Info
Geb.: 13.11.1859 in Diez
Gest.: 30.5.1952 in München
Namensvarianten: Anna Maria Schaefer; Anny Stumm

Anny Schaefer

Anna Maria Stumm, Tochter von Balthasar und Clara Stumm, geb. Schneider, wächst zunächst in Diez an der Lahn in der Provinz Hessen-Nassau auf. Als sie sechs Jahre alt ist, zwingen wirtschaftliche Gründe ihren Vater, einen erfolgreichen Schiffsbauer, eine Stelle in Ofen-Pest (Budapest) bei der neugegründeten Donaudampfschifffahrtsgesellschaft anzunehmen. 1871 geht die Familie aufgrund der labilen Gesundheit des Vaters zurück nach Diez, und Anny schließt in Köln ihren Schulbesuch ab. Ein Jahr später zieht die Familie nach Gmund am Tegernsee, wo der Vater die Sägewerke einer Kölner Firma verwaltet. Neun glückliche Jahre, die prägend sind für Anny Schaefer, verbringt sie am Tegernsee, bis der Tod des Vaters im Jahr 1881 die Rückkehr der Familie zu Verwandten in der alten Heimat Diez nahelegt.

Am letzten Tag vor der Abreise begegnet sie vor dem Gasthof „Zum Herzog Maximilian in Bayern“, ohne es zunächst zu ahnen, dem prominenten oberbayerischen Dichter Karl Stieler, der ihr am Ende des Gesprächs ihre Berufung zur Dichterin nahelegt. Erst der Wirt, Max Obermayer, der das Gespräch mitgehört hat, klärt sie auf: „Das war der Stieler Karl – können stolz darauf sein, was er Ihnen gesagt hat.“ Die folgenschweren Zufälle setzen sich fort, als sie auf der Zugfahrt nach Diez Dr. jur. Carl Schaefer, ihren späteren Ehemann, kennenlernt. Nach der Hochzeit 1882 lebt sie mit ihm in München, wo er eine Stelle im Bayerischen Staatsarchiv erhält, in dem auch Karl Stieler bis zu seinem Tod 1885 tätig ist. Aus der Ehe geht eine Tochter hervor.

Allem Neuen aufgeschlossen, gilt sie als eine Pionierin des Damenradfahrens in München. Mit dem ersten Opel-Damenfahrrad in Deutschland und einer offiziellen „Velociped-Karte“ eines Sonntagmittags unterwegs in der Maximilianstraße versetzt sie in den Worten eines empörten Journalisten dem Sittlichkeitsgefühl der Öffentlichkeit einen Faustschlag ins Gesicht. Schon 1888 geht sie mit ihrem Mann auf große Tandem-Touren.

Das Ehepaar Schaefer wird Mitglied der von Ludwig Aub 1888 gegründeten literarischen Vereinigung „Orion“ in München und trägt Gedichte zu einer ersten Veröffentlichung des Vereins bei: Münchener Kindl. Ein litterarischer Almanach (1890). Inspiriert von Texten in Lieder und Bilder (1887) des Schweizer Schriftstellers Johann Jacob Honegger verfasst sie ihre ersten Dialektgedichte, die schon im Herbst 1889 unter dem Titel Aus dö boarischen Berg in der Münchener Kunst- und Verlags-Anstalt Dr. E. Albert erscheinen. 1890 schreibt sie ihr erstes Theaterstück: Bauernliab. Drama aus dem Volksleben. Die Theatergesellschaft Thalia bringt das Stück auf die Bühne der Münchner Kreis-Irrenanstalt mit der Autorin höchst erfolgreich in der Rolle der Vevi, da die Hauptdarstellerin überraschend erkrankt. Ironisch kommentiert Schaefer Jahrzehnte danach den ersten Schauplatz ihres Erfolgs: „Alles, was ich nachher als Bühnendichterin erleben musste, glich einem Narrenspiel.“ Bauernliab wird später als Volksoper von Hans Kößler unter dem, nach Meinung der Autorin, unglücklich gewählten Titel Der Münzenfranz vertont und in Straßburg uraufgeführt.

Vor ihrem ersten eigenen Stück hat die Dichterin bereits Salomon Hermann Mosenthals Sonnwendhof aus dem Jahr 1857 in einer Dialektfassung Auf’m Sunnwendhof bearbeitet, die viel gespielt wird. 1893 verfasst sie das Volksstück In der zwoat'n Instanz, das vom Gärtnertheater sofort angenommen wird, weil man glaubt, es mit einem vielversprechenden unbekannten Autor zu tun zu haben. Als die Dichterin ihr Inkognito lüftet, ist Direktor Lang, der sie früher als Autorin brüsk zurückgewiesen hat, peinlich berührt. Das Werk kann jedoch nach der Uraufführung auf über hundert Vereinsbühnen große Erfolge feiern. Auch das Münchener Drama Frau Lisi wird gut aufgenommen. Mit der Bauernkomödie Zimmer-Vestl erreicht sie im Alter von 39 Jahren den Höhepunkt ihrer Schriftstellerkarriere. Das Stück spielt in Berlin drei Wochen lang Abend für Abend vor vollem Haus. Doch wie Anny Schaefer in ihrer bewegenden autobiographischen Skizze „Mein Dornenweg als Volksdichterin“ eindringlich schildert, tragen diese Erfolge wenig zu ihrem Einkommen bei, sieht sie sich als Frau doch zeitlebens der Profitgier und dem Intrigenspiel von Verlegern, insbesondere Brakl und Köhler des marktbeherrschenden Rubin-Verlags, und Theaterdirektoren wie Georg Lang und Rudolf Opel ausgeliefert. Es ist ihr jedoch bewusst, dass ihre mangelnde Geschäftstüchtigkeit und Bereitschaft nach den Regeln des Gewerbes zu spielen, den „Dohlen“, wie sie ihre Widersacher nennt, in die Hände spielt.

Sie gehört zu einem losen Verband von Münchner Dialektdichtern wie Peter Auzinger, dem Ehepaar Julius und Elise Beck (ebenfalls Mitglieder des „Orion“), Aloys Dreyer, Fritz Druckseis, Wilhelm Dusch, Max Hofmann, Josef (Sepp) Mitterer und Maximilian Schmidt. Neben der niederbayerischen Dialektdichterin Elise Beck ist sie die einzige weibliche Autorin in diesem Kreis. Dreyers Kurzcharakteristik der Anny Schaefer als „sonnigheitere Rheinländerin“ zeugt nicht unbedingt von tiefer Menschenkenntnis.

Im Jahr 1905 lässt sie sich scheiden, da sie sich in ihrer Ehe schon seit Langem „gefesselt“ fühlt. Erst einige Jahre später, von längeren Reisen nach München zurückgekehrt, schreibt sie wieder Theaterstücke: Die verbot’ne Hochzeit mit Ferdinand Benz, das Volksstück Die schwerste Sünde, das am Ulmer Stadttheater erfolgreich uraufgeführt wird, aber aufgrund einer Intervention des Rubin-Verlags wieder abgesetzt wird, ein hochdeutsches Drama Die große Lüge, gefolgt von einem Einakter Moarhans, wieder im Dialekt. Zu ihrem Schaffen gehören auch zahlreiche Prosaschriften, z.B. Reisebeschreibungen, die sie in Zeitungen und Zeitschriften veröffentlicht. 1927 wird sie beauftragt, für ihre Heimatstadt Diez ein Festspiel zu verfassen: Das Diezer Festspiel: Sophie Hedwig, die Mutter des Volkes; zum 600jährigen Stadtjubiläum 1329-1929 wird erfolgreich aufgeführt.

Über Jahrzehnte hinweg ist sie als angesehene Opern- und Theater-Rezensentin für zahlreiche Zeitungen im In- und Ausland tätig, bis ihr in der Zeit des Nationalsozialismus auch diese Verdienstmöglichkeit genommen wird. Eher ironisch als resigniert weist sie auf Lessing hin: „Meine Wünsche waren so schön, dass die Götter es für überflüssig hielten, sie zu erfüllen.“

Ein Leben lang hält sie Verbindung mit ihrer zweiten Heimat, Gmund und dem Tegernsee. So verfasst sie ein Schlusswort zu einem Gedenkbüchlein für Max Obermayer, Gastwirt und über Deutschlands Grenzen hinweg bekannter Pionier der Fleckviehzucht. Auch als sie 1943 ihre Wohnung in der Possartstraße 4 kriegsbedingt verlassen muss, schlüpft sie in Gmund unter, wo sie zuletzt noch ihren 90. Geburtstag feiert. Anny Schaefer stirbt 1952 im Alter von 92 Jahren im Altenheim an der Rosenheimer Straße in München-Ramersdorf, nachdem sie noch wenige Monate vorher ein Interview gegeben hat. Auf ihren Wunsch wird ihre Asche auf dem Kirchhof in Gmund beigesetzt.

Erst ein halbes Jahrhundert später macht Justina Schreibers Rundfunkbeitrag „Der dornige Weg der Anny Schaefer“ ein breiteres Publikum wieder auf Leben und Werk dieser zu Unrecht in Vergessenheit geratenen bemerkenswerten Frau und Schriftstellerin aufmerksam. „Vielleicht werden einmal meine in der Bayerischen Staatsbibliothek hinterlegten Volksstücke von einem jüngeren Kunstbeflissenen entdeckt und gewertet werden“, schreibt die Volksdichterin am Schluss ihrer autobiographischen Skizze. Sie hätte es zweifellos verdient, war sie doch – nicht zuletzt mit ihren realistischen Dialogen und weiblichem Scharfblick in der Personendarstellung – anderen Volksdichtern überlegen.

Verfasst von: Harald Beck / Bayerische Staatsbibliothek

Sekundärliteratur:

Anny Schaefer (1947): Mein Dornenweg als Volksdichterin, unveröffentlichtes Typoskript (38 S.) im Besitz der Monacensia.

Bege, Hans (1927): Eine oberbayerische Dichterin. In: Der Heimgarten. Blätter für Literatur, Belehrung und Unterhaltung Jg. 5, Nr. 40, H. 7, S. 310f.

Eisenberg, Beni (1994): Eine vergessene Schriftstellerin. In: Gemeindebote Gmund 11, S. 18f.

Kray, Therese; Schaefer, Anny (1904): Leben und Wirken des Altwirtes Max Obermayer von Gmund am Tegernsee 1821-1898. Mit einem kleinen Schlußwort von Anny Schaefer. Knorr & Hirth, München.

Pataky, Sophie (1898): Schaefer, Anny. In: Dies.: Lexikon deutscher Frauen der Feder. Bd. 1. Verlag Carl Pataky, Berlin, S. 227.

Schreiber, Justina (2001): Der dornige Weg der Anny Schaefer: Aufstieg und Niedergang einer Volksdichterin. Bayerischer Rundfunk, Sendung vom 8. Juli. (Manuskript)

Wilhelm, Hermann (2004): Heinrich Roth gegen Buffalo Bill (Haidhausener Hefte). München, S. 31-36.


Externe Links:

Literatur von Anny Schaefer im BVB

Literatur über Anny Schaefer im BVB