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Weihnachtsbuchtipp (2): Ein poetischer Dialog zwischen SAID und Yamen Hussein

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Gemeinsam im Literaturhaus München (von links): Musiker Roman Bunka, Yamen Hussein, SAID, Schauspieler Paul Herwig und Writers-in-Exile-Beauftragte Franziska Sperr © Heinz Albert Staubitz

Der iranisch-deutsche Lyriker SAID, der vor Jahrzehnten den iranischen Diktaturen entkam, und der syrische Dichter und Exilant Yamen Hussein tauschen sich aus: über Heimatverlust und Sprache, Gewalt und Poesie. Ein Gespräch zwischen Unbekannten in Briefen und Gedichten, vermittelt von 'Writers in Exile' des Deutschen PEN-Zentrums. Der monatelange poetische Dialog ist jetzt, zweisprachig auf Deutsch und Arabisch, im P. Kirchheim Verlag erschienen – als Buch und CD. Marina Babl hat das Buch für uns gelesen.

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Briefe aus dem deutschen Exil

Was jahrhundertelang der übliche Kommunikatiosweg war, ist heute eher zur Ausnahme geworden: das Schreiben von Briefen. Wer sich im 21. Jahrhundert noch Briefe schreibt, tut dies meist aus einem bestimmten Grund. Den Anlass für einen regen und produktiven Briefwechsel zwischen den beiden Dichtern SAID und Yamen Hussein lieferten das Writers-in-Exile-Programm des Deutschen PEN-Zentrums, das Literaturhaus München und der Bayerische Rundfunk. Gemeinsam brachten sie die beiden geflüchteten Autoren, die sich bis dahin nicht kannten, zusammen und animierten sie, sich in Form von Briefen und Gedichten auszutauschen. In unserem digitalen und immerzu topaktuellen Zeitalter eine wundebare Idee, um den eigenen Gedanken ein wenig mehr Zeit und Raum zu geben und sich voll auf sein Gegenüber einzulassen.

Seit der erste Brief geschrieben und abgeschickt wurde, sind inzwischen zwei Jahre vergangen. An Brisanz und Sprachgewalt hat die Korrespondenz über Fremdsein, Heimat, Freiheit und Poesie jedoch in keinster Weise verloren, und das daraus entstandene Buch ist heute aktueller denn je.

 

Ein Schicksal, zwei Geschichten

Fesselnd ist der Briefwechsel der beiden Poeten vor allem deshalb, weil SAID und Yamen Hussein, abgesehen von der Tatsache, dass sie beide flüchten mussten, sehr unterschiedliche Menschen mit je eigenen Erfahrungen und Ansichten sind.

SAID lebt bereits seit 1965 in München. Der 71-Jährige kam als Student und blieb als Flüchtling. Denn die politischen Umstände in seinem Heimatland Iran ließen eine Rückkehr nicht mehr zu. Inzwischen besitzt er die deutsche Staatsangehörigkeit und schreibt Lyrik und Prosa in deutscher Sprache.

Der 34-jährige Yamen Hussein dagegen ist erst seit wenigen Jahren in Deutschland. Als regimekritischer Journalist geriet er in Syrien immer wieder in Schwierigkeiten. Er wurde der Universität verwiesen und mehrmals in polizeilichen Gewahrsam genommen. Als sich Morddrohungen häuften, floh er 2013 über den Libanon in die Türkei und landete schließlich in Deutschland. Ein PEN-Stipendium des Writers-in-Exile-Programms ermöglichte ihm, von 2014 bis 2017 in München zu leben. Dort fand er u.a. über Auftritte mit dem Aktionsbündnis Meet your neighbours Anschluss an die literarische Öffentlichkeit.

Eine klare Abgrenzung der beiden Autoren voneinander vollzieht auch das Buch selbst. Da Yamen Hussein seine Briefe auf Arabisch schrieb, wurden sie erst ins Deutsche übersetzt und dann an SAID weitergereicht. Bei SAIDs Briefen lief es umgekehrt. Um diesen Prozess grafisch sichtbar zu machen, sind Husseins Worte in beiden Sprachen abgedruckt. So kommt der Leser auch mit der arabischen Sprache in Kontakt, und der ein oder andere wird sich womöglich fragen, wie diese eleganten, fremden Zeichen wohl ausgesprochen klingen.

SAID wiederum, der, wie er selbst schreibt, großen Gefallen an der deutschen Literatur gefunden hat, hat eine sehr eigenwilige Benutzung des Deutschen entwickelt: Es ist ganz sein Werkzeug und funktioniert auch ohne Großschreibung.

 

Heimat – was ist das?

SAID hat sich schon lange mit dem Gedanken abgefunden, langfristig in Deutschland zu bleiben. Gleichzeitig schreibt er aber auch resigniert, er wisse nicht mehr, was das Glück sei, habe er doch die Sonne schon zu lange entbehren müssen. Yamen Hussein dagegen hofft noch, irgendwann den Heimweg nach Homs zu finden, hat aber gleichzeitig Angst vor dem, was ihn dort erwartet. Denn kann ein Ort, der so viel Zerstörung und Leid erfahren hat, noch derselbe sein wie vorher?

Dass sie sich nicht dafür schämen müssen, Flüchtlinge zu sein, darin sind sich beide einig. „Dafür müssen sich die anderen schämen – die die flucht erst nötig gemacht haben“, schreibt SAID. Auch Yamen Hussein bekräftigt, er bereue nicht, diesen Weg gegangen zu sein.

Doch wie sollen sie nun mit der neuen Situation umgehen? Mit dem inneren Auge sehen zu lernen, erscheint den beiden Autoren eine mögliche Lösung zu sein: „Ich trainiere meine Seele, damit sie nicht die Schönheit vergisst, die ich in meinem Land kennengelernt habe. Und damit sie die neue, andere Schönheit hier aufnimmt“, so beschreibt es Hussein. Es komme stets auf die eigene Einstellung und Faszination für die einfachen Dinge und Details an.

München allein scheint für beide zumindest bisher keine zufriedenstellende neue Heimat darzustellen (inzwischen lebt Yamen Hussein in Leipzig), stattdessen suchen und finden sie eine wirkliche Heimat nur noch in sich selbst. SAID macht dabei folgenden Vorschlag: „Vielleicht sollte unser auge auch eine andere stadt suchen, ohne aleppo und teheran zu vergessen. Eine fiktive stadt nur für unser auge, nur für unser wort.“ Die Liebe zum verlorenen Heimatland ist dabei kein Hindernis, „sondern der antrieb für eine suche, zu der wir verurteilt sind“. Eine solche Suche ist aber zumindest für Yamen Hussein nicht nur negativ besetzt. In einem Gedicht schreibt er:

 

Ich und die Bücher,

wir haben kein festes Zuhause,

aber das stört uns nicht,

denn die Wörter und ich lieben es

zu wandern,

nichts zu besitzen

und nicht besessen zu werden.

 

© Heinz Albert Staubitz

 

Bei all dem Leid, das ihnen widerfahren ist, wollen sie also eines auf keinen Fall verlieren: ihre Freiheit. Yamen Hussein hat von ihr eine ganz klare Vorstellung: „Ich weiß, dass ich frei bin, solange ich ich selbst sein kann. Solange niemand – außer mein Gewissen – mein Schreiben und Denken zensiert.“ Beide sind sich einig: Erst das Recht auf eine uneingeschränkte Meinungsäußerung macht einen Menschen wirklich frei. Ohne Poesie gibt es keine Freiheit.

SAIDs Ziel ist es, durch sein literarisches Schaffen mehr Schönheit in eine Welt voller Leid und Gewalt zu bringen. Er schreibt „für eine bessere Zukunft“. Der deutlich jüngere Hussein geht in seiner persönlichen Mission noch ein Stück weiter. Man merkt ihm seine Journalistenvergangenheit, seine Wut, seine Energie und seinen Tatendrang deutlich an, wenn er davon spricht, dass Schweigen Verrat bedeute. Auch als Poet müsse man die Augen stets offen halten, dem Unrecht widersprechen und dagegen anschreiben: „Sprache, Kunst und Musik müssen zur Brücke werden im Zeitalter der Grenzen. Sie müssen den Tod zur Ausnahme und das Leben zur Regel machen.“

 

Von Briefempfängern zu Freunden

Eines wollen die beiden aber auf keinen Fall: als reine Exilautoren abgestempelt werden. „Ich fürchte", so Hussein, „dass man meine Texte nur deshalb für gut befindet, weil sie von einem Flüchtling stammen, dem man helfen zu müssen meint. Das wäre für mich der Gipfel der Kränkung.“ Doch diese Sorge scheint in Anbetracht der sprachlichen Kunstwerke von Yamen Hussein und SAID unbegründet. Der Briefwechsel der beiden funktioniert keineswegs nur wegen der autobiografischen Inhalte, sondern lebt mindestens genauso sehr von der Kraft und dem Zauber ihrer Worte.

Mit ebendiesem Zauber gelingt es den Dichtern auch, sich gegenseitig zu beflügeln. Ihre Beziehung wird im Laufe der dreimonatigen Korrespondenz immer enger, und beide betonen, wie sehr sie der jeweils andere in ihrem Denken bereichert. In ihren Briefen werfen sie wichtige Fragen auf und regen sowohl einander als auch den Leser zum Nachdenken an. Und so ist es keine Überraschung, dass sich die beiden bei ihrer ersten Begegnung im Literaturhaus München nicht als Fremde, sondern als Freunde begegnen, und sich herzlich umarmen.

 

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