte eingehen?

An diesem Samstagmorgen scheint die Sonne in dem noch etwas dunstigen Himmel über Augsburg. Der Lech liegt dünn und schwächelnd in seinem tiefen Bett. Die Straßenbahn passiert die Brücke vom Zentrum der Stadt nach Lechhausen, einem einst von Arbeitern geprägten Teil der Stadt. Es sind nur wenige Minuten Fußweg von hier zum Heim eines Trachtenvereines, dem Saalbau Krone. In der vereinsheimtypischen Atmosphäre mit holzvertäfelten Wänden und grauen Linoleum-Böden, in der unstylischsten aller möglichen Welten, soll heute Zukunft gemacht werden. Die Wahl der Räumlichkeit ist Programm, Julian Warner, Kurator des Festivals, und sein Team wollen Brecht zu den Leuten bringen und nicht die Leute zwingen, zu Brecht zu kommen. Und die Leute bestehen in Augsburg zum größeren Teil nicht eben aus Kulturbürgern. Rundum wohl fühlten sich die Festivalmacher jedoch nicht in den Räumen der Trachtler. Sie haben bunte Tücher über die Bilder an der Wand gehängt und offenbar auch ein missliebiges Kreuz verhüllt, von den Decken hängen Stoffkokons, die an Lampenschirme denken lassen. All das wurde aus re- oder upcycelten Materialien hergestellt. Der Raum ist damit re- (oder up?) definiert, die Brecht-People haben dem temporären Basecamp des Festivals ihren abwaschbaren Stempel aufgedrückt.

Gameshow mit den Brechtianer*innen Dr. Michael Friedrichs (Hg. Dreigroschenheft) und Antigone Akgün (Regisseurin); links Julian Warner (Moderator, Kurator Brechtfestival).

Zur Einführung in das Thema des KI-basierten Schreibens dient eine Spiel-Show. Zwei Expert*innen – Dr. Michael Friedrichs, u.a. Herausgeber des Dreigroschenheftes, und die Regisseurin Antigone Akgün – wählen aus einer Wand Zitate zu verschiedenen Brechtschen Themen. Dazu gehört das Eigentum so gut wie das Theater, die Menschen oder der Faschismus. Darunter ein Kästchenfeld von unterschiedlich hohen Dollar-Summen, hinter denen sich verschiedene Zitate verbergen. Die Herausforderung besteht darin zu erkennen, ob es sich um ein echtes Brecht-Zitat handelt oder eines, das ChatGPT verfasst hat, der KI-basierte Textbot, über den zur Zeit alle reden, weil er angeblich ohne weitere Hilfe ganze Hausarbeiten und vermutlich auch Bibeln, Koch- und Telefonbücher schreiben kann. „Kommunismus für 800“, ruft etwa ein*e Teilnehmer*in. Das Zitat wird eingeblendet, und wer zuerst zu wissen glaubt, ob es sich um einen Fake handelt oder nicht, drückt einen Buzzer. Beide Teilnehmer liegen mit ihren Einschätzungen häufig, aber nicht immer richtig. Pathos ist etwa eines der Kriterien, das ChatGPT zu entlarven hilft, manchmal dient auch das eigene Gedächtnis bei der Bewertung – „Moment, das habe ich schon mal irgendwo gelesen“.

 

Die Kunst des Kuratierens

Nach der Show kommt der Ernst, wir wechseln von Jörg Pilawa (alias Julian Warner) – oder wer immer inzwischen Gameshows moderiert – zu Markus Lanz (alias Julian Warner), der immerzu Talkshow moderiert. Das Podium ist besetzt mit Literatur-Verleger Jörg Sundermeier (Verbrecher Verlag), Tina Lorenz, der Leiterin der Digitalsparte des Staatstheaters Augsburg, und Timo Daum, derzeit Mitarbeiter bei der Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung. Daum will den Zuschauern im Saal und vor den Monitoren erst einmal die Angst nehmen. Unsere Arbeitsplätze etwa seien wegen ChatGPT nicht in Gefahr. Anschließend macht Daum jedoch deutlich, dass uns durchaus ein radikaler Wandel bevorstehen dürfte. Texte würden sich maschinell verfassen lassen, das sei ein technologischer Game-Changer. Experten (wir! Experten!) seien jedoch nach wie vor nötig, um die Spreu vom Weizen zu trennen.

Julian Warner, Jörg Sundermeier, Tina Lorenz und Timo Daum (v.l.n.r.) im Gespräch über ChatGPT.

Alle drei Versammelte geben sich aufgeschlossen, also technikaffin. Tina Lorenz etwa erzählt, dass sie Leporello-Texte schon längst mithilfe Künstlicher Intelligenz verfertige. Verleger Sundermeier träumt von einer Anwendung, die ihm jedes dritte „aber“ durch ein „jedoch“ ersetze, und spricht darüber, dass er dank der Übersetzungsapplikation DeepL nun in die Lage gesetzt sei, Texte zu lesen, deren Sprache er nicht beherrsche wie das Portugiesische; nur für einen groben Eindruck, versteht sich. Auf die Frage, ob er sich Sorgen um seinen eigenen Job als Verleger mache, sagt er nein, solange es noch ein Lektorat und einen Vertrieb brauche, mache er sich keine Sorgen. Ob er sich irgendwelche Sorgen darüber macht, welche Art von Texten er aber (jedoch?) in Zukunft verlegen wird, erfährt das Publikum nicht.

Der Künstler, sagen wir für diesen Fall: die Autorin, werde zum Kurator und müsse sich demnach keine Sorgen machen. Er bleibe die entscheidende Instanz bei der Auswahl der Texte, die Bots wie ChatGPT ihm vorschlügen. Wo bleibt denn die Freude am Tun, was geschieht mit der Kunst als Spiel? „Homo ludens“, gibt jemand vom Podium, das ja auch eine Art Bühne ist, zurück, es folgen jedoch (aber) nur ein paar stumme Pünktchen, und Tina Lorenz versichert, dass die Arbeit mit ChatGPT großen Spaß mache. Die Autor*in schweigt, ist aber nicht zufrieden. Das Schaffen oder Schöpfen, wie man heutzutage gern sagt, spielt in den Köpfen der drei Podiums-Schauspieler* oder hier: Expert*innen offenbar keine besondere Rolle. Hauptsache scheint eher die nächste Optimierungsschleife zu sein. So viele Daten wie der Chatbot kann kein Mensch heranziehen, wenn es um die Produktion von Texten geht. Tolle Sache. ...

 

Der letzte Pflaumenbaum

Am Abend trifft man sich zu rund zwanzig Leuten in einer Zoom-Konferenz. Es beginnt der kreative Teil des „Brechtmaschine“ genannten Projektes. Die Autor*in, hinter der, wie ich jetzt oute, der Verfasser dieses Berichts steckt, beteiligt sich. Wir werden in zwei Gruppen eingeteilt. Die eine nutzt den Algorithmus GPT-3 auf Google Docs, die andere arbeitet schlicht mit einem Text-Editor, in den die Vorschläge des Chatbots eingefügt werden. Ich gehöre zur letzteren Gruppe. Aufgrund von technischen Problemen (das bei bald jedem Start anstehende Zoom-Update funktioniert nicht und ich muss die App ganz neu installieren, dann den Ton neu einrichten) verpasse ich den Anfang. Offenbar hat die Gruppe sich entschieden, vier Personen auftreten zu lassen: einen Grundbesitzer, eine Biene, eine Aktivistin und den Gott der Zeit Chronos. Chronos hat eine Einschränkung, er kann zwar die Zukunft sehen, aber nicht die Gegenwart. Das macht ihn zunächst etwas passiv, später wird er zur Gewalt aufrufen. Der Grundbesitzer will eine Wiese kaufen und darauf ein Haus bauen. Der dort befindliche Pflaumenbaum muss dem Vorhaben weichen. Die Biene will das verhindern, hat aber keine Mittel. Die Aktivistin hat Mittel, etwa eine Hupe, weiß aber zunächst nicht, ob sie es verhindern will.

Mensch und Maschine – im Google-Dokument ist der Anteil von GPT-3 am neuen „Brechttext“ gelb markiert.

Bei der Arbeit mit GPT-3 zeigt sich, dass der Algorithmus eine starke Gewaltneigung hat. Mehrfach führt er die Handlung so, dass jemand erschossen werden soll. Auch das am Morgen schon bemerkte Pathos taucht in vielen maschinell geschriebenen Dialogsätzen auf. Ein Schelm, wer daran denkt, mit welchen Daten die KI wohl gefüttert wurde. Wir Menschen leisten Widerstand, wir wollen nicht, dass der Konflikt in ein Blutbad ausartet, übernehmen die Maschinenvorschläge nur partiell und speisen GPT-3 immer wieder mit unserem aktuellen Arbeitsstand. Einmal führt die Software eine neue Person ein – einen Grabräuber, der in keinem Zusammenhang mit dem bisher Geschriebenen steht, aber womöglich einen höheren Grad an Spannung verspricht. Was ist ein Pflaumenbaum schon gegen eine geheimnisvolle Gruft, ein Kapitalist gegen Indiana Jones, eine Biene gegen Lara Croft? Wir sperren den Kriminellen jedoch (!) wieder aus. Warum auf einmal der Bodensee eine Rolle spielen soll, also als Location, bleibt vollends das Geheimnis der KI.

Den vielleicht brechtischen Schluss der Szene mit einer Hinwendung ans Publikum, das mitentscheiden soll, ob der Konflikt am Ende mit Gewalt oder mit solidarischem Handeln zu lösen ist, erzwingen wir menschlichen Autor*innen auf der schmalen Basis unserer Informationen über Literatur und Gesellschaft. Als wir nach zwei Stunden unsere Breakout-Sessions beenden und uns alle zusammen im digitalen Konferenzraum treffen, entscheiden weder wir noch der Bot, ob wir gerade Literaturgeschichte geschrieben haben. Wir lesen uns vielmehr gegenseitig die neuen Stücke von Bertolt „Bot“ Brecht vor. Es zeigt sich, dass die zweite Gruppe der KI mehr Raum gelassen hat und die ganze Sache, wie der verräterische Titel „Revolver, ganz groß“ schon ahnen lässt, in einem Blutbad endet. Auch der Bodensee kommt in dem anderen Stück vor. Das könnte daran liegen, dass für beide Stücke dieselbe „Engine“ benutzt wurde. Nein, ich erkläre nicht, was das bedeutet, wir sind ja hier kein Tech-Mag. Für Menschen, die wie ich quasi aus dem schamanistischen Zeitalter direkt in die digitale Welt katapultiert wurden, bedeutet es in etwa: Es gibt geheimnisvolle Zusammenhänge unter der Oberfläche dieser Anwendung, die wir allenfalls erahnen können. Alles ist verbunden. Stimmt, auf dieser Basis ist bereits eine KI-Religion gegründet worden. Hoffentlich ist der Gott Cyber nicht ähnlich hilflos wie der schließlich zur Gewalt aufrufende Gott Chronos in „Der letzte Pflaumenbaum“. Oder hoffentlich ist er es.

Darauf rauche ich eine Zigarre. (Br)echt jetzt.