8. White Ravens Festival: Abdi Nazemian und Isabel Abedi zu Gast in der Internationen Jugendbibliothek
Das 8. White Ravens Festival der Internationalen Jugendbibliothek unter der Schirmherrschaft des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst präsentiert sich ganz am Puls der Zeit. So diskutierten dort u.a. der für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2025 nominierte iranisch-amerikanische Jugendbuchautor
Abdi Nazemian und seine Übersetzerin, die deutsch-iranische Kinder- und Jugendbuchautorin
Isabel Abedi, über den derzeitigen Bücherbann in den USA, die Situation im Iran, über Coming-out und die existenzstiftende Kraft von Literatur. Dieser Abend über „current political issues“ (Nazemian) fand auf Englisch statt und wurde nach Bedarf über Kopfhörer simultan übersetzt. Das Literaturportal war vor Ort dabei.
*
„The light shines only now.“ – Mein Lieblingstag ist heute
Die Veranstaltungen der IJB (Internationalen Jugendbibliothek) auf Schloss Blutenburg sind immer eine Reise wert. Der idyllisch gelegene Ort am Stadtrand von München bietet seinen Besucherinnen und Besuchern allein schon aufgrund seiner Lage Entschleunigung und die nötige Konzentration auf die schönen inspirierenden Angebote vor Ort.
Zur Lesung des amerikanisch-iranischen Jugendbuchautors Abdi Nazemian waren neben den Gästen und einem interessierten Stammpublikum zahlreiche Exil-Iranerinnen und Iraner erschienen. Dies unterstreicht einmal mehr die Rolle, die München als Forum einer internationalen, migrationsbereicherten Literaturszene, als ein Resonanzraum für Vielsprachigkeit und Vielstimmigkeit wahrnimmt und auch in Zukunft wahrnehmen sollte.
Abdi Nazemian, der zusammen mit seiner Übersetzerin Isabel Abedi an diesem Abend hauptsächlich seinen neuen Roman Nur dieser eine Augenblick (Arctis 2024) vorstellen wollte, brachte aus seinen Gesprächen mit Münchner Schülerinnen und Schülern vom Vortag diese schöne Antwort auf die Frage nach seinem Lieblingstag mit: „The light shines only now.“
Das poetische Licht des großen persischen Gelehrten und Sufi-Mystikers Rumi blinkt darin zitierend auf; aber auch eine poetologische Auskunft über Nazemians Art und Weise, sein Schreiben als Brücke zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem zu verordnen. Das Heute, so der Autor, enthalte schließlich jeden vergangenen Tag. Sein jüngstes Werk Nur dieser eine Augenblick, in dem es für die drei männlichen Generationenvertreter Sohn Moud, Vater Saed und Großvater Bobby ganz grundsätzlich um den Umgang mit der Vergangenheit und einer möglichen Zukunft gehe, sei auch vor allem ein Buch über das Handhaben des Heute. Denn, so Nazemian, „du kannst niemals den Moment verleugnen.“
Und weil das so ist, trat die eigentliche Buchlesung zugunsten dieses Heute, der Diskussion um den jüngsten Bücherbann in den USA und sein eigenes Dasein als „banned author" unter der Präsidentschaft von Donald Trump, dann auch mehr in den Hintergrund.
„Der Bücherbann startet daheim – im Verbot der Eltern“
War das Publikum der IJB im Hier und Heute des Münchner Kulturalltags ausdrücklich eingeladen worden, mit dem homosexuellen iranisch-amerikanischen Autor „Diversität zu feiern“, ist dies in den USA derzeit ein politisch und insbesondere als Jugendbuchautor ein bildungspolitisch gewagtes Unterfangen.
Seit Anfang Juli, berichtete Nazemian, sei es in den USA nun legal – nachdem das Gericht jüngst einen entsprechenden Fall zugunsten der klagenden Eltern entschieden habe – dass die Eltern ihre Kinder aus dem Unterricht nehmen dürfen, wenn dort „queere Bücher“ besprochen werden.
10.000 Bücher stehen laut Nazemian bislang bereits auf der „Bann“-Liste; und damit so viele wie seit der McCarthy-Ära nicht mehr. Der engagierte Autor betonte aber zugleich, dass man darin, in der reaktionären Furcht-Reaktion im Grunde auch einen Erfolg der LGBTQ+-Bewegung erkennen könne.
So lag hier dann auch der Rekurs zur Bücherverbrennung 1933 in Deutschland unter den Nationalsozialisten nah, auf die der sehr höfliche Amerikaner dann aber nur in einem dezenten Schlenker verwies. Doch vielen im Publikum schoss auch ganz von selbst jener berühmte Ausspruch Heinrich Heines durch den Kopf: „Dort wo man Bücher verbrennt, da verbrennt man auch am Ende Menschen.“
„Ich habe mich selbst in die Existenz geschrieben“
Die Literatur als Weg: Als der 1976 in Teheran geborene Abdi Nazemian anfing zu schreiben, gab es, wie er sagt, noch keine Geschichten über einen schwulen Iraner. „Ich schreibe, damit die Menschen sehen, dass wir existieren.“
Wenn man sich verurteilt und in seiner Identität zersplittert fühle, helfen Geschichten als eine Art „Brückenbau“ gegen die Isolation. „Warum erzählen wir Storyteller generell nicht positiver?“ – Mit dieser Frage spielte Nazemian auf die gesellschaftliche Verantwortung an, die den Erzeugern von Narrativen zukomme. Sein wichtiger Aufruf in Zeiten des zutiefst toxischen Bereichs der öffentlichen Diskurse und Nachrichten: „Let’s shifting the attention and the light to something good.“
Überhaupt, „warum“, so ein weiterer nachhallender Satz Nazemians in Bezug auf den jüngsten Krieg im Iran und die Hoffnung, die die Zivilbevölkerung noch bei der Frau, Leben, Freiheit-Bewegung vor zwei Jahren zutiefst antrieb und bewegte, „warum soll ein Land niederbomben jetzt mehr bewirken als eine friedliche Frauenbefreiungsbewegung?“
„All die Freude im Leben kommt, wenn man loslässt“
Isabel Abedi, selbst Kinder- und Jugendbuchautorin mit iranischen Wurzeln und in München geboren, erzählte in ihrer Rolle als Teilübersetzerin von Abdi Nazemians jüngstem Roman, dass alle Figuren darin, so unterschiedlich sie auch seien, sie sozusagen innerlich an der Hand mit nach Teheran genommen hätten, wo sie selbst aus Sicherheitsgründen noch nie gewesen sei.
Sie kamen zudem auf die Codes zu sprechen, etwa „different“ für „gay“, oder „sie schauten sich in die Augen“ für küssen, denen sich die Übersetzer von Literatur im Iran bedienen würden, um Bücher mit queeren Inhalten dennoch publizieren zu können.
Auf die Frage, wie denn er, Nazemian, die Jugendlichen heutzutage erreiche, betonte dieser die Rolle des Humors und der Selbstironie: Es sei wichtig, dass die Jugendlichen auch über einen lachen könnten, denn dies schaffe Nähe. Seiner Erfahrung nach kämen die Freuden im Leben dann auf, wenn man bereit sei loszulassen und nichts mehr kontrollieren zu müssen.
Mehr Orte schaffen, an denen sich Menschen treffen können
Als Nazemian dann zusammen mit Abedi abschließend eine ebenso bewegende wie erhellende Passage aus Nur dieser eine Augenblick vorlas, wurde sicherlich allen Zuhörenden im Publikum klar, wie wichtig es ist, Orte auch schreibend zu schaffen, an denen sich Menschen lesend treffen und wiederfinden können. Orte, wo sie, wie in den überraschend lebhaften bunten Nischen der versteckten iranischen Subkultur, sein dürfen, wie sie sein möchten. Denn der siebzehnjährige schwule Moud, der mit seinem Vater Saeed in Los Angeles lebt, muss, als er dann erstmals seinen kranken Großvater im Iran besucht, vor seiner Reise akribisch sein gesamtes, nachprüfbares Dasein in den Sozialen Medien löschen und fühlt sich neben seiner Verleugnung auch stets der massiven Angst ausgesetzt, aufgrund seiner im Iran verbotenen Homosexualität entdeckt und bestraft zu werden.
Die Coverpräsentation in der Internationalen Jugendbibliothek © Literaturportal Bayern
Als er in München ankam, sei er, Nazemian, geradezu positiv „geflasht“ gewesen, wie offen ihm die Menschen nicht nur begegnen, sondern wie viele Menschen ihm auch wie selbstverständlich erzählt hätten, dass sie bereits in den Iran gereist seien. So etwas käme in den USA, dem Land der propagierten Monokultur, einfach nicht vor.
Dieser wichtige, vielschichtige Abend, der viel Diskussionsstoff lieferte, verlagerte sich anschließend noch nach draußen an die Stehtische, wo noch so lange wie es möglich war, gemeinsam im Heute verweilt wurde.
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Das 8. White Ravens Festival der Internationalen Jugendbibliothek unter der Schirmherrschaft des Bayerischen Staatsministeriums für Wissenschaft und Kunst präsentiert sich ganz am Puls der Zeit. So diskutierten dort u.a. der für den Deutschen Jugendliteraturpreis 2025 nominierte iranisch-amerikanische Jugendbuchautor
Abdi Nazemian und seine Übersetzerin, die deutsch-iranische Kinder- und Jugendbuchautorin
Isabel Abedi, über den derzeitigen Bücherbann in den USA, die Situation im Iran, über Coming-out und die existenzstiftende Kraft von Literatur. Dieser Abend über „current political issues“ (Nazemian) fand auf Englisch statt und wurde nach Bedarf über Kopfhörer simultan übersetzt. Das Literaturportal war vor Ort dabei.
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„The light shines only now.“ – Mein Lieblingstag ist heute
Die Veranstaltungen der IJB (Internationalen Jugendbibliothek) auf Schloss Blutenburg sind immer eine Reise wert. Der idyllisch gelegene Ort am Stadtrand von München bietet seinen Besucherinnen und Besuchern allein schon aufgrund seiner Lage Entschleunigung und die nötige Konzentration auf die schönen inspirierenden Angebote vor Ort.
Zur Lesung des amerikanisch-iranischen Jugendbuchautors Abdi Nazemian waren neben den Gästen und einem interessierten Stammpublikum zahlreiche Exil-Iranerinnen und Iraner erschienen. Dies unterstreicht einmal mehr die Rolle, die München als Forum einer internationalen, migrationsbereicherten Literaturszene, als ein Resonanzraum für Vielsprachigkeit und Vielstimmigkeit wahrnimmt und auch in Zukunft wahrnehmen sollte.
Abdi Nazemian, der zusammen mit seiner Übersetzerin Isabel Abedi an diesem Abend hauptsächlich seinen neuen Roman Nur dieser eine Augenblick (Arctis 2024) vorstellen wollte, brachte aus seinen Gesprächen mit Münchner Schülerinnen und Schülern vom Vortag diese schöne Antwort auf die Frage nach seinem Lieblingstag mit: „The light shines only now.“
Das poetische Licht des großen persischen Gelehrten und Sufi-Mystikers Rumi blinkt darin zitierend auf; aber auch eine poetologische Auskunft über Nazemians Art und Weise, sein Schreiben als Brücke zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem zu verordnen. Das Heute, so der Autor, enthalte schließlich jeden vergangenen Tag. Sein jüngstes Werk Nur dieser eine Augenblick, in dem es für die drei männlichen Generationenvertreter Sohn Moud, Vater Saed und Großvater Bobby ganz grundsätzlich um den Umgang mit der Vergangenheit und einer möglichen Zukunft gehe, sei auch vor allem ein Buch über das Handhaben des Heute. Denn, so Nazemian, „du kannst niemals den Moment verleugnen.“
Und weil das so ist, trat die eigentliche Buchlesung zugunsten dieses Heute, der Diskussion um den jüngsten Bücherbann in den USA und sein eigenes Dasein als „banned author" unter der Präsidentschaft von Donald Trump, dann auch mehr in den Hintergrund.
„Der Bücherbann startet daheim – im Verbot der Eltern“
War das Publikum der IJB im Hier und Heute des Münchner Kulturalltags ausdrücklich eingeladen worden, mit dem homosexuellen iranisch-amerikanischen Autor „Diversität zu feiern“, ist dies in den USA derzeit ein politisch und insbesondere als Jugendbuchautor ein bildungspolitisch gewagtes Unterfangen.
Seit Anfang Juli, berichtete Nazemian, sei es in den USA nun legal – nachdem das Gericht jüngst einen entsprechenden Fall zugunsten der klagenden Eltern entschieden habe – dass die Eltern ihre Kinder aus dem Unterricht nehmen dürfen, wenn dort „queere Bücher“ besprochen werden.
10.000 Bücher stehen laut Nazemian bislang bereits auf der „Bann“-Liste; und damit so viele wie seit der McCarthy-Ära nicht mehr. Der engagierte Autor betonte aber zugleich, dass man darin, in der reaktionären Furcht-Reaktion im Grunde auch einen Erfolg der LGBTQ+-Bewegung erkennen könne.
So lag hier dann auch der Rekurs zur Bücherverbrennung 1933 in Deutschland unter den Nationalsozialisten nah, auf die der sehr höfliche Amerikaner dann aber nur in einem dezenten Schlenker verwies. Doch vielen im Publikum schoss auch ganz von selbst jener berühmte Ausspruch Heinrich Heines durch den Kopf: „Dort wo man Bücher verbrennt, da verbrennt man auch am Ende Menschen.“
„Ich habe mich selbst in die Existenz geschrieben“
Die Literatur als Weg: Als der 1976 in Teheran geborene Abdi Nazemian anfing zu schreiben, gab es, wie er sagt, noch keine Geschichten über einen schwulen Iraner. „Ich schreibe, damit die Menschen sehen, dass wir existieren.“
Wenn man sich verurteilt und in seiner Identität zersplittert fühle, helfen Geschichten als eine Art „Brückenbau“ gegen die Isolation. „Warum erzählen wir Storyteller generell nicht positiver?“ – Mit dieser Frage spielte Nazemian auf die gesellschaftliche Verantwortung an, die den Erzeugern von Narrativen zukomme. Sein wichtiger Aufruf in Zeiten des zutiefst toxischen Bereichs der öffentlichen Diskurse und Nachrichten: „Let’s shifting the attention and the light to something good.“
Überhaupt, „warum“, so ein weiterer nachhallender Satz Nazemians in Bezug auf den jüngsten Krieg im Iran und die Hoffnung, die die Zivilbevölkerung noch bei der Frau, Leben, Freiheit-Bewegung vor zwei Jahren zutiefst antrieb und bewegte, „warum soll ein Land niederbomben jetzt mehr bewirken als eine friedliche Frauenbefreiungsbewegung?“
„All die Freude im Leben kommt, wenn man loslässt“
Isabel Abedi, selbst Kinder- und Jugendbuchautorin mit iranischen Wurzeln und in München geboren, erzählte in ihrer Rolle als Teilübersetzerin von Abdi Nazemians jüngstem Roman, dass alle Figuren darin, so unterschiedlich sie auch seien, sie sozusagen innerlich an der Hand mit nach Teheran genommen hätten, wo sie selbst aus Sicherheitsgründen noch nie gewesen sei.
Sie kamen zudem auf die Codes zu sprechen, etwa „different“ für „gay“, oder „sie schauten sich in die Augen“ für küssen, denen sich die Übersetzer von Literatur im Iran bedienen würden, um Bücher mit queeren Inhalten dennoch publizieren zu können.
Auf die Frage, wie denn er, Nazemian, die Jugendlichen heutzutage erreiche, betonte dieser die Rolle des Humors und der Selbstironie: Es sei wichtig, dass die Jugendlichen auch über einen lachen könnten, denn dies schaffe Nähe. Seiner Erfahrung nach kämen die Freuden im Leben dann auf, wenn man bereit sei loszulassen und nichts mehr kontrollieren zu müssen.
Mehr Orte schaffen, an denen sich Menschen treffen können
Als Nazemian dann zusammen mit Abedi abschließend eine ebenso bewegende wie erhellende Passage aus Nur dieser eine Augenblick vorlas, wurde sicherlich allen Zuhörenden im Publikum klar, wie wichtig es ist, Orte auch schreibend zu schaffen, an denen sich Menschen lesend treffen und wiederfinden können. Orte, wo sie, wie in den überraschend lebhaften bunten Nischen der versteckten iranischen Subkultur, sein dürfen, wie sie sein möchten. Denn der siebzehnjährige schwule Moud, der mit seinem Vater Saeed in Los Angeles lebt, muss, als er dann erstmals seinen kranken Großvater im Iran besucht, vor seiner Reise akribisch sein gesamtes, nachprüfbares Dasein in den Sozialen Medien löschen und fühlt sich neben seiner Verleugnung auch stets der massiven Angst ausgesetzt, aufgrund seiner im Iran verbotenen Homosexualität entdeckt und bestraft zu werden.
Die Coverpräsentation in der Internationalen Jugendbibliothek © Literaturportal Bayern
Als er in München ankam, sei er, Nazemian, geradezu positiv „geflasht“ gewesen, wie offen ihm die Menschen nicht nur begegnen, sondern wie viele Menschen ihm auch wie selbstverständlich erzählt hätten, dass sie bereits in den Iran gereist seien. So etwas käme in den USA, dem Land der propagierten Monokultur, einfach nicht vor.
Dieser wichtige, vielschichtige Abend, der viel Diskussionsstoff lieferte, verlagerte sich anschließend noch nach draußen an die Stehtische, wo noch so lange wie es möglich war, gemeinsam im Heute verweilt wurde.