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01.09.2015, 15:14 Uhr
Laura Velte
Spektakula
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Das 35. Erlanger Poetenfest: Rückblick

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© Erlanger Poetenfest – Foto: Erich Malter, 2015

Das Programm des 35. Erlanger Poetenfests, das vom 27. bis zum 30. August stattfand, zeigte sich in diesem Jahr auffallend politisch. Auch wenn die Verbindung von Politik und Literatur sowie die Diskussion von politischen und gesellschaftlichen Themen schon immer Teil des Literaturfestivals waren, so waren sie 2015 noch präsenter als in den Jahren zuvor.

Die abendlichen Porträts im Markgrafentheater waren mit Alice Schwarzer, Sibylle Lewitscharoff und Robert Menasse mit Autorinnen und Autoren besetzt, die in den Medien viel und teilweise kontrovers diskutiert werden. Auch die „Bücher im Fokus“ von Claus Leggewie und Klaus Theweleit sowie die Gespräche und Diskussionen über Charlie Hebdo, den Koran, die große Geldkrise, den Zusammenhalt Europas und das Kriegsende vor 70 Jahren machten die vielfältigen Bezüge zwischen Politik, Gesellschaft und Literatur immer wieder deutlich.

Schwarzer, Lewitscharoff & Menasse (c) Erlanger Poetenfest – Fotos: Erich Malter & Georg Pöhlein, 2015

Besonders einprägsam waren für uns und die übrigen Besucher auch die im gesamten Schlossgarten aufgestellten Plakate mit Zitaten von geflohenen Autorinnen und Autoren wie Dagmar Nick und Bertolt Brecht und die zwischen allen Veranstaltungen stattfindenden Lesungen aus Texten von „Geflohenen“ über Heimat, Flucht und Vertreibung, etwa Bertolt Brechts tief berührendes Über die Bezeichnung Emigranten von 1937. Diese wiederkehrenden Hinweise auf die aktuellen politischen Entwicklungen und das Flüchtlingsdrama in Deutschland und Europa machten eindrücklich klar, dass Literatur keine Parallelwelt sein darf, in die man sich angesichts der schwierigen gesellschaftlichen Lage flüchtet, und mahnten zu Offenheit gegenüber Flüchtlingen und mehr Engagement.

Zitate von Heimat, Flucht und Vertreibung (c) Literaturportal Bayern

Natürlich ging es auf dem Erlanger Poetenfest 2015 aber auch sehr unterhaltsam zu: Comic-Zeichner Nicolas Mahler zeigte den Besuchern der Neuen Galerie des Kunstvereins Erlangen in der Ausstellung „Partyspaß mit Kant“, dass man auch mit als trocken geltenden Philosophen durchaus feiern kann, und entführte uns in die Bilderwelten von Roberts Musils Der Mann ohne Eigenschaften, Thomas Bernhards Alte Meister oder Frank Wedekinds Lulu.

Partyspaß mit Kant (c) Literaturportal Bayern/ Erlanger Poetenfest – Fotos: Erich Malter, 2015

Am Samstag begeisterten Autorinnen und Autoren wie Christiane Neudecker, Verena Lueken, Robert Schindel, Matthias Nawrat, Dana Grigorcea, Oskar Roehler, Anne Weber und Raoul Schrott die Zuhörer bei den Nachmittagslesungen auf der großen Bühne im Schlossgarten, die bei 34 Grad im Schatten – schwitzend, aber hingerissen – der „Revue der Neuerscheinungen“ lauschten.

Robert Schindel, Matthias Nawrat & Raoul Schrott (c) Literaturportal Bayern

Am Sonntag gab es dann unter anderem Ludwig Fels, Carolin Callies, Juan S. Guse, Nora Gomringer, Volker Sielaff und als krönenden Abschluss Nora Bossong zu hören, die mit ihrem aktuellen Romantitel den allgemeinen Temperatureindruck des Wochenendes auf den Punkt brachte: 36,9°. Bossong war obendrein gewissermaßen doppelt vertreten, einmal als Autorin und einmal als literarische Figur, kommt sie doch in Nora Gomringers Geschichte Recherche fiktionalisiert als Ich-Erzählerin vor. Nora Gomringers Lesung dieses Texts, für den sie erst im Juli den Ingeborg-Bachmann-Preis erhielt, lockte rekordverdächtig viele Zuhörer zur sonnengelben Hauptbühne – und die Autorin rockte diese, wie es sich für eine so erfahrene Performerin gehört, mit einem furiosen Auftritt.

Carolin Callies, Nora Gomringer & Nora Bossong (c) Literaturportal Bayern

Im Anschluss an die halbstündig stattfindenden Lesungen stellten sich die Schriftstellerinnen und Schriftsteller auf den Nebenpodien der Diskussion ihrer Bücher und den Fragen des Publikums. Auch hier wurde die große Bandbreite der geladenen Autoren und der Genres, in denen sie schreiben, deutlich: Von Lyrik bis zum historischen Roman war alles geboten – bei Oskar Roehler wurde es zwischenzeitlich so laut und politisch hitzig, dass Moderator Herbert Heinzelmann einschreiten musste, bei Anne Weber, die sich in Ahnen eindringlich mit ihrer Familiengeschichte auseinandersetzt, mitunter sehr persönlich.

Oskar Roehler & Anne Weber auf dem Podium (c) Literaturportal Bayern

Zwei weitere besondere Programmpunkte waren die zwölfte Erlanger Übersetzerwerkstatt samt anschließender Verleihung des „Erlanger Literaturpreises für Poesie als Übersetzung“ am Freitag und die Oskar Roehler-Filmreihe, bei der an jedem Festivaltag abends im Lamm-Lichtspielhaus eine Produktion Roehlers gezeigt wurde.

Der sechste „Erlanger Literaturpreis für Poesie als Übersetzung“ ging an die Lyrikerin und Übersetzerin Uljana Wolf. Im Gespräch mit der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin Susan Bernofsky und der Laudatorin Yoko Tadawa (die letztjährige Preisträgerin) sprach Wolf vor allem über die Allgegenwart von Übersetzungen, von Transmission und Transgression. Uljana Wolf interessieren die Vermischungen zwischen den Sprachen, die Übergänge zum Fremden, das buchstäbliche Über-Setzen. Auch Fehler spielen für sie dabei eine wichtige produktive Rolle, wie sie beispielsweise in ihrer Publikation False Friends beweist, aus der sie einige Fehlerpaare liest. Zuletzt wies auch Wolf noch auf das Über-Setzen im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik hin und hoffte in ihrem „Aufruf“ laut darauf, dass es uns gelingt, uns weiter „ins Offene zu übersetzen“.

Uljana Wolf bei der Verleihung des 6. Erlanger Literaturpreises für Poesie als Übersetzung (c) Literaturportal Bayern

Dass das Öffnen und Überschreiten von Grenzen bestimmendes Thema des diesjährigen Erlanger Poetenfests war, zeigte auch das Gespräch mit Oskar Roehler unter dem Titel „Das Leben: ein Trauma“, das im Rahmen der Filmreihe stattfand. Hier äußerte sich Roehler über die Chancen und Grenzen der beiden Medien Film und Text, wie etwa das Transportieren und Ausgestalten eines autobiographischen Stoffes in seinem Film Die Unberührbare und seinem Roman Herkunft. Sehr politisch wurde es auch hier, als zuletzt Roehlers Spielfilm Jud Süß über den gleichnamigen antisemitischen Propagandafilm zur Sprache kam und im anschließend gezeigten Film Die Unberührbare die Berliner Mauer fiel.

Oskar Roehler im Gespräch (c) Erlanger Poetenfest – Foto: Erich Malter, 2015

Das Programm des Erlanger Poetenfests wurde abgerundet durch weitere Ausstellungen, Lesungen, Buchpräsentationen, durch Musikeinlagen und ein Lesungs- und Mitmachprogramm auf dem „Jungen Podium“. So ließ es seine über 12.000 Besucher und Besucherinnen damit auch in diesem Jahr vier sehr gelungene, entspannte und bewegende Tage lang Poesie und Politik atmen. Ein besonderer Dank gilt Britta Bock für die tolle Organisation und Betreuung. Wir kommen auf jeden Fall wieder – zum 36. Erlanger Poetenfest im August 2016.

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