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11.10.2022, 00:00 Uhr
Kunstministerium
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© Peter Hassiepen

Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern 2022 an Kilian Leypold

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Kilian Leypold mit Kunstminister Markus Blume. © Wolfgang Maria Weber/StMWK

Lyrik, Comics und Romane: Am 28. September 2022 wurden in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 22 Schriftstellerinnen und Schriftsteller von Kunstminister Markus Blume mit den Förder- und Arbeitsstipendien des Freistaates Bayern ausgezeichnet. Unter den geförderten Publikationsvorhaben finden sich Lyrik-, Erzähl- und Comicbände ebenso wie die Geschichte einer potenziellen Amour fou sowie eine im 19. Jahrhundert angesiedelte gesellschaftskritische „biofiction“. Das Literaturportal Bayern stellt in den kommenden 11 Wochen jeweils zwei der Preisträgerinnen und Preisträger mit einem Porträt, der Laudatio und einem Textauszug vor.

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Kilian Leypold, 1968 in Nürnberg geboren, studierte Philosophie, Slawistik und Osteuropäische Geschichte. Für seine ersten literarischen Arbeiten wurde er 1998 mit dem Literaturpreis der Nürnberger Kulturläden ausgezeichnet. Seit 2000 arbeitet er als freier Reporter und Autor für den Kinderfunk des Bayerischen Rundfunks. 2010 bekam er eines der Arbeitsstipendien des Freistaates Bayern; im selben Jahr erschien sein erster Roman für Kinder und Jugendliche Der Tiger unter der Stadt im Aufbau Verlag. 2011 folgte sein illus­triertes Kinderbuch Bulle und Pelle – Eine Geschichte über den Tod (Thienemann). 2011 stand Leypold auch auf der Auswahlliste des Nachwuchspreises der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur e.V. Bei Hanser erschien der Jugendroman Krähen gegen Ratten – Der Bandenkrieg von Murz und Matze (2014), der mit dem Münchner Literaturstipendium ausgezeichnet wurde. Kilian Leypold lebt mit seiner Frau und Tochter in München.

Laudatio von Christine Knödler:

Dies ist ein historischer Jugendroman und zugleich viel mehr. Der 30-jährige Krieg hat gerade begonnen, Janko, 13, hat schon alles verloren, im Tal der Papiermühlen am Gardasee, findet er Zuflucht. Zu Papier bringen wird beim Wort genommen. Papier bereitet Erkenntnis den Boden. Doch da gibt es auch das schwarze Papier. Teufelszeug? Macht-Mittel? Otfried Preußlers Krabat steht Pate, zwischen intertextueller Einordnung, historisch Verbürgtem und virtuoser Erfindung bewegt sich der Autor entlang der Grenze von Wissensdurst und der Faszination des Irrealen. Suggestiv sprachmächtig und beklemmend aktuell erzählt er von Krieg, Traumatisierung, Träumen, von Freundschaft, Verantwortung, Entscheidung. Und von einem alten Handwerk. Das wird auch zum Ausgangspunkt poetologischer Selbstverortung. Denn was wäre die Welt ohne Worte? Was sie vermögen. ist nun bei Kilian Leypold nachzulesen.

© Wolfgang Maria Weber/StMWK

Auszug aus Das schwarze Papier (Jugendromanvorhaben)

Der Gestank traf ihn wie ein Schlag, nahm ihm sofort den Atem; Fäulnis, in einer Intensität, die ihm den Magen umdrehte. Gleichzeitig traf ihn ein zweiter heftiger Schlag: Der Lärm einer langen Reihe Balken, die sich einer nach dem anderen hoben und senkten. Wie gewaltige Hämmer schlugen sie mit einem kurzen Balkenstück, das mit Eisen beschlagen war, in große Löcher in einem hohlen Baumstamm, der mit einer stinkenden Brühe gefüllt war. Das Geräusch, das alles überschwemmte, war ein ohrenbetäubendes Knarren, Schlagen, Klirren, Poltern und Quietschen, es krachte, klatschte, schrie und schepperte.

Janko verlor die Orientierung. Was war das? Wo war das? Wo waren sie? Seine Schwester, sie war weg. Waren das die Reiter, die sie auseinander getrieben hatten, deren Schreie übertönt wurden vom Hämmern der Hufe? Und dieser Lärm, der von da kam, wohin die Reiter verschwunden waren, der jetzt immer lauter wurde, war das die Schlacht, der Kampf, der Tod? Er musste weg, weg, weg davon.

Janko stürzte die Stufen hinauf, riss die Tür auf, taumelte ins Freie. Sein Herz raste.

Wie ein Wolkenbruch war es gekommen, hatte ihn weggerissen, die Erinnerung. Er fiel in ein Gestrüpp und presste die Hände an den Kopf, hielt sich die Ohren zu. Als sich sein Atem beruhigt hatte und er sich aufsetzte, stand Giovanna neben ihm, ging jetzt in die Hocke.

„Wie kannst du es wagen!“, schrie sie. „Das ist das Herz der Mühle. Wenn du das nicht verstehst, verstehst du einen Dreck. Bist du blöd oder krank?“

Janko konnte sie kaum ansehen, sein Blick zuckte immer wieder weg. Wie sollte er erklären, was er selbst nicht verstand.

„Der Lärm da drin“, murmelte er endlich. „So klingt der Krieg. Nur lauter.“

„Das soll Kriegslärm sein?“ Giovanna richtete sich langsam auf. „Davor fliehst du und wirfst dich ins Gebüsch? Bist du ein Feigling oder ein Idiot? Es sind nur Stampfen, die über das Mühlrad angehoben werden und im Löcher-baum das Halbzeug zu feinem Brei stampfen. Und dieser Brei, das ist Papier! Das ist die schlimmste Schinderei und die erledigt der Fluss für uns. Verkümmerter Schwachkopf.“ Etwas an ihr zuckte, wollte sie ihn treten? „Benutz deinen Kopf und staune, zu was wir alles in der Lage sind, statt weg zu rennen. Soll ich es dir nochmal zeigen?“

Janko schüttelte den Kopf.

Sie wandte sich ab, ihr Zopf schwang langsam durch die Luft, wie das Pendel einer Uhr, deren Zeit voranschritt, während er liegen blieb und in die Vergangenheit starrte. Ihr dunkler Umriss stand vor dem lichten Blau, das langsam den Himmel färbte.