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02.05.2023, 09:12 Uhr
Katrin Diehl
Literarische Erkundungen
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Katrin Diehl (Foto: Frank Zuber)

Ruth Drexel und das Münchner Volkstheater – Literarische Erkundungen (3)

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Ruth Drexel. Foto: Münchner Volkstheater (AP9912020642)

Münchner Volkstheater, Brecht, Bordelle, Gerettet, gstandene Person und rechthaberische Sippschaft: Ruth Drexel, Schauspielerin und Regisseurin war stadtbekannt und polarisierte. Katrin Diehl blickt für ihre literarischen Erkundungen in den Nachlass von Ruth Drexel im Literaturarchiv der Monacensia.

*

Ruth Drexel und das Münchner Volkstheater – hier wirkte mal die Drexel

Bittbriefe schmecken bitter und so ganz verliert sich dieser Geschmack auch nicht, weder über die Jahre hinweg noch in der Abgeschiedenheit eines Archivs. Kulturmenschen müssen betteln und früher lief so was mehr oder weniger ausführlich über buckelnde Briefe ab, in denen man die missliche Lage schilderte und ein wenig nervös nach dem richtigen Ton suchte.

Ruth Drexel (1930 in Vilshofen geboren, 2009 in München gestorben), Schauspielerin, Regisseurin, Intendantin, machte das eigentlich ganz gut. Ihr stand das Direkte. Das war es auch, was man an ihr mochte, fast von ihr erwartete und am besten noch auf richtig Bairisch. Von 1988 bis 1998 (nach Jörg-Dieter Haas) und dann nochmal – Hans Christian Müllers Intendanz-Zwischenspiel lief sowas von schief – von 1999 bis 2002 schlug sie sich tapfer, kämpferisch und leidenschaftlich als Leiterin des Münchner Volkstheaters am Stiglmaierplatz, Brienner Straße 50.

Da leuchtete es noch in der Brienner Straße. Foto: Münchner Volkstheater

Sie holperte und polterte geradezu genial durch diese Zeit, was sie auch einiges an Nerven kostete, ihr aber natürlich auch diesen oder jenen Preis mit oder ohne Band einbrachte. Die Stadt wollte sie nicht und wollte sie doch. Und rechtmachen konnte sie es sowieso nie allen. Wenn's brechtelte, freute sich die SPD und die CSU grantelte. Wenn's gscheid volkstümlich wurde, war's umgekehrt. Und die ganz Intellektuellen fragten sich eh, grad in den 1990ern, ob's so was wie ein Volkstheater überhaupt noch brauchte. Ruth Drexels Motto hieß jedenfalls: „Kein Komödienstadel für Touristen.“ Und das hatte man zu fressen.

Nie saß man besser als auf diesen rotgepolsterten Klappsesseln

Tatsächlich war es ein CSU-Bürgermeister gewesen, Erich Kiesl, der sich irgendwann für ein neues Volkstheater in München stark gemacht hatte, und dann wurde ein Funktionsgebäude aus den 1950er-Jahren umgebaut in ein etwas anderes Funktionsgebäude der 1980er-Jahre. Wobei man sagen muss: Nie saß man besser als auf diesen rotgepolsterten Klappsesseln in einem Parkettraum, der den Charme einer Wartehalle eines Provinzflughafens verströmte, in der man sich aufs Abheben freut (gehören tat das große Betonteil mit Hinterhofeingang dem Bayerischen Fußballverband). Es steht nicht mehr. Da wo es war, ist jetzt ein Loch. Das neue Volkstheater, ein mächtiger, schöner Bau, ist im Schlachthofviertel untergebracht.

Beim Blick in die Baugrube. Foto: Münchner Volkstheater

Als die Drexel 1988 in der Brienner Straße begonnen hatte, brachte sie ein schwungvolles Logo mit, das sich auf Eintrittskarten, Programmheften und Briefköpfen wiederfand und das allen ein bisschen ein Rätsel aufgab: Da ist eine gutgelaunte Ball-Dame, die in einer Art Zirkusnummer auf einem lachenden Krokodil sitzt, sich ausgelassen weit nach hinten ausstreckt und dabei aus ihrer linken Hand einen Sternenbogen regnen lässt.

Vielleicht gibt's jemand, der dafür eine Erklärung hat, vielleicht findet sich dazu auch irgendwas in Ruth Drexels Nachlass, der 12 Kassetten stark in der Monacensia liegt, und der eine ziemliche Sprach-Spannbreite bietet von deftig bis sensibel-fein. Außerdem zeigt vor allem die Korrespondenz (etwa 150 Briefe) sehr deutlich, wie weit das Netzwerk der Drexel reichte und auch wie nahe das Urbairische dem Berlinerischen stehen konnte, wenn es unter Kolleg*innen darum ging, von den kleinen Leuten, dem „Volk“, zu erzählen. Und die Drexel scheute sich auch gar nicht das preußischste Preußen anzufunken, auch nicht die wackelnde DDR. Verbindungen ins Österreichische, nach Tirol, hatte sie ohnehin. Von Anfang an gehörte sie da zum Team, war federführend bei den „Tiroler Volksschauspielen“, die seit 1982 jährlich im sommerlichen Telfs stattfanden.

An erster Stelle Brecht

Die vielen Verbindungen, die Ruth Drexel hatte, haben natürlich auch mit ihrem Künstlerinnenweg zu tun, der schnell in die weite Welt, also über die bayerischen Grenzen hinaus, geführt hat.

Ihre Ausbildung hat Ruth Drexel an der Otto-Falckenberg-Schule in München bekommen, noch als Studentin übernahm sie 1949 Wesentliches an den Kammerspielen (in Wedekinds Frühlingserwachen). Die Kammerspiele wurden ihr Heimat. Dann Ende der 1950er: Berlin! Beim Berliner Ensemble (Berlin-Ost!) spielte sie unter Helene Weigel. Dann wieder München (Kammerspiele), dann wieder Berlin (West!) an der Freien Volksbühne und der Schaubühne am Halleschen Ufer. Gastieren tut sie überall in Deutschland, und jetzt inszeniert sie auch.

Sie machte sie alle durch: Brecht (an erster Stelle zu nennen), Horváth, Raimund, Büchner, Schnitzler, immer wieder Kroetz und immer wieder Mitterer. Und sie macht auch bei Fernsehproduktionen mit, von Fassbinder bis zum Tatort und natürlich den „Bullen von Tölz“ nicht zu vergessen.

Bordelle, die die Gesundheit gefährden

Über Jahrzehnte hinweg – und die gemauerte Mauer stand ja erst seit 1961 – hatte Ruth Drexel einen Draht zum Theaterschriftsteller Peter Hacks (1928-2003). Er hatte ihr im Jahr 1957 das Vorsprechen beim Berliner Ensemble vermittelt, wo sie Helene Weigel, Chefin des Hauses, ohne Federnlesen und stante pede zum Ensemble dazugenommen hat. Um die Weihnachtszeit 2000 feierte dafür bei ihr im Haus Hacks Armer Ritter Premiere. Passte sehr gut ins Konzept des Spielplans, weil es zum Jahresende immer etwas für Kinder und Erwachsene geben sollte.

Die ersten Sätze einer Postkarte aus dem „Hotel Stadt Bitterfeld“ in der Stadt Bitterfeld von „Dr. Peter Hacks“ an die „Liebe Ruth“ vom 18. Mai 1957 kann man nur lieben, zumal sie sich refrainartig über den Text hinwegziehen (Nachlass RD, B30):

„... ich stehe um ½ 6 auf, gehe um 8 schlafen, trage / auch ein grünes Hemd und komme mir sehr fremd vor.“ Später wird noch von einem Dramatiker die Rede sein, der Hacks „Gesundheit in zehntausend europäischen / Bordellen gefährdete...“

Die Schauspielerin und Regisseurin Katharina Thalbach (geb. 1954 in Ost-Berlin) schrieb der „Lieben Ruth“ im Frühjahr 1990. Die Mauer lag in Trümmern, aber staubte noch. Ruth Drexel managte ihr Volkstheater, das mehr denn je im Westen lag. Sie schrieb ihr auf hauchdünnem Papier – als lägen Meere dazwischen – aus Ungarn, aus Budapest (RD, B86), hatte einen Dreh da und „muss absagen“ für den Sommer in Telfs:

Es hat keinen Sinn, Dir unnötige Versprechen zu machen, die ich dann doch nicht halten kann. Du kannst mir glauben, mein schlechtes Gewissen plagt mich ungemein...

Die Gründe: „Klärung“ von „Berliner Angelegenheiten“ (prekäre finanzielle Situation des Schillertheaters, das 1993 dann auch schließen musste); dann: enger Probenplan (betrifft Romeo und Julia); außerdem „ein neues zu schreibendes Stück“; des Weiteren: „... muss ich einige Leute in Macbeth umbesetzen (wegen einiger Kündigungen)“. Das sollte als Entschuldigung genügen. Auch die Theaterwelt hatte sich im Berlin der unmittelbaren Nachwendezeit neu zu finden. Und so endet dieser von Gewissensbissen schwere Schrieb mit:

Dir jetzt noch alles Mögliche zu erzählen u.a. auch über dieses neue Berlin in jeder Beziehung, erscheint mir jetzt fehl am Platz. ... Kuss Kati.

Nichts Besseres als Bonds Gerettet

In einem Briefentwurf (ging das jemals raus?) wendet sich Ruth Drexel an den „Lieben P.“. Das war der große Theatermann Peter Stein (RD, B 79). Der Bogen enthält keine Datumszeile. Da Ruth Drexel da allerdings davon berichtet, dass es sein könne, dass sie „womöglich Theaterdirektorin“ werde, „wenn die Schwarzen nicht einen Strich durch die Rechnung machen“, wird er auf das Jahr 1988 zu datieren sein. „Grausen“ und „Traum“ wäre das, wenn es klappe, und dann möchte sie auch unbedingt mit dem Peter über „das beste Volkstheater, das ich je gesehen habe“, reden, nämlich über Gerettet von Edward Bond. Das hatte der Peter 1967 an den Kammerspielen inszeniert. Hätte sie es gerne, für den Fall der Fälle, fürs Münchner Volkstheater? Am 5. April 1995 hatte Gerettet dann dort tatsächlich Premiere.

Im Hinterhof das Volkstheater kurz vor dem Abriss. Foto: Münchner Volkstheater

A gstandene Person

Genug aus Berlin. Wir können auch Bairisch. Am 3. Februar 1998 kommt ein Brief aus dem Sozialreferat, „Beratungsstelle“, bei Ruth Drexel an. Darin geht es um eine Münchner Vorsorgebroschüre, die unters Volk gebracht werden soll. Es heißt da (RD, B 54):

Mir miaßn Ehna schreim, weil mir glaum, das Sie die Richtige für uns san! Die Sach is nämlich de, daß mir z'Minga, was publik macha miaßn, aber net wissen wia. (...) Also, es geht drum, daß am jeden von uns wos bassiern kant, so daß ma nimmer auf sich selber aufschaung kon und oid und deppert wern mer vielleicht sowieso. Dieses ist ein allgemeines Läbensrisiko, das man schon weiß und wo man vielleicht auch was dagegen doe kant. Wenns dan nachert dawischt, kann ma weidalebn wie ma gern mechert und wird net irgendwia verrammt. Mia ham des ois amoi zamgeschriem in der „Münchner Vorsorgebroschüre“ und mia moanan, das de Leit des wissen sollten, was da drinn städ damids net nachert zspäd is. (...) Dazu bräucherten mia a gstandne Person, die in oina Pressekonferenz wos zu dera Broschüre sogt, weil uns ja koiner zuherd. Dadn Sie, wos mir uns arg wünschen dadn, mit uns amoi da drüber reden?

Unterzeichnet haben das Schreiben die „Annamirl Keupp“ und die „Hannerl Fluck“, „ogstellte bei der Stod“.

Man kann sich gut vorstellen, dass Ruth Drexel für so etwas zu haben war. Mit Kugelschreiber steht jedenfalls unten auf dem Blatt ein schwungvolles „... wird akzeptiert“ unterzeichnet von „S. Schulz“, Ruth Drexels Agentin.

„Diese Sippschaft giert nach Rechthaberei.“

Die Paulaner Brauerei gratulierte Ruth Drexel im September 1995 (RD, B61) auf hauseigenem Papier und vom Nockherberg herunter zur „München leuchtet“-Medaille, die der Herr Oberbürgermeister Ude ihr, und das auch noch in Gold, überbracht hatte. Die Brauerei schreibt:

Zu dieser Auszeichnung, die Ihnen für Ihre außerordentlichen Verdienste um das Theater verliehen wurde, gratulieren wir Ihnen herzlich…

Und Herbert Achternbusch zeigt sich depressiv, angeschlagen und grantig, als er der „Lieben Ruth“ Anfang des grauen Novembermonats 1988 aus Ambach schreibt (RD, B1). Offensichtlich war er dazu aufgefordert worden, an einer Diskussion teilzunehmen. Da „tät“ er aber nicht teilnehmen, „weil ich einmal nichts weiß und zweitens kein Selbstvertrauen habe“. Und er rät:

Auch Ihr solltet Euch nicht verteidigen, das wär eine Anerkennung der Anklage, des Auswurfs. Diese Sippschaft giert nach Rechthaberei, weil sie kein Recht hat.

Könnte sich noch auf die Uraufführung (und erste Premiere der neuen Volkstheaterchefin) vom zeitgenössischen Mysterienspiel Sintflut im September 1988 beziehen. Die brachte Schlagzeilen. Die SZ titelte (17./18.9.1988) „Wenn das Weißbier stirbt“ und war eigentlich ganz zufrieden mit dem Einstand. Der Münchner Merkur dagegen wurde auffällig und lamentierte (24.10.1988): „Neue Steigerung im Volkstheater. Unsinn-Schwachsinn-Achternbusch“. Sprachlich nicht sehr gelungen. Und die Drexel wandte sich einfach der Dreigroschenoper zu.

Mein Name ist Katrin Diehl, ich bin Journalistin und Autorin, gehöre dem Netzwerk Münchner Theatertexter*innen an und für die Monacensia habe ich etwas übrig.

Die „literarischen Erkundungen in und um die Monacensia“ erscheinen immer am ersten Dienstag eines Monats. Alle Folgen der Kolumne finden Sie im Journal unter Reihen & Kolumnen.

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