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22.03.2024, 09:25 Uhr
Andrea Heuser
Spektakula

Deutsch-jüdisch-palästinensische Lesung und Diskussion

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Alle Bilder (c) Verena Kathrein

Krieg in Nahost. – Ein Abend von „Meet your neighbours“ über Verständigung. Mit Lena Gorelik, Joana Osman und Dana von Suffrin.

Am 11. März traf sich das Autorenkollektiv im Einstein 28, las aus neuen Texten über deutsch-jüdisch-palästinensische Identitäten und diskutierte mit dem Publikum. Das Literaturportal war vor Ort dabei. 

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„Den Blick des Anderen einzunehmen bei allem Streit“ (Joana Osman)

Um sich blicken, das tat man zu Beginn dieses Lesungsabends, der unter dem Zeichen der Begegnung und Verständigung stand, allemal: Es waren so viele Menschen gekommen, dass die Plätze nicht ausreichten.

Dorothee Lossin, die im Namen der Münchner Volkshochschule die Gäste im MVHS-Bildungszentrum Einstein 28 begrüßte, war die Freude darüber auch entsprechend anzumerken. Das Thema sei nicht nur hochaktuell, sondern entspräche von seinem Verständigungs- und Vermittlungsgestus her, den „Meet your neighbours“ vertrete, auch ganz dem grenzüberschreitenden Bildungsbegriff der Volkshochschule.

Unter der Moderation von Silke Kleemann und Andreas Unger waren von „Meet your neighbours“ die drei bekannten Münchner Autorinnen Lena Gorelik, Dana von Suffrin und Joana Osman an diesem Abend zu einer Lesung mit anschließender Gesprächsrunde zusammengekommen.

Im Zentrum sowohl der literarischen Kurzlesungen als auch des sich anschließenden Gesprächs stand die literarische, deutsch-jüdisch-palästinensische Identitäts- und Selbstbefragung und die damit verbundenen, sich durch den herrschenden Krieg in Nahost auch in Deutschland verschärfenden Konflikte, insbesondere der des zunehmenden Antisemitismus.

Es war dem Publikum spürbar anzumerken, dass es sich von diesem Abend etwas erhoffte. War es die Möglichkeit einmal den Blick des Anderen auf dieses hochbrisante Thema einnehmen zu können? Die Hoffnung, die eigene Perspektive erweitert oder bestätigt zu sehen? Einblicke in persönliche Hintergründe zu erfahren, die eine Brücke bilden könnten zum eigenen, besseren Verstehen? Oder auch schlicht die Neugierde, wie denn ein Sprechen zwischen den sogenannten „Parteien“ oder „Seiten“ aussehen und möglich sein könnte, welche Einsichten sich gewinnen ließen?

„Alles ist sagbar, ich weiß nur nicht, wo die Worte sind“ (Lena Gorelik)

Wie vielschichtig die Motivation der Gäste auch gewesen sein mag: der Gesprächs- und Informationsbedarf ist offenbar auch in Zeiten einer zunehmend toxischen Kommunikations- und Schlagwortkultur nach wie vor vorhanden.

Das war das Positivste an diesem Abend – neben der Musik: Das Duo, bestehend aus dem Vibrafonisten Wolfgang Lackerschmid und dem Trompeter Yacov Amar, öffnete der Zuhörerschaft einen Klang- und Resonanzraum, der zwischen Eigenem und Fremdem, zwischen Innigkeit und Distanz so berührend hin und her schwang, dass man sich für den Moment ihres musikalischen ‚Gesprächs‘ eingebettet und – fast – fraglos fühlte.

Von links: Wolfgang Lackerschmid und Yacov Amar

Nebeneinander statt Miteinander

Auf jeden Fall aber war es ein Abend, der mit vielen Fragen begann und den man mit noch mehr Fragen wieder verließ. Das Kompliment, das darin liegt – denn, oh ja, der Abend hallte in einem nach – ist ebenso aufrichtig wie leider auch der bedauernd-resignative Beigeschmack betont werden muss, den er hinterließ: Es sollte und wollte geredet werden. Aber es wurde mehr ein Nebeneinander als ein Miteinander.   

Natürlich haben es Worte da so viel schwerer als die Musik. Insbesondere die längst überstrapazierten und zu Phrasen verkommenen Worte. Und natürlich stellt so eine Veranstaltung eine große Herausforderung für die Moderation dar (Vorbereitung, inneres Einlassen, atmosphärisches Fingerspitzengefühl etc.). Leider gelang es Kleemann und Unger – trotz spürbar guter Absichten – aber nicht so ganz, das erhoffte Gespräch als ein solches auch lebendig werden zu lassen.

Was hätte es denn gebraucht, fragte man sich – und dies ist eine durchaus offene Frage – dass sich die Frage-Antwort-Schmalspur zwischen der jeweiligen Autorin und der Moderation zu einem wechselseitigen, mehrspurigen Dialog oder gar zu einem nachbarschaftlich-freundschaftlichen Disput hin geöffnet hätte?

Warum, zum Beispiel, ist beim Thema Antisemitismus eigentlich immer die jüdische Gesprächsperson in der Auskunftsposition? Oder umgekehrt, warum geht die Frage nach der deutschen Staatsräson, dem Existenzrecht Israels ausschließlich an die Person mit palästinensischen Wurzeln? Wieso bestand nicht die Möglichkeit seitens der Moderatoren sich selbst befragend in diesen Punkten mit einzubringen? Sind wir vielleicht zu sehr in „Labels“ gefangen, die uns vorgeben, wer zu was auskunftsbefähigt ist und wer, im Umkehrschluss dazu, unbefugt ist? Ein Vers von Ingeborg Bachmann will einem dabei unwillkürlich in den Sinn kommen: „Wie soll ich mich nennen, ohne in anderer Sprache zu sein.“

Wie findet man Worte angesichts des menschlichen Leids?

Gleich zu Veranstaltungsbeginn wurde zwar darauf hingewiesen, was von dem Abend nicht zu erwarten sei: also kein Bekenntniszwang, keine Lösung des Nahost-Problems, es würden keine politischen oder ideologischen „Seiten“ eingenommen. Nur: Das hatte ja auch von vornherein niemand ernsthaft erwartet. Das Moderationsteam gab dem Publikum stattdessen Fragen an die Hand; wichtige Fragen: Wie geht das Zuhören? Wie findet man Worte angesichts des menschlichen Leids?

Und der Abend machte diesbezüglich eines auf jeden Fall klar: Die besten Antworten darauf gibt wohl immer noch die Literatur. Wohl, weil sie keine Antwort sein will, sondern ein kreatives Ausloten des Ambivalenten; des Möglichen und Unmöglichen. Und weil ihr Sprechen immer auch das Scheitern dieses Versuches, die unaufhörliche Selbst- und Weltbefragung mit einschließt.

„Und wie jeder Sieg tut dieser Sieg weh“ (Dana von Suffrin)

Dana von Suffrin verlagerte diese Selbstbefragung auf die suggestive Realitätsebene des Traums. In ihrer Familiengeschichte Noch einmal von vorne, aus der sie einen Auszug vortrug, setzt sich, so viel wurde vorab verraten, die Protagonistin Rosa mit dem Tod des Vaters auseinander. In der vorgelesenen Traumsequenz sitzen drei Generationen der Familie: Kinder, Eltern, Großmutter um einen Tisch herum versammelt und spielen ein Spiel, es klang wie Rumicup; in der Mitte steht ein silbriger, billig aussehender Samowar, den es in der äußeren Wirklichkeit nie gegeben hatte. Der Blick, den die Großmutter ihren beiden Enkelinnen zuwirft, ist „kurz und zärtlich wie ein fallendes Blatt.“ Der Vater bricht in Tränen aus; ihm beim Weinen zuzusehen ist ein Sieg, der der Tochter weh tut. Und Nadja, die Schwester der Erzählerin, ist „blond, als hätte sie das gefärbte Haar meiner Mutter geerbt, sie ist so dünn, als hätte sie den Hunger unserer Vorfahren geerbt.“

Das sind Sätze, die beim Zuhören (und nach dem Gehör zitiert) ebenfalls wie Blätter auf einen herabrieseln; Bilder, die man aufliest und mit heimnimmt. In dieser christlich-rumänisch-jüdisch-israelisch-deutschen Familie wird die Unfähigkeit miteinander zu kommunizieren ebenso schmerzhaft wie liebevoll-humorvoll geschildert.

Durch den Zaun    

„Jedes Mal rutschte mir das Herz in die Hose, wenn jemand aus der Familie anrief“ – In Joana Osmans autofiktivem Roman Wo die Geister tanzen, begibt sich die Ich-Erzählerin auf Drängen ihrer Cousine, ausgelöst von deren Entdeckung des väterlichen Tagebuchs, zusammen mit dieser Cousine auf eine Spurensuche nach den palästinensischen Wurzeln ihrer Familie. Diese Geschichte, so fasst es die Erzählerin in ein eindrückliches Bild, „passt auf einen Haufen Papier, wo die Tinte langsam verblasst.“  

Die Familie ist zutiefst geprägt von Krieg und Entwurzelung: „Im arabischen Teil der Familie ist es immer noch ein Privileg, einen Pass zu besitzen.“ Sein Heimatgefühl bringt der Vater bei seiner damaligen Ankunft in Deutschland so auf den Punkt: „Heimat. Liebe sie. Verändere sie. Oder verlasse sie.“

Und die beiden jungen Frauen stellen vom Libanon durch den Grenzzaun auf Israel schauend fest: „Wir gehören nicht zu diesem Staat, aber wir kommen aus diesem Land.“ Berührend, als eine neunzigjährige Israelin die beiden trotz deren „Geständnis“ ihrer vielen und auch palästinensischen Wurzeln mit „welcome home“ begrüßt.

Trotzdem sprechen

Trotzdem sprechen – so heißt ein Buch über Gesprächskultur, das Lena Gorelik jüngst herausgegeben hat. Auch der neue, noch unveröffentlichte Text, aus dem die Autorin an diesem Abend las, könnte so überschrieben werden, auch wenn er „Bildschirmschoner“ heißt.

Er widmet sich dem Schock des Kriegsberichts und beschreibt den inneren, verzögerten, quasi verpixelten Bewusstwerdungsprozess der Sprecherin, als sie vom Terroranschlag, vom Angriff der Hamas auf Israel erfährt. Es ist ein verbales Herantasten, ein Sich-nähern und wieder In-sich-zurückziehen, das die Worte, das Sprechen hier erproben lässt und das ich hörend so aufgenommen habe:

Sehen: „Die Bilder sind gestochen scharf, aber in ihrer Gesamtheit dennoch verschwommen. Im Verschwommenen seh ich genau.“

Sehen: Die Bilder vom Leid, „das Weinen, das keine Sprache hat“ und keine Nationalität.

Sprechen: Der Kindermund, der es noch vor dem eigenen Wort zusammenfasst: „Überall wo meine Verwandten leben, ist Krieg.“

Sprechen: „Vielleicht ist das die Zäsur, dass etwas zerreißt, dass man zu langsam ist. Warum schreibe ich man?“

Sprechen. Es ist „ein Festhalten aneinander, noch bevor Worte sind.“

Ist dieses Sprechen noch das Eigene? Kann man in ihm beheimatet sein, fragt man sich beim Zuhören. Oder gerät es mehr und mehr zur Zeugenschaft von Heimatlosigkeit?

Goreliks Text, der sicherlich nicht nur in mir Fragen wie diese auslöste, war eine Ausgangsbasis, eine Öffnung, eine Einladung zum Gespräch. Ein Angebot, das leider von der Moderation nicht in dieser Konsequenz aufgegriffen wurde.

Die Möglichkeit von Ambivalenz in den Fragen spüren  

Alle drei Autorinnen betonten im Anschluss an ihre Lesungen, in ihren Auskünften gegenüber dem Moderatorenteam, dass sie keine Seiten in diesem Konflikt hätten und sich auch nicht vereinnahmen lassen möchten für eine Gruppe zu sprechen. Für die jüdische, für die palästinensische Seite. Und, wo wir schon dabei sind, gibt es denn auch wirklich „die Deutschen“ in diesem Kontext, die deutsche Seite? Und wer sind „die Israelis“?

„Meine Seite“, so Joana Osman, „ist die der Menschen, die leiden und das auf beiden Seiten.“

Im Kontext der Fragen zum Antisemitismus wies Lena Gorelik darauf hin, dass der Antisemitismus offenbar immer ein fremder sei (ob linker, rechter, muslimischer, deutscher), nur nie der eigene. Und Dana von Suffrin stellte die Unfairness klar heraus, die in dem gängigen Habitus läge, das Thema Antisemitismus an die Minderheiten auszulagern.

Abschließend danach gefragt, was sie sich denn wünschen würde, antwortete Lena Gorelik: Keine Vereinnahmung. Die Möglichkeit von Ambivalenz in den Fragen zu spüren. Dass es aufhört, ein Theaterstück zu sein.

Und vielleicht ist es das, was im Grunde auch das Problem an diesem Abend war, es zumindest verkörperte: die Bühne. Das Extraponiert-, das Ausgestelltsein. Dieses Gespräch hätte in die Mitte des Publikums gehört und nicht in eine ‚frontale Erhöhung‘ davor.

Zum Schluss brach es bei den vereinzelten, recht vorsichtigen Wortmeldungen des Publikums schließlich aus jemandem heraus: Man könne ja wirklich nie etwas richtig machen bei diesem Thema. Das mag stimmen. Und das mag mitunter wirklich schwer auszuhalten sein.

Aber was bleibt uns, wenn wir es nicht dennoch immer wieder versuchen? Wenn wir aufgeben?  Was passiert, wenn wir nicht mehr reden?   

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„Meet your neighbours“ ist eine Gruppe Münchner Kulturschaffender, die seit 2016 Bühnen für besondere Begegnungen bereitet. Meist stellt sie dort Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt vor, die aus Kriegs- oder Krisengebieten nach Deutschland gekommen sind. „Meet your neighbours“ – so lautet auch das Credo der Reihe. Ihr geht es nicht um das griffige Abstecken harter Positionen, sondern um ein gegenseitiges Kennenlernen und ein Brückenbauen: über die persönliche Erfahrung und ihren Ausdruck in der Kunst.