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Franz Beckenbauer will kein Interview geben und wird von Aliens entführt: Ein Roman

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Franz Beckenbauer im Garten seines Wohnhauses, 1967 (c) Bayerische Staatsbibliothek München/Fotoarchiv Fruhstorfer

Eigentlich ist alles gesagt über den im Januar 2024 verstorbenen weltberühmten Fußballer Franz Beckenbauer – oder fehlt da etwas? In seinem Nachruf geht Armin Kratzert der Frage nach, warum wir auf den großen Beckenbauer-Roman bis heute warten müssen und was Außerirdische damit zu tun haben. Kratzert, langjähriger Redakteur beim Bayerischen Fernsehen und Verfasser von Romanen – etwa Beckenbauer taucht nicht auf – außerdem Ausstellungsmacher – z.B. Kafkas Welt. Sein Leben in Bildern 2008 für das Literaturhaus München – wurde 1957 in Augsburg geboren und lebt in München.

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Pieps. Grüß Gott, Weichselberger, Büro Franz Beckenbauer, wir haben ihre Anfrage bekommen bezüglich eines kurzen Interviews mit Herrn Beckenbauer für ihr neues Buch, ich muss ihnen diesbezüglich leider absagen, weil Herr Beckenbauer wie gesagt zur Zeit sehrsehr viele Anfragen hat und leider keine Zeit finden wird. Vielen Dank, auf Wiederhören.

Näher bin ich ihm nie gekommen. Eine knappe Botschaft von Frau Weichselberger auf dem Anrufbeantworter. Zehn, zwölf Jahre her. Beckenbauer taucht nicht auf hieß der Roman dann, dessen Protagonist nun also eben nicht der berühmte Fußballer sein konnte, sondern stattdessen ein Außerirdischer, nach München gesandt, um diesen Franz Beckenbauer auf den fernen Planeten Koho zu entführen, wohin die Kunde von dessen außerordentlichen Fähigkeiten natürlich längst gedrungen war und wo, wie eine magische Reliquie, immerhin schon ein 1978er-Auswärtstrikot von Cosmos New York aufbewahrt wurde.

Zwar wollte ich nicht wirklich einen Roman mit Beckenbauer als Hauptfigur schreiben. Ich kenne mich mit Fußball gar nicht so besonders aus. Aber ein Gespräch mit ihm, eben über alles außer Fußball, wäre doch ganz willkommen gewesen. Um die Figur, oder den Menschen, hinter den glanzvollen Fotos und berühmten Zitaten zu suchen, um ein bisschen auszuloten, was den Mann antrieb, den sie den Kaiser nannten. Um das Ziel besser definieren zu können also, für den Angriff aus dem All.

Der Außerirdische des Romans, Anatol Hinueber hieß er, recherchierte gründlich, er trieb sich im finsteren Giesing herum, wo, wie er herausfand, der Franz aufgewachsen und zum Hinterhofkicker geworden war, er fahndete in der Säbener Straße, der Zentrale des FC Bayern also, und stellte schließlich in einem glamourösen Friseursalon der Münchener Innenstadt, wo Beckenbauer sich regelmäßig die Haare schneiden ließ, ein bisschen grauen Flaum mit seiner DNA sicher.

Dass Franz Beckenbauer tatsächlich gern bei Vidal Sassoon Termine machte, hatten sie mir beiläufig nebenan im Café erzählt. In Giesing, wo ich mich natürlich zur Vorbereitung meiner Arbeit auch umschaute, wohnte irgendwo noch ein Hausmeister namens Friedrich Beckenbauer, leider nicht verwandt oder verschwägert, soweit ich erfragen konnte, und die Adresse nebst ein paar Fotos seiner damals von ihm bewohnten Landhausvilla in Kitzbühel waren ebenfalls überraschend leicht ausfindig zu machen, über die Internetseite eines stolzen Tiroler Handwerkers, der dort irgendetwas eingebaut hatte.

Franz Beckenbauer selbst jedoch tauchte niemals auf.

Selbstverständlich kann auch ohne Beckenbauer über Beckenbauer geschrieben werden. Von fremden Galaxien aus betrachtet hatte man ja sowieso immer nur ein Leuchten, ein unwahrscheinliches Strahlen, einen Mythos zur Verfügung. Auf dem Planeten Erde hingegen begegnete man Beckenbauer jahrzehntelang tatsächlich überall, oft sogar gleichzeitig, deshalb vielleicht auch irgendwie nirgends. Es gab eben schon all die Bilder und Geschichten. Nur in München kannte natürlich jeder Beckenbauer aus dem Schumann’s.

In der Praxis hieß über Beckenbauer schreiben also, gegen eine Realität zu schreiben, die er selbst schon ganz bewusst fiktionalisiert hatte. Die legendäre Leichtigkeit, die Souveränität in seinen Auftritten, das meist ein bisschen ironische Grinsen, das war professionell und zielstrebig erarbeitet. Maximale Oberfläche, keine Fragen bitte. Es war ein Konzept. Sein persönliches, ihn schützendes Narrativ. Mit dieser Strategie hat Franz Beckenbauer es immerhin auch geschafft, den Fußball aus dem Mief der Kabine nicht nur in die Boulevardzeitungen, sondern ebenso in die Clubs von Manhattan, sogar in die Gespräche des Bildungsbürgertums zu tragen. Ein elegantes Foto, ein lässiger Spruch waren dafür gern und schnell geliefert: Ein bisserl was geht immer.

Und natürlich gibt es heute auch immer mehr Filme, Dokumentationen, Fußballbücher, Biografien (sicher ein halbes Dutzend über Beckenbauer), Sachbücher, zu jedem Detailaspekt, Bildbände. Der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit (Tor zur Welt: Fußball als Realitätsmodell) etwa weiß alles über das Spiel, und der bekennende Fan und langjährige Torwart der Autoren-Nationalmannschaft Albert Ostermaier hat einst die schöne „Ode an Kahn“ gedichtet.

Aber ein Roman über den großen Franz?

(c) Bayerische Staatsbibliothek München/Fotoarchiv Fruhstorfer

Hätte einer wie Beckenbauer überhaupt getaugt, als Protagonist für einen Roman? Ist er nicht schon von Anfang an zu perfekt gewesen, um als literarische Figur noch interessant zu sein? Wie will man jemanden psychologisch ausleuchten, seine Träume erzählen, seine Beziehungen, Ängste vielleicht, dessen Laufbahn, dessen ganze Existenz in all ihren Höhen (und wenigen Tiefen) in der Öffentlichkeit längst ausgebreitet lag? Da war kein Geheimnis mehr. Ein Held, der jederzeit strahlt, der als sogenannte Lichtgestalt wahrgenommen, der Kaiser genannt wird, bietet eher wenig dramatisches Potenzial, so scheint es.

Wenn wir eines der vielen Fotos anschauen, die jetzt, zu seinem Tod, wieder veröffentlicht werden, dann sehen wir den kernigen Vorstadtbolzer, den aufstrebenden Bundesligatorschützen, den souveränen Libero, den Lebemann auch im überdimensionierten Pelzmantel, den Kosmopoliten in New York, den lässigen Taktiker, später, ernster, grau meliert und mit dieser seltsam billig wirkenden, randlosen Brille, den Funktionär und Strippenzieher. Alien, Münchner, Sportler, er war alles im selben Moment.

Ein Franz von einem Mann.

Einer der größten Fußballer aller Zeiten, schreiben sie nun überall. Außerirdisch, sozusagen. Sonst wäre ja auch nicht dieser Kerl vom anderen Stern ihn holen gekommen. Sonst hätte der Himmel noch ein bisschen auf ihn warten müssen.

Der Roman über Franz Beckenbauer aber kann möglicherweise erst jetzt geschrieben werden. Wenn der Ruhm, die Siege, die Legenden, auch die Gerüchte ein bisschen blasser, leiser werden. Und wenn dieser drahtige, etwas schüchtern lächelnde Junge aus Giesing wieder zum Vorschein kommt, der den Ball so liebte. Wird ein Sommermärchen dann, vielleicht.