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25.05.2022, 12:33 Uhr
Moses Wolff
Text & Debatte
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Ernst Hoferichter beim Heiteren Autorenabend des Tukan-Kreises am 10. Januar 1955 (Bayerische Staatsbibliothek/Timpe)

Ernst-Hoferichter-Preis 2021 an Jaromir Konecny. Laudatio von Moses Wolff

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Jaromir Konecny © Christof Größl

2021 wurden der Filmemacher Wolfgang Ettlich, der Schriftsteller und Slam-Poet Jaromir Konecny sowie die Comiczeichnerin Barbara Yelin mit den Ernst-Hoferichter-Preisen ausgezeichnet. Der mit jeweils 5.000 Euro dotierte Preis wird seit 1975 jährlich an Münchner Künstlerinnen und Künstler der erzählenden Kunst vergeben, die – wie Ernst Hoferichter – Originalität mit Weltoffenheit und Humor verbinden. Die Preise wurden nun – zusammen mit den diesjährigen Ernst-Hoferichter-Preisen an Felicia (Fee) Brembeck und Alex Rühle – am Mittwoch, 11. Mai im Literaturhaus München mit geladenen Gästen verliehen. Im Folgenden veröffentlichen wir die Laudatio des Münchner Autors, Schauspielers, Kabarettisten und Musikers Moses Wolff für Jaromir Konecny.

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Jaromir Konecny ist eine perfekte Mischung aus Exzentrik, geballter Männlichkeit, Kung Fu, Nervosität, buddhistischer Ruhe, taoistischer Spiritualität und angeborenem tschechischem Pessimismus.

Er ist Jahrgang 1956 und wuchs im östlichsten Teil Tschechiens, im mährischen Ostrava auf. Als er noch ein Kind war, antwortete er Erwachsenen auf die Frage, was er denn mal sein möchte, wenn er groß sei, stets: „Rentner!“ Vermutlich haben ihn die Sommerfrischler beeindruckt, die bei gutem Pilsner Urquell in der Sonne saßen und den anderen zusahen, wie sie in die Fabriken hetzten.

Er reifte zwischen Himbeerlimonade und Pfefferminzlikör, zwischen im Sozialismus so kostbaren Orangen und Zigarettenasche im Bohneneintopf, zwischen geköpften Hühnern und mancher Derbheit im Wirtshaus, zwischen Tanzkurs und sozialistischer Abiturfeier.

Sein Vater war ein patriarchischer Kommunist, dem gerne mal die Hand ausrutschte, seine Mutter war leidenschaftliche Krimileserin und schleppte den kleinen Jaromir jeden zweiten Tag in die Stadtbücherei. Dort hat sie dann mit der Bibliothekarin Kaffee getrunken, und Jaromir fand rasch gleichgesinnte Spielkameraden, nämlich Bücher. So lernte er mit etwa vier Jahren lesen – und verschlang alles, was ihm in die Finger kam: Romane, Kinderbücher, Sachbücher. Rasch stand fest: er wollte nicht mehr Rentner werden, sondern Schriftsteller.

Mit 12 Jahren hatte er sein erstes Buch fertiggeschrieben: ein Krimi für seine Mutter. Doch der Krimi war – sagen wir – „so unorthodox“, dass er dafür zwei Wochen Hausarrest bekam.

Etwa zur gleichen Zeit bekam er zu Weihnachten den Experimentierkasten Der kleine Chemiker geschenkt. Ein paar Tage später verursachte er damit eine kleine Explosion auf dem Dachboden. Diesmal gab es keinen Hausarrest, im Gegenteil! Seine Mutter sagte: „Jaromir ist ein genialer Chemiker“ und hat ihn an der Chemie-Gewerbe-Schule in Ostrava einschreiben lassen. So wurde er Chemiker und landete 1978 mit 22 Jahren als Experte für Treibstoffe in Libyen. Seine Expertise bestand darin, die tschechoslowakischen Schulflugzeuge der Marke Albatros mit Kerosin zu füllen, so lebte er fast zwei Jahre lang als Tankwart in Afrika. Es folgten zahlreiche weitere Jobs, unter anderem war er als Helfer im Kanal unter den Tieföfen in einer Stahlhütte in Ostrava tätig, ebenso als Schiffsmeister bei der tschechischen Elbe-Oder-Schifffahrt. Zum Glück hat er während dieser Zeit kontinuierlich geschrieben, nachzulesen ist manches davon in seinem Buch Du wächst für den Galgen.

Als er 25 Jahre alt war, flüchtete er nach Westdeutschland. Das war 1982. Die Filme E.T. und Blade Runner liefen im Kino, Friedensbewegung und Neue Deutsche Welle hatten Hochkonjunktur, Helmut Kohl löste Helmut Schmidt als Kanzler ab – und Jaromir hockte in einem Flüchtlingslager im bayerischen Wald. Damals konnte er einen einzigen vollständigen deutschen Satz fehlerfrei sprechen: nämlich: „Bitte ein Bier!“ Glücklicherweise hatte ihm eine Religionslehrerin eine Bananenkiste voller Gruselheftromane geschenkt und er konnte seine Sprachkenntnisse erheblich erweitern.

Irgendwann war die Zeit im Lager vorbei, er arbeitete am Bau und als Küchenhilfe, bis er am Lehrstuhl für Theoretische Chemie der TU München bei Professor Ludwig Hofacker über die Entstehung des genetischen Codes und die Doppelstrang-Kodierung in den Nukleinsäuren promovierte. Ich glaube, nicht mal Charles Bukowski hatte mehr unterschiedliche Jobs als Jaromir Konecny, Verzeihung: Doktor Jaromir Konecny, soviel Zeit muss sein.

Im Jahr 1994 wurde im deutschsprachigen Raum das neue Veranstaltungsformat „Poetry Slam“, ein aus den USA stammender Dichterwettstreit, etabliert. Jaromir war von Anfang an im Münchner Club Substanz dabei und trug dem Publikum selbstverfasste Prosatexte in seiner schon damals unnachahmlichen Art vor. Ein Journalist lobte seinerzeit den originellen Künstlernamen Jaromir Konecny, der allerdings sein echter ist. Frei übersetzt bedeutet das tschechische Wort „konecny“ übrigens so viel wie „endgültig“.

Nicht selten zählte er beim Slam zu den Siegern, nämlich etwa hundert Mal. Die Arbeit am Mikrofon und das Schreiben und Publizieren von Büchern wurden seine Hauptaktionsfelder, er ist bis zum heutigen Tag zudem als jonglierender Kabarettist, Moderator und Bühnenperformer aktiv, hält wissenschaftliche Vorträge über künstliche Intelligenz, und forscht in den Naturwissenschaften herum.

Jaromir liebt die intensive verbale Auseinandersetzung, er ist ein Mensch der Sprache, aber auch ein Freund des Sportes und der Spiritualität. Er betreibt aktiv Kung Fu, besucht magische Kraftorte und ist begeisterter Fußballer. Manche Debatten mit Teamkollegen nach Fußballtournieren, bei denen er selbst als Spieler aktiv mitwirkte, dauerten dank Jaromirs Diskussionsfreudigkeit genauso lange wie das eigentliche Spiel.

Eines Tages liefen wir uns über den Weg und wurden unzertrennliche Freunde und Bühnenkollegen. Wir gründeten die mittlerweile amtsälteste Münchner Lesebühne Schwabinger Schaumschläger im Vereinsheim, die seit 2007 bis heute jeden Sonntag stattfindet und vom Kulturreferat der Landeshauptstadt München gefördert wird.

Wir haben seither zahlreiche Abenteuer zwischen München und Prag erlebt, ob auf der Bühne, am Tresen, mit Brauereibesitzern, Barden, Damen, Veranstaltern und zahlreichen geliebten Kolleginnen und Kollegen. 2020 wurden wir beide zu den Münchner Turmschreibern berufen.

Jaromir steht ständig unter Strom, manchmal schreibt er drei Bücher innerhalb eines Jahres, er ist ein großer Wortakrobat. Das einzige, was ihn an der deutschen Sprache irritiert, sind Umlaute, die ihn in seiner Funktion als Tscheche und Forscher der Evolutionstheorie mit fiesen Wörtern wie Bääären, Welfe und Fichse seit Jahrzehnten quälen. Beinahe genauso schön wie die Lektüre seiner Werke ist sein Vortrag am Mikrofon samt Mimik und Gestik, dann rollt er die Augen, ballt seine Fäuste, setzt gekonnt rhetorische Pausen, baut immer wieder kleine Witze ein und sieht dabei aus wie ein Magier aus einem alten Kinderbuch.

Vor einigen Jahren schrieb eine renommierte deutsche Zeitung: „Das Beste an ihm ist sein tschechischer Akzent.“ Kurze Zeit später schrieb eine tschechische Zeitung: „Das Beste an ihm ist sein deutscher Akzent.“

In der Jurybegründung steht unter anderem: „Jaromir Konecny ist seit langem eine feste Größe in der Münchner Literatur-Szene und gilt als einer der wichtigsten deutschsprachigen Slampoeten. Er wurde innerhalb kürzester Zeit zu einem wahren Bühnen-Ereignis: Seine Geschichten voller Komik und Alltagsabsurditäten, seine Gestik und vor allem sein gut gepflegter unwiderstehlicher Akzent verschafften ihm schnell eine große Fangemeinde. In seiner Prosa mischt er das ,Hohe‘ mit dem ‚Niedrigen‘, die Literatur mit dem Banalen, das Traurige mit dem Komischen. Über die Kunst des gesprochenen Worts schrieb er einmal, Literatur sei für ihn die Fortsetzung des Erzählens am Lagerfeuer mit anderen Mitteln, und der Poetry Slam der moderne Weg zurück zu diesen Wurzeln.

Ganz am Ende seines jüngsten Buches Du wächst für den Galgen. Ein Roman in Geschichten findet sich ein Satz, der exemplarisch stehen könnte für Jaromir Konecnys Poetik: „Jede noch so traurige Geschichte hat eine lustige Seite. Du musst sie nur finden.“

Ich gratuliere von ganzem Herzen zum Ernst-Hoferichter-Preis: wunderbarer Jaromir Konecny!


Moses Wolff
Autor, Darsteller, Filmschaffender, Musikant