Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (51). Und hat keine Angst mehr vor dem Herbst

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.

Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln. Die Kolumne pausierte und wird ab heute wieder fortgesetzt.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.

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51

Ich bin im Mai geboren. Also in einer Zeit, in der alles beginnt, aufzuwachen, sich aufzubäumen, grün zu werden. Die ersten Erdbeeren reifen, die ersten Blumen blühen, die ersten Kräuter kann man ernten. Und immer dann, habe ich das Gefühl, ich lebe auf. Das ist meine Zeit.

Und immer überkommt mich, wenn der Herbst beginnt, so eine Melancholie. Ich zähle die Monate, obwohl ich weiß, es liegen genau sechs Monate zwischen September, wo das wehmütige Gefühl beginnt, und Mitte/Ende März, wo mit den Vögeln, die zu zwitschern beginnen, und den ersten grünen Spitzen, die hervorknospen, ich meine Freude darüber spüre, dass alles wieder wächst.

Seit vorgestern aber, ich war fast drei Wochen nicht auf dem Land, sondern in Städten, München, Frankfurt und Berlin, nehme ich auch noch etwas anderes wahr. Und wenn ich darüber hier schreibe, ist es auch eine Suche danach, was das genau ist.

Klar, sind das die Farben des Herbstes, die warmen Orange- und Brauntöne, die ins Gelb verblassenden Grüntöne der Blätter vor meinem Arbeitsfenster, die leuchtend gelben Blätter der Pappel, die sich im Wind bewegen, als seien sie aus Papier, das Rascheln von Laub beim Gehen, wenn ich durch die Wiese zum Kompost stapfe, die sanfte Färbung der Hügel an diesen letzten warmen Sonnentagen, die letzten Ameisen, die noch ihre Arbeit einbringen, bevor es friert, der modrige Geruch von sich zersetzendem Laub, die Pilze, die überall aus der Erde schießen, das schon dick gefressene Eichhörnchen, das arbeitet, wie Eichhörnchen eben nur im Herbst arbeiten, um allen Vorrat einzubringen, die Hummeln, die Freude haben am blühenden Brokkoli im Hochbeet.

All so etwas sehe ich.

Und auf dem Spaziergang all die Beeren der Eschen und was auch immer, die nun so reif sind, dass die Vögel sich freuen. Es gibt Futter. Auch die Hagebutten in unserem Garten sind reich bestückt mit Beeren. Ich sehe, wie die Blätter den Altholzhaufen bedecken, und sofort denke ich an den dicken Igel, den ich in diesem Sommer immer wieder durch den Garten habe gehen sehen, er wird hier einen perfekten Unterschlupf finden.

Und ich beobachte mich beim Denken.

Was hat sich verändert, dass ich das alles so sehen kann, frage ich mich, und womit hat es zu tun?

Der Herbst macht mir keine Angst mehr. Und es könnte sein, dass das damit zu tun hat, dass ich, seit ich die Natur genauer beobachte, seit ich wahrnehme, wie die Jahreszeiten ineinander übergehen, sehe, höre, spüre, wie sich Licht und Farben, Geräusche und Tätigkeiten der Tiere verändern, seit ich dadurch, dass ich in der Natur lebe, ihr auch näher bin, so nah, dass ich manchmal denke, ich bin ein Teil von ihr und nicht mehr nur ihre Konsumentin; dass ich seither vor allem sehe, wieviel Energie ich daraus ziehe, dass wenngleich ich manches bestimmen kann, was in meinem Garten und also in der Natur passiert, manches einfach kommt und wieder geht – sich aber letztendlich meiner Kontrolle vollkommen entzieht. Wie gut das ist, und wie ruhig mich das macht.

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Alle Folgen der Kolumne finden Sie HIER.

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