Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (45). Und erntet alles ab, was nicht winterfest ist, und fühlt sich prinzessinnenhaft

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.

Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln. Die Kolumne pausierte und wird ab heute wieder fortgesetzt.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.

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45

Ich muss noch einmal über meine Hochbeete schreiben. Weil, wann anders kann man das tun, als in der Jahreszeit, in der man erntet. Jetzt also. Ich lasse dieses Mal aber die wildwüchsigen Tomaten außen vor. Sie waren ja im letzten Text schon dran. Obwohl ich vielleicht doch noch sagen muss, dass die eine oder andere Tomate, die im Hochbeet oder in irgendeinem Topf im Garten wächst, nie schaden kann, wegen des sehr eigenen Geschmacks oder Umamis, das vom Glutamat kommt, und das in vollreifen Tomaten reichlich vorhanden ist – und der Gemüsesuppe, über die ich nun schreiben möchte, immer gut tut.

Ich glaube, die Suppe hat sich ganz klammheimlich in mein Hochbeet geschlichen. Ich kann sie nämlich immer schon sehen, bevor ich sie koche.

Ich stehe also vor dem Hochbeet und betrachte die Erbsen, und daneben die Buschbohnen und den roten Mangold, und zack: sehe ich Minestrone. Oder ich stehe da und betrachte den aufschießenden Koriander und die Lauchzwiebeln und das Grün der Karotten und sofort schmecke ich eine japanische Gemüsesuppe mit Sobanudeln.

Oder ich schwitze an einem dieser sehr heißen Sommertage am Gartentisch bei der Arbeit und kann geradezu zuschauen, wie die eine Gurkenpflanze Früchte für eine Großfamilie produziert. Und peng, weiß ich, im Kühlschrank ist fetter griechischer Joghurt, und klar, was jetzt kommt: wir essen kalte Gurkensuppe zum Lunch, weil bisschen Knoblauch und Chili hat entweder das Beet oder die Küche immer. Und dann noch Salz und Pfeffer und gutes Olivenöl: Beste Gurkenkaltschale.

Oder (ich wollte sie ja eigentlich gar nicht mehr erwähnen) die gar nicht erwarteten Tomaten wuchern und schaffen es gleichzeitig mit der einzigen Paprikapflanze reif zu werden: Dann denke ich an meinem Mann. Der liebt nämlich Gazpacho und kann auch sehr Gutes selber machen.

Es ist also ganz gleich, was ich im Hochbeet wachsen sehe, immer wächst darin eine Gemüsesuppe. Und immer hält diese Gemüsesuppe sich an keine Regel.

Alles ist möglich, wenn es irgendwie gelingt, es zu verbinden.

Rote Beete als Suppe zum Beispiel mit Borretschblättern und Blüten, das Rot der Beeten und das Grün der Blätter darin und die blauen Blüten darauf: Und sofort wird alles ganz romantisch und man fühlt sich ein bisschen prinzessinnenhaft.

Oder Kürbis, der geht eh immer, und in allen Variationen, das will ich jetzt gar nicht wirklich erwähnen.

Aubergine geht auch gut: mit Chili, die auch in meinem Hochbeet wächst, und Frühlingszwiebel oder mit Basilikum und eben der Tomate, von der ich eigentlich nicht mehr rede. Und dann noch ein bisschen Limettenschale, etwas Kreuzkümmel, voilà!

Ganz wichtig aber ist es dem Hochbeet zu danken!

Was eigentlich nur heißt: dass ich mich im späteren Oktober vor den Beeten verbeuge und alles abernte, was nicht winterfest ist: die letzte noch wachsende Möhre, den letzten Brokkoli, die letzten Ringelbeten, den letzten Sellerie, den aufgeschossenen Fenchel, das restliche Basilikum, die letzten Tomatillos, Chilis, den Majoran, die letzte Tomate vielleicht, den Ingwer, den ich ausgrabe, die letzte rote Beete, ein paar Blätter Kohl oder Wirsing. Und dann werfe ich (fast) alles in einen sehr großen Topf, und lasse es so lange auskochen, bis der beste Gemüsefonds entstanden ist, den man sich vorstellen kann. Der reicht dann so lange, bis wieder was Neues in den Beeten wächst. Und anstelle der Hochbeete ist dann immer eine Gemüsesuppe da.

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Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.

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