Über das Werk von Asta Scheib (3): Katharina von Bora und eine unerhörte Liebe

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Lucas Cranach der Ältere: Doppelporträt Martin Luthers und seiner Frau Katharina Bora, Öl auf Holz, etwa 1529

Die am 27. Juli 1939 in Bergneustadt (Nordrhein-Westfalen) geborene und seit den 1970er-Jahren in München lebende Schriftstellerin, Journalistin und Drehbuchautorin Asta Scheib hat letztes Jahr ihren 80. Geburtstag gefeiert. Mit dem dritten Teil unserer mehrteiligen Blogreihe wollen wir nun den Streifzug durch ihr vielfältiges literarisches Werk fortsetzen (alle Beiträge zur Blogreihe finden Sie HIER). Im Mittelpunkt steht diesmal Asta Scheibs Roman Kinder des Ungehorsams (1985) über die Liebesgeschichte des Martin Luther und der Katharina von Bora. Ein Beitrag von Nastasja S. Dresler.

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In ihrem dritten Buch Kinder des Ungehorsams (1985) erzählt Asta Scheib von der unerhörten Eheschließung zwischen einer entlaufenen Nonne und einem abtrünnigen Mönch: die skandalöse Verbindung zwischen der verstoßenen Tochter verarmter Landadeliger Katharina von Bora und dem Reformator Martin Luther. Die Erzählung setzt ein mit der Schilderung, wie Katharina von Bora mit Hilfe eines Komplizen, dem Torgauer Ratsherrn Leonhard Koppe, mit einigen anderen Nonnen aus ihrer Zelle flieht. Die nun 25-Jähige war bereits in Kindertagen von ihrem Vater fortgegeben worden und hatte den Großteil ihres bisherigen Lebens im Zisterzienserkloster Marienthron in Nimbschen bei Grimma verbracht. Immer wieder erinnert Katharina sich an die Strapazen der zurückliegenden Jahre und an den ersten Tag hinter steinernen Mauern, nachdem eine neue Frau an die Stelle der verstorbenen Mutter getreten war:

„Du wirst ins Kloster reisen“, sagt der Vater. „Das ist ein großes Haus mit vielen Frauen und Mädchen. Und Gott wohnt da.“ Katharina kennt Gott. Manchmal geht er mit seinen großen Stiefeln im Himmel umher, und dann donnert und blitzt es. Katharina hat sich früher davor nicht gefürchtet. Mutters warmer weicher Rücken war die Antwort auf alle Fragen, der Schutz vor aller Furcht. Katharinas neues Kleid kratzt auf der Haut, der Gürtel drückt. Nur dies Unbehagen spürt sie, als man sie auf den Wagen hebt. Der Vater sitzt stumm, die Frau auch. Katharina müsste dringend auf den Lokus. [...] Ihr ist schwindlig vom Schütteln des Wagens, vom Juckreiz, vom Drang in der Blase. Katharina preßt fest die Lippen zusammen. Verstohlen klemmt sie einen Fuß zwischen die Schenkel. Niemand kann es sehen unter dem langen Rock. Die Kutsche ruckt und rüttelt Katharina in einen Halbschlaf, aus dem sie hochfährt, als es ihr heiß die Beine herunterrinnt. Katharinas Herz klopft, ihr Kopf scheint zu platzen. Sie schaut zum Vater, doch der ist eingenickt, sein Kopf pendelt haltlos hin und her. Aber die Frau. Sie hat es gesehen. Sie schaut Katharina an mit dem Blick, den sie immer hat, wenn der Vater nicht dabei ist. Die Frau schaut und schweigt und hat einen schmalen Mund. Katharina rückt sich in der unangenehmen Nässe zurecht. Sie wird von nun an nicht mehr für die Frau beten.

(Asta Scheib: Kinder des Ungehorsams. dtv, München 2008, S. 24f.)

Die geflohenen Frauen werden von Luther im Haus von Lucas und Barbara Cranach in Wittenberg untergebracht. Katharina hegt große Bewunderung für den berühmten Maler und seine Frau und schämt sich für ihr Antlitz: „Angespuckt vom Pöbel, ohne Familie, ohne Haus, ohne einen Groschen steht sie da. Es tröstet sie nicht, daß es den anderen ebenso geht.“ (Ebenda, S. 33f.) Um die Frauen zu rehabilitieren, lässt Luther über ein Flugblatt verkünden, dass Nonnen mit Gottes Segen das Kloster verlassen und sie ihr Gelübde brechen dürfen in Anbetracht des dort getriebenen Menschenwerks. Die Nonnen werden hergerichtet und in die Öffentlichkeit eingeführt:

Katharina hat sich ein Netz geknüpft aus feiner, roter Seide. Sie macht es an einem bestickten Band fest, und Ave knüpft es ihr im Nacken fest. Die Mädchen, noch vor drei Wochen eine weiße Schar in schmuddeligen Chorkleidern und mit verfilzten Stoppelköpfen, haben sich in Bürgersfrauen oder Bürgermädchen verwandelt. An Barbara Cranachs Kleidern haben sie die Form ihrer neuen Gewänder nachgeschnitten. Der Fürst hat ihnen flandrisches Tuch geschickt und einige einfache weiße Hemden. Aus dem Tuch haben sie sich Leibchen mit kurzen Ärmeln und Überröcke genäht, die sie in der Taille mit Gürteln zusammenraffen [...]. (Ebenda, S. 91.)

Erste Liebe und eine unbestimmte Zuneigung

Allen Nonnen ist es gelungen, Anschluss bei entfernteren Familienangehörigen oder eine Anstellung zu finden. Luther vermittelt passende Ehemänner. Nur Katharina findet keinen Anschluss, verbleibt bei den Cranachs – und akklimatisiert sich hervorragend in ihrer neuen Bleibe. Dieser Umstand wird sich noch als schicksalhaft herausstellen. Zunächst wartet jedoch eine andere Erfahrung auf sie. Sie verliebt sich das erste Mal in einen Mann, Hieronymus Baumgärtner, einen Wittenberger Studenten:

Hieronymus beginnt, sie zu liebkosen. Sanft, doch drängend preßt sein Mund Katharinas Lippen auseinander. Seine Hände kennen sich schon aus mit Katharinas Kleid. Jeden Tag ersehnt sie es mehr, die trockene Wärme seiner kräftigen Hände auf ihrer Haut zu spüren. Es drängt sie zu der Wärme seines Körpers, zum Geruch seiner Haut, der sie nicht nah genug kommen kann. Sie will nicht darüber nachdenken, ob die Lust, die sie empfindet, von Gott kommt oder vom Teufel. [...] Angst, Reue, Lust – doch die Lust ist die größte unter ihnen... Katharina ist, als tränke sie von Hieronymus' Lippen das Leben, ihr neues Leben in der Welt. Und sie bittet die guten Engel, bei ihr zu bleiben und sie zu beschützen gegen die Dämonen. (Ebenda, S. 136.)

Der Vater von Hieronymus in Nürnberg lehnt eine Vermählung mit einer Frau von ihrem schlechten Stand jedoch strikt ab. Katharina ist am Boden zerstört, erfährt zum ersten Mal in ihrem Leben die Qualen des Liebeskummers – und fürchtet als Frau von über Mitte Zwanzig nicht mehr vermittelbar zu sein. Auch Luther, der sich für ihre Vermählung mit Hieronymus eingesetzt hat und für den sie immer mehr im „Schwarze Kloster“ als Mädchen für alles zu Diensten steht, erleidet einige Niederlagen: Er bringt die rachsüchtigen Bauern gegen sich auf, die er zu friedlichem Widerstand mahnt, und die Fürsten und Herren gleichermaßen, da er sich gegen die Unterdrückung des dritten Standes einsetzt: „Katharina sieht Luther oft grübelnd am Schreibtisch sitzen oder ziellos auf dem Klosterfriedhof auf- und abgehen. Sie sieht es und fühlt eine unbestimmte Zuneigung, ein Mitgefühl für den Geächteten, der seinen Kampf in absoluter Einsamkeit führt.“ (Ebenda, S. 168.)

Als der Reformator aufgrund von Nierensteinen heftige Koliken erleidet, macht Katharina sich daran, ihn zu pflegen – und wagt eine Annäherung:

Katharina sieht sein erschöpftes Gesicht, wischt ihm behutsam die feinen Schweißperlen von Stirn und Oberlippe. Luther sieht wie ein Kind aus. Traurig, verletzbar, allein. Katharina, die seit langem weiß, dass sie Luther für sich gewinnen will, sie, die bereit ist zu jeder List, schämt sich vor seiner Wehrlosigkeit. Tief in sich spürt sie den Wunsch eine Brücke zu bauen zu diesem einsamen schmerzgepeinigten Mann, der im Schlaf seine reine, kindliche Seele offenbart. Katharina weiß, sie wird zum Ufer seiner Seele schwimmen, gleichgültig, wie weit entfernt sie heute noch davon ist. Leise streichelt sie seine Hände. Plötzlich spürt sie, daß Luther wach ist. Daß er sie anschaut. Sie sieht ihn auch an. Zwei einsame Menschen. Als Katharina seinen Blick nicht mehr aushält, senkt sie den Kopf, bis ihr Mund sachte seine Wange berührt. Sie bleibt über ihn geneigt, bis er seine Arme fest um sie schließt. (Ebenda, S. 169f.)

Da Luther zunächst keine Anstalten macht, ihr einen Heiratsantrag zu machen, wägt Katharina ab, ob sie diesen Schritt tun soll. Nach längerem Hadern wagt sie es; Luther schweigt jedoch und ist weiter in seine Arbeit am Schreibtisch vertieft. „Dann hat er lahm gelächelt und gefragt, ob die Jungfer Katharina von Siena ihm denn erlaube, die Sache einmal zu überschlafen.“ (Ebenda, S. 174.) Katharina kehrt sich auf dem Absatz um und entschwindet in die Nacht. Und Luther macht sich auf ihr hinterherzueilen – und ihr zu erklären, dass er ihren Antrag annehme. Die Gesellschaft reagiert empört auf die Pläne des unorthodoxen Paares, die Eltern Luthers willigen allerdings ein, worauf sich Mönch und Nonne am 13. Juni 1523 das Ja-Wort geben. Die neue Frau an seiner Seite sorgt in dem heruntergekommenen Heim des Reformators für Ordnung, bringt das „Schwarze Kloster“ auf den neuesten sanitären Stand, was ihr zugleich neues Selbstbewusstsein verleiht:

Ich bin jetzt Katharina Lutherin. Nicht mehr die untätige Braut Christi, nicht mehr die fügsame Haustochter Cranachs. Und siehe, Wittenberg, ich komme über dich. Ich werde dir zeigen, was es heißt, einen Doktor Martin Luther in deinen Mauern zu haben. Den großen, weltberühmten Reformator [...]. Ihr Staatsherren, die ihr euch mit meinem Martinus schmückt, ihr habt ihn im Dreck hausen lassen. Aber damit ist jetzt genug. Ich will euch lehren, daß ihr den Doktor Luther nicht länger geschenkt bekommt. (Ebenda, S. 195.)

Erotischer Streit und ambivalente Gefühle

In Liebesdingen geht es allerdings eher schleppend voran. Katharina ist irritiert ob seiner körperlichen Zurückhaltung. Wenn sie ihn anspricht, kann er ihr nicht in die Augen schauen. Sie ahnt natürlich, was es mit seinem Verhalten auf sich hat:

Sie wissen beide aus ihrem langen Klosterleben, daß die Lust, die wilde böse Begierde, die Erbsünde beweist. Das Fleisch gehorcht nicht dem Willen. Die böse Begierde hört zwar durch die Taufe auf, eine Schuld zu sein, aber sie verschwindet nicht. Schon die alten Kirchenväter hat das gepeinigt. [...] Der heilige Hieronymus schlug seine Brust mit einem Stein, so heftig ward er angefochten, gleichwohl wollte es nicht helfen. Er konnte dem Übel nicht steuern, denn er konnte die Jungfrauen, die er in Rom beim Tanze gesehen hatte, nicht vergessen. Franziskus, der Barfüßermönch, machte Schneeballen, herzte und küßte sie, damit ihm die böse Lust vergehen sollte. Benedikt legte sich unter die Dornen, nackt, und ließ sich zerkratzen, um die böse Lust loszuwerden. [...] Doch Luther? Er predigt selbst, daß Gott ihn im heiligen Ehestand behalten möge: „da du uns durch die Finger siehst und uns unsere Schwachheit zugute hältst.“ (Ebenda, S. 202f.)

Katharina und Martin diskutieren und streiten viel. Vor allem in Weltanschauungs- und Glaubensfragen. Vielleicht sind es die aus diesen lebhaften Auseinandersetzungen hervorgehenden Leidenschaften, die das Eis auch auf erotischer Ebene zum Brechen bringen.

Da am Abend die Verstimmung mit ins Ehebett steigt, rollt Luther sich wortlos auf die Seite. Katharina sieht seinen kräftigen, nackten Rücken. Sie verspürt plötzlich Lust, ihn zu berühren. Längst ist ihr Zorn verflogen. Und so zählt sie dann spielerisch seine Rückenwirbel. Daraus wird bald ein Streicheln. Luther rührt sich nicht. Da rückt sie ganz nah an ihn heran, wobei sie ihn fest umschlingt. Nichts. Katharina schluchzt jetzt ein wenig. Das fällt ihr leicht, sie ist über ihre ungewohnt zärtliche Stimmung selbst gerührt. „Martin, Martinus“, schluchzt sie. Und endlich – Martinus wendet sich ihr zu. Es beginnt ein befreites Kichern und Schmusen, ein ausgelassenes Spielen, das – zum erstenmal – in Lieben übergeht. Es ist ein Haben und Geben, ein Hochheben und Zurückfallen in glühende Tiefen, ein Ringen um mehr, immer mehr. Dies starke nächtliche Feuer brennt ihnen von nun an oft [...]. (Ebenda, S. 220ff.)

Innerhalb der nächsten acht Jahre gebärt Katharina von Bora Luther drei Söhne und zwei Töchter. Sie ist als Frau an seiner Seite, die sich nicht nur um hauswirtschaftliche Angelegenheiten kümmert, sondern auch die reformatorische Arbeit ihres Mannes vorantreibt, unentbehrlich. Zugleich bleibt die Ehe auf Gefühlsehe ambivalent. Nach Luthers schmerzlichen Tod 1546 vertraut sie ihrer Freundin Ave, mit der sie aus dem Kloster geflohen war, an:

Jetzt, wo Martinus mich verlassen hat, habe ich nichts vom Morgen zu erwarten. Ich hatte ihn lieb, Ave. Doch unsere Gefühle blieben immer verborgen hinter unseren alltäglichen Worten, unserem Arbeiten, unserem Streiten. Aber jetzt, Ave, jetzt möchte ich es ihm sagen. Ich möchte ihn wissen lassen, wie ich in jedem Streicheln, mit dem ich die Köpfe unserer Kinder berührt habe, in Wahrheit seinen Kopf, sein Gesicht gestreichelt habe. In jedem harten Wort, das ich ihm gab, lag meine Bitte: komm zu mir, sprich mit mir, nimm mich so ernst wie deine Freunde und Feinde. In jedes Brot, das ich gebacken hab, Ave, hab ich meine Liebe zu ihm eingeknetet. [...] Du fragst mich, Ave, warum ich es ihm nicht gesagt habe? Ich hab es nicht gewußt bis zur jetzigen Stunde, Ave. (Ebenda, S. 367f.)