Sandra Hoffmann ist: DRAUSSEN (48). Und liest die Natur wie Bücher

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Alle Bilder (c) Sandra Hoffmann

Sandra Hoffmann schreibt Romane, Erzählungen und heimlich Gedichte. Sie unterrichtet kreatives und literarisches Schreiben u.a. am Literaturhaus München und an Universitäten. Außerdem schreibt sie für das Radio und für Zeitungen. Sie lebt in München und Niederbayern, wo sie derzeit viel Zeit in der Natur verbringt. Für ihr literarisches Werk wurde sie vielfach ausgezeichnet; zuletzt erhielt sie für den Roman Paula das Literaturstipendium des Freistaats Bayern und den Hans-Fallada-Preis. 2019 erschien mit Das Leben spielt hier ihr erstes Jugendbuch. Für ein derzeit entstehendes Romanprojekt bekam sie 2020 das Münchner Arbeitsstipendium.

Über einen längeren Zeitraum schreibt Sandra Hoffmann für das Literaturportal Bayern eine Kolumne: DRAUSSEN. Ein Album. Darin schildert sie, was sie auf dem Land und seiner Natur erlebt, ob sie nun Rehe und Fasane beobachtet oder zum Essen aufsammelt, was sie vor sich auf dem Boden findet. Vor allem aber geht es um das Gehen selbst und die Gedankengänge dabei, um ein Flanieren zwischen Bäumen, das Blaue vom Himmel über den Wipfeln. Die Kolumne pausierte und wird ab heute wieder fortgesetzt.

Die Corona-Zeit ist eine Zeit der Einschränkungen, oft der Einsamkeit. Aber an ihr können sich auch die Sinne schärfen. Der besondere Geschmack schrundigen Gemüses, die bangende Pflege eines Quittenbaums. Das ist nichts Geringes. In einer Gegenwart, die uns die Folgen des langen menschlichen Raubbaus an der Natur immer drastischer vor Augen führt, sind darin wesentliche gesellschaftspolitische Fragen angelegt. Die Literatur verfolgt sie seit einiger Zeit mit einer auffallenden Renaissance des Nature Writing, bei Sandra Hoffmann in Form einer Schule der Wahrnehmung: Da DRAUSSEN gibt es etwas zu sehen, zu spüren, zu holen und zu schützen.

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48

Ich liebe Strukturen von Pflanzen.

Manchmal gehe ich einfach nur im Wald herum und schaue mir die Rinden von Bäumen an, die Beschaffenheit von Blättern, den Habitus von Moosen, und mein Auge findet dabei Ruhe und irgendwie auch nicht. Ähnlich ist das mit Steinen, mit dem Sand an Stränden, aber auch mit mir eher unbekannten Bäumen und Pflanzen, in Ländern, in denen ich nicht immer lebe.

Wie Formen und Farben sich verbinden, wie schön Unregelmäßigkeiten, Knoten, Wulste und all so etwas sein können. All das, was wir uns für unsere eigenen Körper nicht wünschen. Wie uns die Natur vorführt, wie verschieden alles ist und wächst, was eine eigene DNA hat.

Wäre ich eine Architektin, ich würde alle meine Häuser und Bauwerke den Pflanzen abschauen. Und dabei wäre ich nicht einmal die erste: Organische Architektur nennt man das, was sich so ungefähr nach dem Zweiten Weltkrieg als eine Strömung entwickelt hat. Das von Frei Otto entworfene Münchner Olympia-Stadion oder das von Frank Lloyd Wright entworfene Salomon R. Guggenheim Museum in New York gehören zum Beispiel dazu.

Als ich jetzt in Griechenland war, betrachtete ich die fleischigen Blätter der Felsenrose, sie gehört zur Gattung der Sukkulenten und braucht wenig Wasser, weil sie viel davon speichern kann, wenn es welches gibt. Welche Schönheit die Anordnung ihre Blätter hat, welche Schönheit überhaupt entsteht, wenn etwas nicht symmetrisch ist, und wie gut sich – wer auch immer von den Insekten – in den Räumen zwischen ihren Blättern einnisten oder aufhalten kann. Geradezu freiräumig ist diese Pflanze.

Oder ganz anders, das Astloch einer Olive, der einmal ein Zweig am Stamm abgeschnitten worden sein muss, und wie die Rinde sich zu einer Rosette um die Narbe, um den Verlust, den sie einmal hatte, schmeichelt, wie zur Wiedergutmachung. Von großer Anmut ist so ein Baum plötzlich.

Einmal sortierte ich am Meer die Steine. Weil ich bemerkte, wie viele Farben von Steinen vorkommen, habe ich sie ein wenig geordnet, zu einem Haufen, zu einer Sammlung. Und vielleicht auch, um zu verstehen, wie das große Ganze, der Steinstrand an sich, der erst einmal nichts Besonderes ist, sich zusammensetzt: wie seine Farbe entsteht, sein Licht, seine Textur.

Manchmal denke ich, ich lese die Natur, wie Bücher. Und das das geht.

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