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Alltag und Elend in Bayern vor 200 Jahren: Joseph von Hazzis »Realien aus der guten alten Zeit«

Die 141. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunkt Schuld und ... Darin rezensiert Hannes S. Macher die von Tobias Roth ausgewählten Texte von Joseph von Hazzi.

Als »Jacobiner« wurde er von seinen Gegnern und Feinden – und davon gab es nicht wenige – bezeichnet, weil er die Ideen der Französischen Revolution von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit verfocht, wobei er jedoch als Mitglied des Verwaltungsgremiums unter Kurfürst Maximilian IV. Joseph die Forderung Robespierres nach Abschaffung der Monarchie nicht verfolgte. Als strammer Verfechter der Aufklärung und der Reformen des Allroundministers Graf Montgelas wurde er 1816 in den Adelsstand erhoben. Doch zunächst hat der am 12.2.1768 im niederbayerischen Abensberg geborene Joseph von Hazzi den ehrenwerten Beruf eines Maurerpoliers im elterlichen Baugeschäft erlernt und ist als Staatsrat des Königreichs Bayern, zudem als Guts- und Gerichtsherr auf seiner Burg Elkofen im oberbayerischen Grafing, am 20.5.1845 verstorben.

Nach dem Studium in Ingolstadt startete er als Jurist seine Karriere in verschiedenen bayerischen Ministerien. Nachhaltige Verbesserungen in der Forstverwaltung und in der Agrarpolitik setzte er durch, und in den Napoleonischen Kriegen stieg er zum Regimentsführer auf (weshalb er auch zwischenzeitlich zum Polizeikommissar von Berlin ernannt wurde). 31 Schriften hat er insgesamt verfasst, hauptsächlich zur Lage und vor allem zur Verbesserung des bayerischen Forstwesens und der Landwirtschaft.

Doch Hazzis größte Leistung in der Forderung und der Förderung eines im Sinne der Aufklärung reformierten Bayern liegt in der Abfassung seiner zwischen 1801 und 1808 erschienenen Denkschriften Statistische Aufschlüsse über das Herzogthum Baiern. In neun Bänden mit insgesamt über 4.000 Seiten hat er freilich nicht nur Statistiken, Zahlen und Tabellen über die wirtschaftlichen Verhältnisse in Bayern im Übergang vom 18. zum 19. Jahrhundert zusammengetragen, sondern auch und vor allem vom Alltagsleben in allen damaligen »Rentämtern «, den heutigen Regierungsbezirken, berichtet.

Ebenso detailliert wie schonungslos kritisch hat er die Armut und die tägliche Fron der Bauern, Handwerker und Dienstboten beschrieben, hat die katastrophalen Wohn- und Hygieneverhältnisse in Stadt und Land dargestellt sowie die mangelnde Bildung und die fehlende Fortschrittsgläubigkeit angeprangert.

Von A wie Abbach bis Z wie Zwiesel

In Landau an der Isar beispielsweise stellte er mit Erschrecken fest: »Nirgends eine ordentliche Schule, noch weniger eine Gesundheitsanstalt, Bader, Abdecker, alte Weiber treiben das Handwerk eines Arztes, die jüngsten Leute sterben daher unter solchen Händen dahin«. Oder in Moosburg: »Schulen kennt man kaum oder die Kinder werden zu früh zur harten Arbeit genötigt, [...] und die Menschen sind hier weit übler daran als das Vieh.« Und in Straubing: »Mit der Religion sind (die Menschen) mehr der vielen Feiertage wegen zufrieden, (bei denen es) ans Schwelgen und Spielen geht. Wenn eine Bäurin entbunden wird, hat der Mann das Recht, sechs Wochen lang Bier zu schenken, und dass es dabei lustig hergeht, versteht sich.«

Auch im Gerichtsbezirk Kranzberg sieht's nicht besser aus: »So wie sich der Bader auf seine Brechmittel verlässt, so nimmt die Hebamme, wenn sie gerufen wird und die Wehen anrücken, ihre Zuflucht zum Rosenkranz; kommen die Wehen stärker, wird ein zweiter gebetet, steigen sie noch höher – ein dritter, und es bleibt der Natur ganz überlassen, das Kind zur Welt zu befördern, das bis zur Taufe wie vom Teufel besessen gehalten wird.«

Die Klosteraufhebungen

Vor allem hat Hazzi als eifriger Verfechter der Säkularisation das Leben und die Zustände in den Klöstern angeprangert. In Ettal beispielsweise: »Diese Benediktinerherren scheinen auch dem Menschengeschlecht so abgeneigt zu sein, dass sie kein einziges Haus, keine einzige Familie in diesem Gebirgskessel aufkommen lassen; sie sind also ganz isoliert, ganz der heiligen Schwermut oder dem Bier­ und Weinkrug geweiht.« Oder im Brigittinnen-Kloster Altomünster: »Jetzt befinden sich 38 Frauen, 12 Patres und 7 Fratres darin; erstere haben die Oberherrschaft, [...] geben den geistlichen Männern alles vor und halten sie wie ihre Knechte; daher ist ewiger Krieg unter ihnen. Ihre Ordensregeln sind hart und mit strengem Fasten verbunden; was aber nützen all diese Menschen? Warum lässt man sie sich als Menschen so entstellen und ewig untereinander foltern?« Die Antwort war Montgelas' Edikt der Klosteraufhebungen vom Jahr 1803.

Das Justizwesen nicht zu vergessen

Über viele Seiten hinweg schildert Hazzi detailreich auch den Ablauf und die Torturen der Folterungen von tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsbrechern, von Kindsmörderinnen und Frauen, die als Hexen verleumdet wurden, um ihnen »Geständnisse« abzupressen. Dazu die heutzutage unvorstellbaren Hinrichtungsarten des Köpfens mit dem Schwert, des Vierteilens und Radbrechens. Und Hazzis erschreckende Bilanz endet mit dem Aufruf nicht nur an König Max I. Joseph, sondern an alle Herrscher: »O Regenten!, vernichtet diese Kammern der Hölle, in welchen oft unschuldiges Blut Rache zum Himmel schreit!«

Eine repräsentative Auswahl aus Hazzis Schriften liegt hiermit vor, die die traurigen Lebensumstände der Unter- und der Mittelschicht in Bayern sowie die unhaltbaren Zustände in den Klöstern und im Gerichtswesen vor rund 200 Jahren bestens und erschreckend dokumentieren.