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28.04.2016, 14:57 Uhr
Sandra Hoffmann
Meet your neighbours
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© Thomas Dashuber

Die Schriftstellerin Sandra Hoffmann über den Begegnungsabend 'Meet your neighbours'

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Rania Mleihi und Björn Bicker, Fotos: Lioba Schöneck

Auf Betreiben der Münchner AutorInnen und LektorInnen Linda BenediktBjörn Bicker, Lena Gorelik, Marion Hertle, Sandra Hoffmann, Katja Huber, Fridolin Schley, Florian Kessler und der Buchhandlungen Isarflimmern, Buch in der Au, Lehmkuhl, Kunst- und Textwerk u.a. wird ab April einmal im Monat eine Münchner Buchhandlung zum Begegnungsort von Alt- und Neu-Münchnern. Die Autorinnen und Autoren stellen Menschen vor, die auf der Flucht nach München gekommen sind. Dazu treffen sie sich in ihren Lieblingsbuchhandlungen und laden alle interessierten Münchnerinnen und Münchner mit und ohne Fluchterfahrung ein. Die Reihe ist unter dem Dach des Aktionsbündnisses Wir machen das entstanden, mit dem auch das Literaturportal Bayern kooperiert. Ein Bericht von Sandra Hoffmann über den ersten Abend am 14.4.2016.

*

Die Verbindung Rania Mleihi und Björn Bicker war ein Glücksfall. Das Publikum saß zwei Künstlern gegenüber, die nicht nur eine Sprache für ihre Arbeit fanden, sondern auch eine für ihre Gefühle und Unsicherheiten. Hinzu kam, dass Rania Mleihi ausgesprochen gut deutsch spricht. Es also keiner vermittelnden Stimme bedurfte. Das Publikum außerdem erleben konnte, wie entspannt man öffentlich sprechen kann und wie es gelingen kann, sehr persönliche Erfahrungen zu schildern, ohne sich dabei zu entblößen.

Björn Bicker stellte die richtigen Fragen nach Herkunft, Ausbildung, Leben als Frau in Damaskus, den Gründen Damaskus zu verlassen. Der Zwischenstation Ungarn. Und nach der Ankunft in München. Wie ist es, hier zu sein.

Rania zog bereits vor fünf Jahren aus persönlichen Gründen nach Budapest. Sie lebte dort vier Jahre, ohne als Künstlerin arbeiten zu können: „Ungarn ist wie Syrien, Viktor Orban, der Geheimdienst, die Rolle der Frau ...“

Seither war sie nicht mehr in Syrien, aber sie möchte dort auch nicht mehr hin.

Warum? Das ist nicht ihr Land. Sie hat sich schon immer noch Deutschland gesehnt. Sie lernt seit 2008 deutsch, war bereits zwei Mal da gewesen, bevor sie jetzt nach Deutschland/München kam, einmal davon war sie zum Theatertreffen in Berlin eingeladen. Sie kann in Syrien nicht „Rania“ sein, sagt sie, als Künstlerin habe sich ihre Arbeit dort erschöpft. Das sagte sie so sicher und selbstverständlich, aber man konnte dennoch spüren, dass diese klare Einsicht mit Trauer verbunden ist. (Auch später gab es noch einmal so einen Moment, das war, als sie mit Björn dialogisch ihren Text Wasser vortrug, in dem sie davon erzählt, wie es ihr geht, wenn sie von ihrer Heimat hört, und wie sie auf facebook syrische Posts liest. Einige davon hat sie übersetzt, die las Björn, der mit ihr auch den darin enthaltenen Dialog übers „Weggehen“ oder „Bleiben und Kämpfen“ las, was auch immer das heißt: Denn ist wegzugehen und für die Freiheit zu kämpfen nicht auch ein Kampf?)

Verblüffend noch vor der Lesung dieses Textes die Antwort auf Björns Frage: Was mit ihr geschieht, wenn ihr Menschen erzählen, wie es in Syrien jetzt ausschaut und was dort geschieht. Sie glaube das dann nicht, sagt Rania. Darauf Björnt: Du glaubst das nicht? Worauf sie antwortet: Es ist, wie wenn Du mir sagst: Das Wasser (im Glas vor ihr) ist schwarz. Es wird dabei so klar, dass in ihrer Wahrnehmung ein Unterschied besteht zwischen durch mündliche Erzählung Erfahrenem und durch gelesene Worte Erfahrenem. Das fiel mir im Nachhinein auf.

Die Einspielung des Radiobeitrags, den Rania für den Bayerischen Rundfunk gemacht hat (Messages from Refugees) war großartig, genauso wie das Selbstinterview, hier nachzuhören.

   

Die Geschichte von Rania ist, wie so viele Geschichten von geflüchteten Menschen, eine ganz eigenständige und singuläre, und das hat sich sehr vermittelt beim Auftakt von „Wir machen das“ in München. Jeder Mensch, der hier ankommt, kommt aus ganz spezifischen Gründen, die gewiss einen gemeinsamen politischen Hintergrund haben, doch dieser wirkt sich auf jeden Menschen und seine Entscheidung anders aus. Mit so einer Erzählung wie der von Rania beginnt die Masse eben in Einzelschicksalen aufzugehen.

Wir kennen jetzt eine Frau, die aus ganz persönlichen Gründen den Weg von Damaskus über Budapest nach Deutschland auf sich genommen hat, die eine Künstlerin ist, etwas zu sagen hat, u.a. an den Münchner Kammerspielen arbeitet und dennoch bis Juli nur eine sogenannte „Fiktions-Bescheinigung“ bekommen hat. Das heißt: Sie darf erst einmal dableiben: bis Juli. Sie hat Angst, was dann passiert, darüber muss sie die ganze Zeit nachdenken.

Ich tue das jetzt auch.

Womöglich tun das jetzt alle fünfzig Gäste aus der Buchhandlung Isarflimmern und alle dortigen Mitarbeiterinnen.

Denen wir um Übrigen sehr danken für den wunderbaren Ort, das Engagement für die Veranstaltungsreihe und die finanzielle Unterstützung.

 

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