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14.02.2014, 10:16 Uhr
Evelyn Reiter
Spektakula

Brechtfestival Augsburg 2014: Hommage auf Trude Hesterbergs Kabarett der frühen 20er-Jahre

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Die Werbefahnen des Brechtfestivals vor dem Stadttheater Augsburg. © Literaturportal Bayern

Die Wilde Bühne (1921-1923) war ein Kabarett in Berlin und wurde von Trude Hesterberg geleitet. Die Männer (wie Walter Mehring, Friedrich Hollaender, Kurt Tucholsky, Joachim Ringelnatz und Erich Kästner) komponierten und schrieben die Texte, die Frauen waren die Stars (u.a. Kate Kühl, Blandine Ebinger und Marlene Dietrich). Im Rahmen des Brechtfestivals Augsburg 2014 haben die Veranstalter beschlossen, das Flair des Berliner Kabaretts in den Hoffmannkeller zu holen. Isabell Münsch (Sopran), Stefan Sevenich (Bariton), Kay Fischer (Saxophon), Geoffrey Abbott (Klavier) und Dr. Michael Friedrichs (Konzept und Moderation) ließen einige der Lieder, die vor über 70 Jahren auf der Wilden Bühne gesungen wurden, nochmals aufleben.

Brecht hatte hier seinen ersten Berliner Auftritt. Er trug Trude Hesterberg zwei seiner Lieder vor: „Apfelböck oder Die Lilie auf dem Felde“, basierend auf der realen Geschichte eines Mörders, und „Legende vom toten Soldaten“. Die Lieder machten Hesterberg hellhörig, und sie war bereit, Brecht auftreten zu lassen, doch bemängelte sie seine Textunsicherheit beim Vorsingen. Brecht versprach, sich durch einen Trick abzusichern, sollte er bei seinem Auftritt erneut ins Stocken geraten. Sein Debüt wurde ein Skandal. Das Publikum reagierte empfindlich auf Brechts drastische Bilder der „Legende vom toten Soldaten“. Verschärft wurde der Skandal durch Brechts Leichtfertigkeit: Als er sich mitten im Vortrag erneut nicht an die Worte erinnern konnte, bewegte er sich langsam von der Bühne, um einen Blick auf einen hinter der Bühne angebrachten Zettel mit dem Liedtext zu werfen, was vom Publikum jedoch nicht unbemerkt blieb. 

Brecht trug seine Lieder mit Laute vor. Das hatte er von Frank Wedekind übernommen. Dr. Michael Friedrichs, der Vorsitzende des Bert Brecht Kreises Augsburg, betonte den Einfluss Wedekinds auf den jungen Brecht. Isabell Münsch sang sein Lied „Ilse“ (Musik von Oscar Straus) zum Auftakt der Veranstaltung.

Bariton Stefan Sevenich und Sopranistin Isabell Münsch. © Diana Deniz

Der erste Teil des musikalischen Abends wurde mit einem Lied ebenfalls über eine Frauenfigur beendet, nämlich „Lene Levi“ von Alfred Lichtenstein und Friedrich Hollaender. Das Lied ist inspiriert von einer Sängerin, die in Berlin lebte und in die Psychiatrie gebracht werden musste, nachdem man sie nachts bitterweinend und Zigarre rauchend aufgefunden hatte. Isabell Münsch sang „Lene Levi“, ein Lied über eine Frau, die nachts betrunken durch die Straßen irrt und von „sieben geilen Männlein“ verfolgt wird, die sie für eine Prostituierte halten, bis sie sich um zu entkommen in einen Fluss stürzt.

Das Lied „Johnny“ von Friedrich Hollaender hatte ursprünglich Blandine Ebinger gesungen. Wirklich berühmt wurde es aber erst durch die Interpretation von Marlene Dietrich. Ebenso wie das Lied „Ich lass mir meinen Körper schwarz bepinseln“, das von dem Wunsch nach einem unkomplizierten Leben auf einer exotischen, warmen Insel handelt, lässt es das rassistische Vorurteil, dass die schwarze Hautfarbe minderwertig sei, ins Wanken geraten.

Auch in dem Lied „An allem sind die Juden schuld“ werden Vorurteile auf ironische Weise thematisiert. Die Schauspielerin und Sängerin Annemarie Hase sang Hollaenders Lied an der Wilden Bühne. Sie war Tochter einer assimilierten jüdischen Familie und hieß ursprünglich Annemarie Hirsch. Michael Friedrichs wies auf ihre Selbstironie hin, von der schon diese Namensänderung zeugt. Bert Brecht war so begeistert von ihrem Auftreten, dass er Trude Hesterberg um Freistellung bat, damit er sie für sein Schauspiel Trommeln in der Nacht besetzen konnte.

Geoffrey Abbott (Klavier), Dr. Michael Friedrichs (Bert Brecht Kreis Augsburg e.V.), Kay Fischer (Saxophon). © Diana Deniz

Der Abend wurde mit dem Lied „O Falladah, die Du hangest!“ abgeschlossen. Als Quelle für das von Bert Brecht und Hanns Eisler geschriebene und komponierte Lied diente der Bericht einer Zeitgenossin. Sie hatte eines Tages beobachtet, wie ein Pferd auf der Straße zusammenbrach und die Menschen sich mit Händen und Messern darauf stürzten, um Fleischstücke vom Kadaver zu schneiden. Die Menge ging erst wieder auseinander, als nur noch das Skelett übrig war. Doch im Hoffmannkeller musste niemand hungrig nach Hause gehen – auf Wunsch konnten sich die Gäste eine Erfrischung oder eine kleine Mahlzeit an der Bar im Vorraum gönnen.