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04.04.2023, 08:45 Uhr
Katrin Diehl
Literarische Erkundungen
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Katrin Diehl (Foto: Frank Zuber)

„Junge Jägerin“ der Monacensia – Literarische Erkundungen (2)

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Alle Fotos © Katrin Diehl

Vor der Monacensia steht auf dem schmalen Grünstreifen hinterm Zaun die Plastik „Die junge Jägerin“, angefertigt von dem Künstler Adolf von Hildebrand (1847-1921), der sich die Villa einst nach eigenen Plänen vom Architekten Gabriel von Seidl (1848-1813) hat bauen lassen und etwa 20 Jahre darin gewohnt hat. Die „Junge Jägerin“ hat Schwestern über die Stadt verteilt.

*

Im Grunde wirkt in diesem Hause alles eher entspannt. Es ist ruhig, behäbig, gediegen, ein wunderbarer Ort also, um gegenzubürsten. Eine Art Rückeroberung des Volkes hat stattgefunden, das diese übergroßzügigen Räume sehr gut nutzen kann, auch um durch Ausstellungen einiges geradezurücken, für was das reiche Großbürgertum der vergangenen Jahrhunderte samt seiner Künstlerfürsten aus Gründen des Eigenerhalts keinen Sinn hatte. Dann kamen die Nazis. Und keiner der jüdischen Bewohner des Hildebrandhauses hat den Holocaust überlebt.

Irgendwie muss man seinen Weg finden trotz seines Wissens über das, was war. Heißt: Irgendwie muss man damit zurechtkommen, sich seine Strategie überlegen, sich jeden Tag belügen und glattbügeln. Kein Friede ist das, eher eine Möglichkeit, weiterzumachen.

An die Tippgeräusche gleich im Eingangsbereich der Dauerausstellung gewöhnt man sich nach 1 Stunde 10 Minuten, gewinnt sie am Ende lieb, vor allem, wenn man wieder und wieder von ihnen empfangen wird. Was waren das noch für Zeiten, in denen man in die Tasten hieb? Wer so reinhaute, hatte offensichtlich etwas zu sagen und die Zigarette war nicht weit. Um mehr Ruhe zu finden, lässt sich das breite, dunkle Treppenhaus (bis ins Turmzimmer!) nach oben wandeln. Und meistens bleibt ja doch jeder – denn so ein Haus braucht ja ein alles am Laufen haltendes, eifriges Team – mit seinen nächsten, anvisierten Zielen, seinem Gesprächsstoff hinter seiner dunklen, schweren Holztür im Zwiegespräch mit seinem Computer oder Handy. Dann lässt sich weiter auf eigenen Pfaden nach irgendeiner Ruhe suchen, was natürlich nicht funktioniert.

Ein ewiger Auftrag hängt in der Luft. Eine nie erfüllte Mission macht sich bemerkbar. Ein „fruchtbarer Moment“, wie das ein Kunsthistoriker vielleicht nennen würde, ist präsent, ein in Metall gegossenes Erstarren mitten in der Aktion. So etwas erzeugt Spannung, die nicht zu unterschätzen ist, die einmal, bei all den extrovertierten und in den aktiven Stillstand verbannten Statuen und Plastiken, einmal in Summa erfasst werden sollte.

Adolf von Hildebrand und die „Junge Jägerin“ in München

Die „Junge Jägerin“, die (seit wann?) vor der Monacensia steht, kann nicht ruhen, obwohl ihre Ponderation sie nicht wirklich auf die Probe stellt. Sie sucht etwas. Sie späht. Ist sekunden- wie jahrelang im Verharren. Gerade jetzt und für immer. Dennoch bringt ein leichter Wind Bewegung in den abwartenden Stillstand: Der leichte, kurzgeschürzte Chiton wirft federleichte Falten. Die langen Haare weht es, den Kopf suchend nach links gebeugt, nach hinten, die rechte Brust liegt frei (bei den Amazonen war es häufiger die linke). Die junge Frau (Diana?) ist in Aktion und weiß sich in keiner Weise beobachtet. Eine äußerst unfaire Lage, hinter der der Meister selbst, Adolf von Hildebrand (1847-1921), steckt. Und das ist so etwas wie ein seltsames Glück, das uns da zufliegt: Die Unfairness trifft ein Stück meisterlich bearbeitetes Metall, und keinen Menschen.

Was lässt sich mit dieser Art von Speer jagen, den sie in der rechten Hand, fest umfasst, hält? Die „Junge Jägerin“ hat sehr schöne Füße und sie hat ein paar Schwestern in der Stadt.

Zum Bestand der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, Neue Pinakothek München, gehört das Modell der Plastik „Die junge Jägerin“, ein Gipsguss, um 1917 von Adolf von Hildebrand geschaffen. Die Staatsgemäldesammlungen haben ihn 1969 als Schenkung aus dem Nachlass des Künstlers erworben, kennzeichnet ihn als „Modell für die junge Jägerin des Hubertus-Brunnens in München“. Und da steht sie dann auch. Passt irgendwie auf, auf diesen verwirrend schönen Hirsch, natürlich mit Kreuz zwischen den Geweihen, der auf einem Sockel im ovalen Becken einer „Brunnenstube“ (sieben auf acht Meter und mit viel „Ruhpoldinger Marmor“) gipfelt, inmitten eines „Brunnentempel“.

 

Eine wahnwitzige Situation, die sich nur unter dem Wahnwitz einer etwas von allem entrückten monarchischen Welt vorstellen lässt. Der Brunnen, ebenfalls vom damals hochangesehenen von Hildebrand entworfen, war ein Geschenk der Residenzstadt München an ihren Prinzregenten Luitpold zu dessen 85. Geburtstag. Das war 1906. Der Brunnen hatte damals vor dem Bayerischen Nationalmuseum seinen Platz, etwa dort, wo heute noch das Reiterstandbild steht (Prinzregent Luitpold auf Pferd, ebenfalls von von Hildebrand zusammen mit dessen Schüler Theodor Georgii geschaffen).

So. Und dann im Jahr 1921, kurz nach von Hildebrands Tod, kamen in die halbrunden Nischen, die auf so etwas eigentlich nur gewartet hatten, vier Figuren des Bildhauers. Eine davon die „Junge Jägerin“, links und rechts daneben das „Wurzelweib“, der „Alte Jäger“ und der „Bogenschütze“. 1937 war der Brunnen weg. Hitler, der selbst – allerdings am anderen, östlichen Ende – gar nicht weit vom Bayerischen Nationalmuseum wohnte (Prinzregentenplatz 16), hatte Baumaßnahmen angeordnet. Mehr Macht, mehr bombastischer Bautentrutz. Das „Haus der Kunst“ wurde gebaut und eben in der Nähe des Brunnens, den es jetzt nicht mehr gab, das „Luftkommando“, auch das ziemlich auffallend, und heute ist da das „Bayerische Staatsministerium für Wirtschaft, Infrastruktur, Verkehr und Technologie“ drinnen.

Wie das mit dem Abbau und vor allem mit dem Umzug eines dermaßen stabilen Brunnens, seinen Details wie Figuren, wie die feine „Junge Jägerin“, geht, lässt sich schwer vorstellen. Ist aber ganz sicher mit einigem an Kosten verbunden. 1954 jedenfalls legte Rupprecht von Bayern, Enkel von Prinzregent Luitpold, wiederum zu seinem 85. Geburtstag und ein Jahr vor seinem Tod den Grundstein für den neuen Standort des Brunnens (nach Plänen des Architekten und Schwiegersohns von von Hildebrand, Carl Sattler) in Sichtweite des Nymphenburger Schlosses.

Heute fährt man mit der U1 nach Gern, geht ein paar Schritte Richtung Süden, steht vor dem Hubertusbrunnen, der zumindest für den Stadtplan eine Hausnummer besitzt (Waisenhausstraße 20), und sieht kerzengerade gen Westen entlang des Nymphenburger Kanals aufs etwa eineinhalb Kilometer entfernte Nymphenburger Schloss. Die „Junge Jägerin“ schaut in die andere Richtung. Hat ihre schönen Füße, aber im Gegensatz zu ihrer Schwester vor der Monacensia, keinen Speer mehr in ihrer Faust.

Mein Name ist Katrin Diehl, ich bin Journalistin und Autorin, gehöre dem Netzwerk Münchner Theatertexter*innen an und für die Monacensia habe ich etwas übrig.

Die „literarischen Erkundungen in und um die Monacensia“ erscheinen immer am ersten Dienstag eines Monats. Alle Folgen der Kolumne finden Sie im Journal unter Reihen & Kolumnen.

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