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14.11.2015, 15:10 Uhr
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Martin Mosebach bei den Literaturtagen Lauf

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Martin Mosebach auf dem Podium in Lauf © Literaturportal Bayern

Ein Höhepunkt der Laufer Literaturtage 2015 war der Besuch des Büchnerpreisträgers Martin Mosebach in der Aula der Bertleinschule am 12. November. Hier las der Frankfurter Autor Passagen aus seinem neusten Roman Das Blutbuchenfest (Hanser 2014). Die Literaturtage Lauf sind Teil des fränkischen LesArt Literaturfestivals, mit dem die Städte Lauf, Ansbach und Schwabach jedes Jahr eine Woche lang die hochkarätige zeitgenössische Literatur in Deutschland feiern. Das diesjährige LesArt Festival findet vom 8. bis zum 15. November statt.

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Der 1951 in Frankfurt am Main geborene Martin Mosebach gehört zu den profiliertesten Schriftstellern seiner Generation – und er polarisiert. Das betonte auch die Leiterin der Laufer Literaturtage Beate Hafer-Drescher in ihrer Vorstellung des Autors vor der Lesung am 12. November in der voll besetzen Aula der Bertleinschule in Lauf: Lange habe Mosebach als Geheimtipp gegolten, seine Bücher seien nicht immer auf den Bestsellerlisten vertreten gewesen. Mittlerweile – und vor allem seit der Verleihung des Büchnerpreises 2007 – sei er ein anerkannter Autor, dessen Texte von einer „ungewöhnlichen stilistischen und intellektuellen Brillianz“ (FAZ) zeugten, der durch seine künstlerische, politische oder religiöse Positionierung aber auch immer wieder kritisiert würde. Mosebach selbst hatte sich beispielsweise als katholisch und reaktionär bezeichnet und sich offen gegen Papst Franziskus positioniert.

Ein großes literarisches Verdienst des Autors Mosebach sei unter anderem die Wiederbelebung des Gesellschaftsromans, der lange Zeit als passé galt. In seinen Romanen zeichnet der Zeitdiagnostiker ein „deutsches Panorama“, das er häufig in seiner Heimatstadt Frankfurt ansiedelt. So auch bei seinem Roman Das Blutbuchenfest, aus dem er bei den Literaturtagen Lauf las.

Das zentrale Element in der Geschichte ist die aus Bosnien stammende Putzfrau Ivana, die in den Häusern der gut situierten Frankfurter ein- und ausgeht, putzt, und so auf eine besondere Weise Menschen verbindet, die sich sonst womöglich nie kennengelernt hätten. In der Passage, die Martin Mosebach in Lauf vorträgt, befreit sie einen spießigen Immobilienhändler aus dem Wandschrank seiner Geliebten, nachdem dieser dort ein Versteck vor dem überraschend heimkehrenden russischen Freund der  Untreuen gesucht hatte.

Martin Mosebach © Literaturportal Bayern

Plötzlich [...] öffnete sich die Schranktür. Breegen wurde von Licht übergossen, aus dem Schrankinnern und aus dem jetzt erleuchteten Korridor – und er sah vor sich das entgeisterte Gesicht seiner Putzfrau Ivana. Man kennt Ivana Mestrovic als harten, beinahe immer rabiaten lebensheftigen Charakter, als männliche Frau, die weibliche Ängstlichkeit, Schreckhaftigkeit der Damen, Gezeter vor Spinnen, Mäusen geradezu verachtete; Ivana erschrak grundsätzlich nie. Wenn sie aber dennoch erschrak, dann bis ins Mark, dann brauchte sie Zeit, um wieder handlungsfähig zu werden. Die Neigung, sich erschüttern zu lassen, hing aber innig mit ihrer Tatkraft, ja Tatwut, zusammen. Sie rannte durch die Welt, senkte wie ein Widder den Kopf, blickte selbst nur zu Boden und überließ der starken Stirn als Rammbock das Wahrnehmungsgeschäft. So fest umschlossen war ihre Willenskraft, daß sie mit zivilen Mitteln nicht irrezumachen war. Nichts schwächt den Willen so sehr wie Nachdenklichkeit auf seinem Weg zur Selbstverwirklichung. Die umwerfende Gewalt ihrer Schreckhaftigkeit war eine Funktion dieser Willenskraft; ihr blind nach vorn preschendes Lebensgefährt wurde von einem Hindernis in der Bahn mit der entsprechenden Wucht umgeworfen.

(Neuntes Kapitel, Die Würde im Dunkeln bewahren, S. 116f.)

Durch die Figur Ivana bricht ein tragisches Schicksal und die Katastrophe des Balkankriegs in die Frankfurter Welt der Oberflächlichen und Uneigentlichen ein. Im Gespräch nach der Lesung erläutert der Autor, dass es ihm darum ging, diesen historischen Konflikt im Kleinen zu schildern – nicht in Bezug auf seine Voraussetzungen, seine Folgen, die politischen Implikationen oder die konkreten Geschehnisse, sondern als „unbeherrschbare Veränderung in einem kleinen Leben“.

Dies sei ihm daher auch der Anlass für das Buch gewesen, das Ausgehen von einem Menschen, in diesem Fall der Bosnierin Ivana. Auf die Frage hin, ob er reale Vorbilder für seine Figuren habe, antwortet Mosebach mit einem Zitat von Gerhart Hauptmann: „Ich bin nicht Gott und kann mir deshalb keine Menschen ausdenken.“ Seine Figuren seien aber keine fiktionalisierten Kopien von Menschen aus seinem Umfeld; Ihre Gesichter, Sprachattitüden oder Eigenschaften seien nur ein Ausgangspunkt, die Inspiration für die Figuren. Dabei sei insbesondere der Spielraum wichtig, den sich der Romancier beim Gestalten seiner Protagonisten nimmt.

Das mache auch bei der Bewertung der Figuren nicht halt: Der Roman kenne weder Heilige noch Teufel. Man könne die fiktiven Menschen nicht „verurteilen“, auch wenn sie Fehler machten, moralisch fragwürdig handelten. Als Prinzip des Romanschreibens bezeichnet Martin Mosebach daher auch die notwenige „Grauzone“, in der sich die Figuren befinden, ein „Schweben zwischen Schwarz und Weiß“. Der Romanautor darf und müsse Verständnis für die Abgründe seiner Figuren haben, sonst würden diese zur reinen leblosen Karikatur.

Obwohl sein Text mit dem Balkankonflikt durchaus ein politisches Thema verhandelt, äußert Mosebach zuletzt aber auch eine kritische Position: Es sei ein starker Gegner der art engagé. Die Literatur bzw. die Kunst sollte seiner Meinung nach keine Botschaft transportieren (keine politische, und auch keine Botschaft anderer Art). Auf keinen Fall dürfe die Kunst „ein Vehikel sein, von dem aus gepredigt wird“, denn sie entziehe sich der Analyse einer Botschaft. Politische Meinungsäußerung sei nach Mosebach eine „Schwächung“ der Kunst und er plädiere daher für keine Meinungsäußerung im literarischen Text – wohlwissend, dass man dies auch als eine Meinung bezeichnen könnte. Fest macht der Schriftsteller diese Positionierung wiederum an seinen Figuren, den Menschen im Text, die niemals restlos einschätzbar, „verurteilbar“ seien.