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05.05.2022, 16:54 Uhr
Klaus Hübner
Text & Debatte
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(c) Allitera Verlag

Vor 100 Jahren wurde Carl Amery geboren

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Carl Amery, Fotografie Januar 1991 (Bayerische Staatsbibliothek/Timpe)

Die 147. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Weitergeben. Darin erinnert Klaus Hübner an den bayerischen Autor Carl Amery, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte.

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München, Freising und Passau waren seine wichtigsten Lebensstationen – Carl Amery, einer der einflussreichsten deutschen Vordenker der Ökologiebewegung und einer der markanten Gründungsväter der Grünen, zeitweise Direktor der Münchner Stadtbücherei und Vorsitzender des Verbands deutscher Schriftsteller, war immer im Bayerischen verwurzelt. „Das konservative Milieu, in dem ich aufwuchs, war das des süddeutschen Bildungskatholizismus“, schrieb er 1983. Es hat ihn nie ganz losgelassen, auch wenn es in der und durch die Nazizeit fast untergegangen ist und die spätere „Koalition des Geldes, der Technik und der Profitwirtschaft“ nicht aufhalten konnte. In seinem Essay Glanz und Elend der bayerischen Schriftsteller (1968) hat er Johann Andreas Schmeller, Johann Michael Sailer und Ignaz von Dollinger als geistige Ahnherren genannt – katholisch alle drei, aufklärerisch ebenfalls und bayerisch sowieso. Carl Amery suchte, wenigstens zeitweise, eine Synthese zwischen seinem katholischen Glauben und den grundlegenden, wissenschaftlich fundierten Wahrheiten der Moderne, und auch er wollte seinen Glauben unter den Bedingungen der Aufklärung verteidigen und erneuern. Insofern ist er ein Erbe der Katholischen Aufklärung – ja, die hat's wirklich gegeben, nicht nur im 18. Jahrhundert. Atheismus oder Agnostik versus Religiosität, darum gehe es heute nicht mehr, sagte er 1986 in einem Gespräch mit dem Nürnberger Magazin Plärrer. Sein Vorbild sei Lessing. Walter Jens behauptet im Vorwort zu Amerys Essaysammlung Bileams Esel (1991), Erasmus von Rotterdam sei „sein geheimes Vorbild“. Beides gilt.

Klar ist, dass das „Hinter-sich-Lassen einer weiß-blauen Kleinkariertheit“, wie Bernhard Setzwein das formuliert hat, für Carl Amery konstitutiv ist, und klar ist auch, dass sein kreativer Witz und seine subtile Ironie mitzubedenken sind, wenn man sich mit seinen Romanen beschäftigt. Kaum jemand kennt noch Die Große Deutsche Tour (1958), Das Königsprojekt (1974), Der Untergang der Stadt Passau (1975), An den Feuern der Leyermark (1979), Die Wallfahrer (1986) oder Das Geheimnis der Krypta (1990), diesen grandiosen Freising-Roman, in dem die Hauptfigur Dr. Korbinian Irlbock einmal so beschrieben wird: „Er war doch ein christlicher Konservativer, aber ein wirklicher, und da ist man ja heute ein Linkskatholik.“ Carl Amerys nicht immer leicht zugängliche literarische Werke wurden schon immer weit weniger gelesen als seine wirkmächtigen Aufsätze und Reden, vor allem sein Band Die Kapitulation oder Deutscher Katholizismus heute, in dem er seine Kritik an der unbewältigten Vergangenheit des deutschen Katholizismus der Jahre 1933-1945 formulierte. Im Nachwort zu diesem zuerst 1963 erschienenen Buch, das ihm das aus der Zeit heraus verständliche, aber nicht ganz treffende Label „Linkskatholik“ eintrug, betont der „in kleinen bayerischen Bischofsstädten“ aufgewachsene Autor, dass er nicht gegen, sondern mit dem Katholizismus argumentiere. Wer allen Menschen, insbesondere aber allen Christen ihre Verantwortung für die gesamte Schöpfung ins Stammbuch schreiben möchte, wurde in den 1960er-Jahren zwangsläufig als Linker angesehen. Was Amery der Amtskirche vorwarf, nämlich ihre Kapitulation vor Hitler und damit den Verrat am urchristlichen Prinzip der Caritas, hatte sich für ihn in der frühen Bundesrepublik nicht erledigt. Schon kurz nach 1970 wies er immer vehementer darauf hin, dass auch das widerstandslose Hinnehmen der Umweltzerstörung eine Sünde wider Gottes Schöpfung sei und dem offiziellen Katholizismus angelastet werden müsse. Die damals gängige Vorstellung einer dem Menschen und seinen Technologien zu unterwerfenden Erde, die in den Ländern des einstigen Ostblocks womöglich noch fatalere Folgen habe als im Westen, sei antiquiert und gefährlich. Trotz aller Veränderungen, wie grün auch immer diese waren und sind, seien wir, wie er 1982 schrieb, „seit 1970 um keinen wirklich praktischen Schritt weitergekommen, und es besteht vorläufig auch gar keine Aussicht, dass wir weiterkommen“. Das gilt bis heute, obwohl uns der rasant fortschreitende globale Klimawandel eigentlich dazu zwingt. Aber ...

Inzwischen wird das von Carl Amery formulierte Krisenszenario allgemein akzeptiert, mal mehr und mal weniger. Der Mensch, so hat er immer wieder betont, sei nur dann die Krone der Schöpfung, wenn er wisse, dass er sie eben nicht ist. Das kommt einer Ethik, wie sie auch bei katholischen Aufklärern des 18. Jahrhunderts anklingt, schon sehr nahe. Mit einem allerdings grundsätzlichen Unterschied: „Aufklärung geht, wie immer, auch heute um den Mut, sich des eigenen Verstandes zu bedienen; aber die Werkzeuge des alten philosophisch-geisteswissenschaftlichen Arsenals genügen nicht mehr, um solche Verstandesverwendung wirksam zu machen.“ Im Vorspann zu Global Exit (2002) schrieb er: „Es ist vorauszusehen, dass die Lebenswelt, wie wir sie kennen und bewohnen, im Laufe des anhebenden Jahrtausends zusammenbrechen und unbewohnbar werden wird. Es ist vorauszusehen, dass die Kirchen der Christenheit sehr bald, vielleicht im Laufe dieses Jahrhunderts, in völlige Bedeutungslosigkeit absinken werden.“ Die Hoffnung allerdings, es möge doch anders kommen, die stirbt zuletzt, auch bei Amery. Ist da, 20 Jahre später, noch etwas Wichtiges zu ergänzen? Ich glaube nicht. Carl Amery hat alles schon gesagt. 2005 ist er gestorben. Sein Grab findet man auf dem Münchner Ostfriedhof. Seine Bücher bleiben.

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