Ruth Drexel – die Welt als veränderbar begreifen

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Ruth Drexel (Mitte), Cover Theater heute 2/1969

Franz Xaver Kroetz, Martin SperrRainer Werner Fassbinder waren die jungen Autoren, von denen sich die Schauspielerin und Regisseurin Ruth Drexel Ende der 1960er Jahre eine Erneuerung des Theaters versprach. Obwohl unterschiedlich in ihren ästhetischen Mitteln, verband sie das Interesse für die sogenannten kleinen Leute, die Unterdrückten, die Außenseiter und all diejenigen, die nur selten Protagonisten auf der Bühne waren. Hartnäckig und Heimarbeit von Franz Xaver Kroetz leiteten im Werkraumtheater der Münchner Kammerspiele die Laufbahn des bayerischen Autors in einer trotz aller Tumulte triumphalen Uraufführung mit einem Skandal ein. Damals auf einer Bühne fast noch Unvorstellbares war zu sehen: ein Abtreibungsversuch mit einer Stricknadel.

Ein weiterer Münchner Theaterskandal war folgenreich für Ruth Drexels Werdegang. 1971 wurde der Chefdramaturg der Münchner Kammerspiele Heinar Kipphardt nach der Premiere von Wolfgang Biermanns Theaterstück Der Dra-Dra entlassen. Darin wird von einem fürchterlichen Drachen erzählt, der das Volk terrorisiert. Regie führte Hansgünther Heyme. Für das Programmheft war geplant, auf einer Doppelseite 24 westdeutsche Machthaber aus Politik, Wirtschaft und Publizistik abzubilden, die als symbolische Drachen gelten konnten. Wegen juristischer Bedenken entschieden der Intendant August Everding und der Chefdramaturg Heinar Kipphardt, die Fotos nicht zu veröffentlichen. Doch das Heft befand sich schon in der Druckphase, und so blieb die Doppelseite leer mit dem Vermerk: „Aus rechtlichen Gründen konnten die für diese Seite vorgesehenen Bilder von Drachen aus Politik und Wirtschaft leider nicht abgedruckt werden.“ Eine Kopie des ursprünglichen Exemplars gelangte allerdings an Münchens damaligen Oberbürgermeister Hans-Jochen Vogel, der auch als Drache abgebildet werden sollte, und an den Schriftsteller Günter Grass. So wurde aus der hausinternen Debatte der Münchner Kammerspiele eine öffentliche, die in den folgenden Wochen die Medien beschäftigte. Heinar Kipphardt verlor das Machtspiel: Sein Vertrag wurde vom Münchner Kulturausschuss nicht verlängert, obwohl sich der Intendant für ihn ausgesprochen hatte. Unter großem Protest des Ensembles verließ er die Kammerspiele.

Zu den empörten Ensemblemitgliedern, die den Münchner Kammerspielen den Rücken kehrten, gehörten auch Ruth Drexel und Hans Brenner. Ohnehin war es ihr Ziel, sich immer mehr vom bildungsbürgerlichen Theater zu trennen und eine andere Publikumsschicht anzusprechen. Sie wollten Theater machen für die Leute, die gemeinhin nicht ins Theater gingen. In den ausgehenden 1960er-/ beginnenden 1970er-Jahren beschränkten sich die Erneuerungen und Experimente nicht auf das Theater, sondern fanden auch im Alltag statt. Die Aufhebung der Trennung von Kunst und Leben war eine der Grundforderungen kritischer Künstler aus allen Bereichen. Und so taten sich Ruth Drexel und Hans Brenner mit gleichgesinnten Theaterleuten zusammen und gründeten in Feldkirchen bei München eine Kommune. Das Haus, in das die Gruppe um Ruth Drexel und Hans Brenner einzog, war die berühmt-berüchtigte Vetter-Villa in der Ottostraße. Dort hatten Rainer Werner Fassbinder und sein Clan gelebt und gearbeitet: Ingrid Caven, Kurt Raab, Peer Raben, Harry Baer, Günther Kaufmann, Ursula Strätz und einige andere, manche nur sporadisch.

Ruth Drexel und Hans Brenner wollten etwas Neues ausprobieren – in der Arbeit wie im Zusammenleben. Die engen Beziehungs- und Familienstrukturen sollten aufgehoben werden. Familie sollte etwas sein, wovon alle profitieren konnten. Es gab viele Bezugspartner und es gab viele Kinder. Im Keller des Hauses fanden die Proben für die Stücke statt, mit denen sie auf Tournee gingen. „Es waren Schauspieler, die an den besten Häusern gespielt und mit den führenden Regisseuren gearbeitet haben. Aber das war ihnen nicht wichtig. Sie haben eine Off-Gruppe gegründet – ohne irgendwelche Sicherheiten“, berichtet Hans Brenners Tochter Katharina voller Bewunderung. Auch Katharina Adami, Ruth Drexels älteste Tochter, ist beeindruckt vom Mut ihrer Mutter. „Aufbruch, Veränderung, neue Wege gehen – das war ganz wichtig. Die große Hoffnung natürlich auch, dass man mit Theater was bewirken kann, Veränderung befördern kann. Der Optimismus war sehr groß. Damals hatte man das Gefühl, man muss nur auf den Tisch hauen und sagen, so nicht, und dann kann man es auch anders machen – so hab ich das mitbekommen, so hab ich mich damals auch gefühlt.“

Verfasst von: Gunna Wendt