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28.06.2019, 12:08 Uhr
Renée Rauchalles
Text & Debatte
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© Folker Schellenberg

Carlamaria Heim hat den 'arme Leit' ein Denkmal gesetzt

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Werner Asam (Dienstmann Bauch), Carlamaria Heim (Köchin Babette), Bernd Helfrich (Josef) in der Fernsehserie „Die Wiesingers" © BR/Galaxy-Film

Die 135. Ausgabe der Zeitschrift Literatur in Bayern widmet sich dem Schwerpunktthema Lebensläufe in Bayern. Im folgenden Beitrag beschäftigt sich Renée Rauchalles mit der Autorin und Schauspielerin Carlamaria Heim.

*

„Was, Sie wohnen in Haidhausen?“

sagt die Dame (in gehobener Position beim Fernsehen),

„Das ist ja ein zauberhaftes Viertel,

die alten Häuser, die Menschen,

alles noch so ursprünglich!

Wissen Sie mir keine Wohnung?“

 

So beginnt das Gedicht Zauberhaftes Viertel der einst beliebten Schauspielerin, Autorin und Mundartdichterin Carlamaria Heim, geschrieben 1981 für die Haidhauser Nachrichten. Circa 45 Jahre, seit November 1935, lebte sie mit Mutter (zeitweise) und Vater (wegen Einberufung nur bis Ende 1941, gefallen vermutlich 1944) in diesem Münchner Viertel am Johannisplatz 10. Dann wurden sie hinaussaniert aus der Vierzimmerwohnung, in der seit 1966 (zunächst als Zweitwohnsitz, ab 1973 als Hauptwohnsitz) auch ihr Mann, der Schauspieler und Kabarettist Joachim Hackethal, und seit 1964 die Adoptivtochter Regine lebten. Eine Gedenktafel am Haus erinnert an Carlamaria Heim, die auch SPD-Mitglied und vier Jahre Vorsitzende des Haidhauser Sanierungsbeirates war und sich neben ihrer künstlerischen Arbeit mit Hingabe gegen Wohnungsspekulanten und Luxussanierungen engagierte. Leider zumeist vergebens.

Ihren Mann (geheiratet hatten sie am 7.5.1962 in Kiel, damals sein erster Wohnsitz) lernte sie kennen, als sie 1958 zu der von ihm geleiteten Gruppe des Kabaretts Die Amnestierten kam. Mit ihm zog sie als zweite Frau im Ensemble „durch die deutschsprachigen Lande. Vom Cornichon in Zürich, bis zum Deutschen Schauspielhaus von Gründgens in Hamburg, von den Münchner Kammerspielen bis zu den 'Stachelschweinen' in der Ewigen Lampe in Berlin. Mit ihren komischen Soloauftritten riss sie die Leute zu Begeisterungsstürmen hin. Einer der Höhepunkte war, wenn sie beim Sketch 'Alkoholtest für Kraftfahrer' mit einem vollen Tablett mit Schnapsgläsern als sturzbetrunkene Krankenschwester stocksteif umfiel, ohne sich zu verletzen", so Joachim Hackethal in seinem Buch Die Kehrseite der Medaille, das 1995 im Verlag Obalski & Astor erschien.

Carla kam als einziges Kind der Josepha Heim, geborene Halbinger (6.1.1900, Eching bei Freising) und Franz Heim (29.10.1906, München) am 2.3.1932 in München mit Kaiserschnitt zur Welt. Josepha war bestürzt über das „gräusliche“ Kind mit gestreckten Beinchen bis an die Schultern und nach hinten hängendem Kopf. Mit zwei Monaten, nach Abheilung der Abszesse am ganzen Körper, legte man es in eine Gipsschale, in der es so festgeschnallt war, dass es sich nicht bewegen konnte. Um den Kopf befestigte man ein Lederhäubchen. Mittels den daran angebrachten Riemen wurde er immer weiter nach vorne an die Schienen des Gipsbettes gezogen. Die Haube wurde nach vier Monaten, als der Kopf richtig saß, wieder entfernt.

Auch weitere körperliche und sonstige Einschränkungen und Ereignisse gab es in Carlas Leben, die gewiss nachhaltigen Einfluss auf ihre zarte Seele hatten. Die Mutter, ein Arbeiterkind, lange unter extremer Armut und Schicksalsschlägen leidend (vor allem in den beiden Weltkriegen), versuchte das aufzufangen. Für ihre Tochter setzte sie sich tatkräftig ein, auch in misslichen Lagen. Sie ließ sie das Abitur machen, trotz ihrer Armut. Dass sie dann Schauspielerin werden wollte, davon war sie nicht begeistert, sie hätte ihr etwas Sicheres gewünscht. In ihrem Gedicht Dank schrieb Carla:

 

Des hats jetzt davo, mei Muadda,

daß se se abgrackert hat mitm Putzlumpen,

damits für mi a Bildung leidt,

daß s mir amoi besser geht im Leben wia ihr.

 

Jetzt hab i de Bildung. Was mach i?

I denk drüber nach, ob des Leben an Sinn hat.

Zu sowas hat d Muadda nie Zeit ghabt.

Des hats jetzt davo, mei Muadda.

 

Um Geld zu verdienen, arbeitete Carlamaria zunächst als Sekretärin, was sie nicht glücklich machte. Sie nahm Schauspielunterricht. 1957 dann ihr erstes Bühnenengagement. Dem folgten weitere (auch Kammerspiele und Residenztheater). Bekannter wurde sie durch Rollen wie die Frau Bernbacher in der TV-Serie Meister Eder und sein Pumuckl, in Helmut Dietls Münchner Geschichten und im Monaco Franze, oder als Köchin Babette in der Serie Die Wiesingers. Sie agierte als Sprecherin in zahlreichen Produktionen des Bayerischen Rundfunks, in Krimiserien, Hörspielen und Kinderfunk.

 

Carlamaria Heim im Gespräch mit der Schauspielerin Inge Rassaerts. Foto: Archiv Verlag Obalski & Astor

 

Als Rundfunkautorin bevorzugte sie soziale Themen. Mit Reportagen über Münchner Biergärten, frühere Wärmestuben, Badeanstalten, Münchner Pfandleihanstalten oder „Menschen von nebenan“ wollte sie Mut machen für jede Lebenslage.

Ein Thema lag ihr besonders am Herzen: die Lebenserinnerungen ihrer Mutter, die sich Dank der Invaliden- und Kriegsopferrente 1972 noch ihren großen Traum erfüllen konnte: eine Wohnung mit Balkon, sie fand sie in Nymphenburg. Und sie konnte noch große Reisen unternehmen, bevor sie am 3. November 1973 an Magenkrebs starb. Carla hatte ihre Erinnerungen, ein bewegendes Stück Zeitgeschichte, frei von Selbstmitleid, zwischen 1971 und 1973 auf Tonbändern festgehalten. Sie wurden Vorlage für mehrere Rundfunksendungen, erstmals am 30. August 1975. 1980 erschienen sie im Verlag Obalski & Astor unter dem Titel Josefa Halbinger. Jahrgang 1900. Für das von der Kritik hochgelobte Werk bekam sie 1983 den Tukan-Preis, und das Fernsehen zeigte Interesse an einer Verfilmung, nicht jedoch Carlamaria. Das Buch erschien in fünf Auflagen. Die letzte, postum veröffentlicht 1987, wurde erweitert durch das von Hackethal zur Verfügung gestellte Manuskript Zusehen beim Sterben, in dem Heim berührend und schonungslos über den Tod ihrer Mutter schreibt.

 

Josefa Halbinger. Jahrgang 1900. 136 S., 4 Bildseiten, Verlag Obalski & Astor, München 1980

 

Tochter Regine wiederum, ebenso erfolgreiche Schauspielerin, sprach nach Carlas Tod in der Rundfunksendung Das kann nicht gut gehen, dass es einem gut geht über deren Depressionen; dass sie sich überfordert gefühlt hatte und verzweifelt gewesen war. Ab dem 10. April stand es in zahlreichen Zeitungen, teilweise auf den Titelblättern. Die wegen ihrer Fröhlichkeit und komödiantischen Art geschätzte Schauspielerin hatte ihr Leben beendet. Ihr Mann fand sie am 9. April 1984 um 6.30 Uhr erhängt am Fenstergriff im Badezimmer ihrer Ende der Siebzigerjahre bezogenen Wohnung in der Preysingstraße 26, nahe dem Johannisplatz (Regine war da schon ausgezogen). Sie starb auf dem Höhepunkt ihrer Karriere. Ihr Freitod ist bis heute ein Rätsel. Nicht lange davor hatte sie noch das Gedicht Erfolg in einer Anthologie veröffentlicht.

 

„Wennst als Dichter was wern willst“,

hat der Verleger gsagt,

der mi verlegn hätt solln,

„da hast as fei schwer!“

 

„I bring mi bald um“,

hab i zum Verleger gsagt.

„Großartig“ hat der gmoant,

„na iss glei leichter“.

 

1984 brachten die Verlegerfreunde Claus Obalski und Roland Astor (beide auch Schauspieler) postum Aus der Jugendzeit heraus. Darin ließ Carla drei Generationen, geboren 1891 bis 1957, in neun Lebensgeschichten auf gleiche Art wie in Josefa Halbinger in eigener unverfälschter Sprache erzählen: über Kurioses, Berührendes und oft Erschütterndes aus ihrer Kinderwelt.

Da gibt es die Einödbäuerin Therese Brunner. Sie erzählt von einer ungewöhnlichen Methode zur Heilung von Keuchhusten und dass die Mutter schmerzende Milchzähne selber zog. Überhaupt waren die Mütter arbeitsmäßig oft so überlastet, dass gar manch eine schnell mit Schlägen reagierte, wenn ihre Kinder nicht so funktionierten, wie sie sollten. Aber auch Väter gehörten zur schlagenden Zunft, wie bei der Sachbearbeiterin Else Rau. Ihr Vater schlug sie oft mit dem Rohrstöckerl, damit aus ihr was Gescheites wird, während die Mutter „nur" mit der Hand und die Lehrerin auf die Fingerspitzen schlug. Damals schleckten die Schüler Tinte, sie mochten den metallischen Geschmack.

Der Kfz-Meister Bernhard Rampf wohnte in einem vom Vater (er war Schäffler bei einer Brauerei) gekauften Doppelhaus der Herbergen in der Münchner Nockherbergstraße mit den Eltern und sechs Geschwistern auf 32 Quadratmetern. Hinter dem Haus hatte der Vater den Berg hinauf Hütten für Schweindl, Hühner, Geißen, Hasen und Meerschweindl (sie brachte er oft für Tierversuche in Kliniken, pro Stück bekam er ein paar Pfennige) sowie eine Heu- und Holzhütte gebaut. Als er einmal einen Geißbock kastrieren ließ, weil der so stank, musste man ihn wegen eines Ärztefehlers danach schlachten. Daraufhin kastrierte der Vater seine Tiere selbst.

Besonders bedrückend ist die Horrorschilderung der Textilhändlerin Anna Wirbel, einer in Frankfurt geborenen Sintifrau. An ihrem 16. Geburtstag kam sie mit ihren Angehörigen nach Auschwitz ins Zigeunerlager, direkt neben dem Krematorium, in dem man 2000 Menschen auf einmal vergaste. Sie mussten zusammen auf einem eineinhalb Meter breiten Holzbrett liegen, mit nur einer Schlafdecke. 1945 wurde Anna als einzige Überlebende der siebenköpfigen Familie von den Engländern befreit.

 

Gedenktafel für Carlamaria Heim neben dem Hauseingang, Johannisplatz 10, München

 

Den „kleinen Leuten“ eine Stimme geben, war das Anliegen der nur 1,50 m großen Carlamaria. Vielleicht waren ihre Schicksale ein Zuviel, das sie nicht mehr verkraften konnte.

Gschichtln von arme Leit heißt ein Gedicht von ihr. Die Gedichte Dank und Erfolg stammen aus: Mia san so frei. Bairische Gedichte. Geschichten. Szenen, 1983. Die Anthologie und Aus der Jugendzeit gibt es nur noch antiquarisch. Bis auf wenige Unterlagen in der Monacensia, wo Heim einst selbst viel rechercherte, findet sich kein Nachlass in Archiven. Besondere Hilfe erfuhr ich durch Claus Obalski und das Stadtarchiv München.

Im Haidhauser Kriechbaumhof (durch Carlamarias Initiative wiederhergestellt) befindet sich ein Gedenkzimmer. Eine nach ihr benannte Straße liegt nahe der Münchner Theresienwiese.