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13.01.2022, 11:51 Uhr
Klaus Hübner
Text & Debatte
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Gab es um 1848 herum eine Literatur in Bayern?

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Abfahrt König Maximilians II. vom Landtagsgebäude in der Prannerstraße 20 (Nähe Promenadeplatz in München) nach Eröffnung des Landtags am 22. März 1848

Die 143. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Avantgarde. Darin rezensiert Klaus Hübner den neuen Band in der Reihe Geschichte der deutschsprachigen Literatur.

Literaturgeschichten? Wer um alles in der Welt liest denn heute noch so was? Ein paar Liebhaber vielleicht. Und die Germanisten, wobei ich mir da nicht wirklich sicher bin ... Jedenfalls ist es dem Verlag C.H. Beck hoch anzurechnen, dass er sich nicht beirren lässt und die von den lang verstorbenen Gelehrten Helmut de Boor und Richard Newald begründete Geschichte der deutschen Literatur von den Anfängen bis zur Gegenwart weiterführt. Gerade ist Band VIII erschienen, in dem es unter der Überschrift Vormärz – Nachmärz um die vier Jahrzehnte zwischen 1830 und 1870 geht. Die »deutsche Literatur« ist schon lange zur »deutschsprachigen Literatur« mutiert, was nicht nur deshalb überzeugt, weil bedeutende und ausführlich behandelte Autoren jener Zeit – Keller, Gotthelf, Stifter, Grillparzer und viele andere – mit diesem Epitheton genauer charakterisiert sind. Auch der 1838 gestorbene Adelbert von Chamisso. Nicht einmal alle Dichter des »Jungen Deutschland« waren nur deutsch.

Ob Peter Sprengel, der schon die Bände IX/1 (1870-1900) und IX/2 (1900-1918) dieser verdienstvollen Literaturgeschichte verantwortet hat, einer der ganz großen Germanisten im Lande ist, wie ich mit Gründen vermute, soll die Fachwelt beurteilen. Sein »Porträt einer Epoche« und seine Darstellung von »Politik, Öffentlichkeit und Literatur« in den fraglichen Jahren liest man jedenfalls mit beträchtlichem Gewinn, und damit ist man auch schon fast zur Hälfte durch mit diesem Buch. Was folgt: »Literaturgeschichte nach Gattungen«, also Epik, Dramatik, Lyrik und sehr – interessant – nichtfiktionale Prosa wie Biografie, Tagebuch oder Reisebild. Die wichtigsten Werke aus der Mitte des 19. Jahrhunderts werden kenntnisreich vorgestellt. Was auch sonst? So soll es sein in einer Literaturgeschichte, und so ist es auch hier. Peter Sprengel sei »die gültige Darstellung der Epoche gelungen«, schreibt Jens Malte Fischer in der Süddeutschen Zeitung, und dass man hinter »diese ebenso farbige wie lektüreanregende Darstellung ... vernünftigerweise nicht mehr zurückfallen« könne. Dem ist nichts hinzuzufügen. Oder doch?

Das Königreich Bayern taucht mal kurz im Abschnitt »Lola Montez und die bayrische ›Morgenröte‹ 1847« auf, scheint aber für die Literatur jener Zeit kaum eine Rolle gespielt zu haben. Natürlich gibt es bei Heine, Hebbel oder Keller, sogar beim damals gern gelesenen preußischen Vielschreiber Gutzkow, biografische Verbindungen zu Bayern, die auch in manchen ihrer Werke ihren Niederschlag gefunden haben. Natürlich dürfen Heyse, Geibel und der vielseitige Münchner Krokodil-Kreis nicht fehlen, und natürlich sind zwei der großen Poeten der Zeit, August von Platen und Friedrich Rückert, eng mit Franken verbunden. Aber sonst? Neun Zeilen über Ludwig Steubs Deutsche Träume (1858), etwas mehr über Melchior Meyr und seine Erzählungen aus dem Ries (1856/ 60) oder Wilhelm Heinrich Riehls Culturgeschichtliche Novellen (1856), ganz am Schluss noch Aufschlussreiches über Der Einzige und sein Eigentum (1844) von Max Stirner. Kein Schmeller, kein Kobell, kein Pocci, kein Stieler und kein Noe, ganz abgesehen von ... Waren und sind diese Autoren im deutschsprachigen Raum wirklich so unbedeutend oder randständig? Hmm. Es wäre etwas kleingeistig, würde man bei einem derart gehaltvollen Opus wie dem von Peter Sprengel da­mit anfangen, Nord und Süd oder gar Bayern und Preußen gegeneinander aufzurechnen. Oder Bayern und die Schweiz. Aber ein bisschen mehr Literatur in Bayern hätte es schon sein dürfen.

 

Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1830-1870. Vormärz – Nachmärz. Verlag C.H. Beck, München 2020.