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06.07.2023, 09:48 Uhr
Redaktion
Gespräche

Interview mit Dagmar Leupold zur Verleihung des Literaturpreises der Stadt München 2023

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© Sami Khabib/C.H. Beck Verlag

Seit 35 Jahren veröffentlich Dagmar Leupold Gedichte, Romane und Essays. Damit ist sie zu einer wichtigen Stimme der deutschen Gegenwartsliteratur geworden. Am 10. Juli 2023 wird ihr der Literaturpreis der Stadt München überreicht. Thomas Lang hat mit Dagmar Leupold vorab gesprochen. 

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Du lebst seit vielen Jahren als Schriftstellerin in München. Was bedeutet diese Anerkennung für Dich?

Hallo Thomas. Ich lebe in der Tat seit sehr vielen Jahren hier, so lange habe ich noch in keiner anderen Stadt gewohnt. Wenn ich das Umland mitrechne, dann seit Ende 90 – immerhin stolze 33 Jahre. Über den Literaturpreis der Stadt München freue ich mich sehr und fühle mich sehr geehrt. Was meinen literarischen Werdegang betrifft, ist München außerordentlich wichtig, es ist der Humus. Die meisten literarischen Freundschaften habe ich hier geschlossen und pflege ich hier und das macht München für mich zu einer sehr lebendigen Stadt.

Die Jury betont Deine „musikalische Sprache“, würdigt die politische Dimension Deines Werks ebenso wie die „Komik im Wechselspiel zwischen Kunst, Leben und Liebe“ in Deinen Romanen. Welcher Aspekt ist Dir selbst dabei besonders wichtig?

Mich hat an dieser Würdigung der Jury sehr gefreut, dass nicht priorisiert wird, weil es eben für mich, für meinen Literaturbegriff, für mein Nachdenken über Literatur ungeheuer wichtig ist, dass es um existenzielle Lebensentwürfe geht und nicht um irgendwelche Lifestyle-Fragen, bei denen dann das eine oder andere der genannten Kriterien oder Bereiche wichtiger wäre. Ich glaube, wir sind als Lese*rinnen und Autor*innen Generalisten oder wir sollten es sein und dann wirklich ein holistisches Menschenbild haben, ein komplexes Menschenbild, und uns nicht kasernieren lassen in „Die schreibt Liebesromane oder diesmal politische Romane“ und so weiter.

Du hast mit bisher elf Romanen ein sehr vielgestaltiges Werk geschaffen. Welcher davon liegt Dir besonders am Herzen, und warum?

Es ist schon ein bisschen so, dass mir immer der zuletzt erschienene Roman am nächsten ist. Aber ja, wenn ich einen wirklich nennen sollte, dann vielleicht einen der praktisch untergegangen ist, für mich aber trotzdem sehr wichtig ist. Das ist das sogenannte Kleistbuch Die Helligkeit der Nacht.

Immer wieder trittst Du auch mit Essays hervor, die z.B. in der Süddeutschen Zeitung oder auch im Literaturportal Bayern erscheinen. Darin reagierst Du oft auf kulturpolitische Tagesfragen. Ist Einmischung für Dich ein wesentlicher Aspekt des Autorenberufs?

Dieser Aspekt ist für mich ganz wesentlich und gesellt sich zu der fiktionalen literarischen Bearbeitung der Themen, die mich umtreiben, gleichberechtigt hinzu. Für mich ist literarisches Schreiben eine Form der Einmischung, auch eine Meldung als Bürgerin. Und das ist natürlich in den Essays deutlicher. Ich bin ja Teil der Gesellschaft, in deren Mitte die Romane auch entstehen, und insofern fühle ich mich auch verantwortlich.

Bis heute schreibst Du nicht nur Prosa, sondern auch Gedichte. Welchen Stellenwert hat die Lyrik für Dich?

Lyrik hat neuerdings wieder einen größeren Stellenwert für mich. Als Leserin hat sie durchgehend einen großen Stellenwert für mich gehabt und hat es bis heute. Aber ich würde mal sagen, die letzten zwanzig Jahre habe ich so gut wie gar keine Gedichte selbst geschrieben. Es gab so eine Art Entfremdung, die ich zur Kenntnis genommen habe, ohne die Gründe zu kennen. Das ändert sich aber gerade, weil eines meiner beiden aktuellen literarischen Projekte ein Lyrikprojekt ist mit dem hoffentlich bleibenden Titel Small Talk.

Du hast beim Münchner Literaturfest 2013 das „forum:autoren“ kuratiert und trittst in vielen Kontexten selbst auf. Wie siehst Du München als Literaturstadt? Gibt es Positives hervorzuheben, findest du auch Defizite?

Es könnte sicher mehr abseitige Räume geben, die nicht ganz so repräsentativ sind wie das wunderbare Literaturhaus und andere einschlägige Lesungs- oder Austauschorte. Aber grundsätzlich sehe ich schon – und das hat natürlich auch mit denen zu tun, die den Literaturbetrieb lebendig machen, aufrechterhalten, verteidigen, um Finanzierung kämpfen –, dass München sich da ganz gut sehen lassen kann. Was ein bisschen fehlt, ist dieses Randständigere in Stadtteilen, die nicht zentral liegen. Da könnte vielleicht noch etwas mehr passieren. Manchmal, wenn darüber geklagt wird, denke ich jedoch auch – und da schließe ich mich ein –, dass man dafür auch wirklich Neugier aufbringen und andere Informationsquellen nutzen müsste, um zu erfahren, was alles wo stattfindet. Einiges findet gewissermaßen im Unterholz und Dickicht statt, das es sicherlich auch im auf Hochglanz polierten München gibt. Möglicherweise ist die Szene reichhaltiger, als wir es wahrnehmen.

Du hast gerade schon angedeutet, dass Du an zwei neuen Projekten arbeitest. Verrätst Du, was wir als nächstes von Dir erwarten dürfen?

Diesen erwähnten Lyrikband, den ich Small Talk genannt habe aus einem Gefühl der Hilflosigkeit und Ohnmacht heraus, habe ich ungefähr mit Kriegsbeginn zu schreiben begonnen. Dabei leitet mich die Frage, wie man das auf einer emotionalen, psychologischen, aber auch intellektuellen, mentalen Ebene verkraftet. Die Gleichzeitigkeit sich eigentlich ausschließender Zustände, also so was wie ein kleines Alltagsglück und die Alltagssorgen und das eigene Leben mit einer gewissen Bedachtsamkeit zu gestalten und gleichzeitig zu wissen, dass um uns herum die Fehlrotation dieser Erdkugel massiv zunimmt, dass man eigentlich außer Stammeln nichts mehr hervorbringen könnte – damit beschäftigt sich dieser Band. Und ich dachte, ich muss das kontrapunktisch anlegen, deswegen Small Talk: nicht überwältigen, sondern das Gegenteil versuchen, die Würdigung des Kleinen, des Alltäglichen. Aber ich versuche eben auch, eine Sprache zu finden, die mit Gewalt umgeht, ohne selber gewalttätig zu werden.

Besonders wichtig ist mir das zweite aktuelle literarische Projekt. Es handelt sich dabei um ein Romanprojekt mit der Hälfte eines Wilhelm Meister-Zitats [Bildungsroman von J. W. v. Goethe, Anm. d. Red.] als Titel: „Jene für die Liebe verlorenen Zeiten“. Dieses Buch beruht auf der Kriegs- und Fluchtbiografie meiner Mutter, die aus der Nähe von Königsberg stammte. Mich interessiert dabei nicht, meine Mutter als Privatperson zu erfassen, sondern eher das Exemplarische einer Generations- und Mentalitätsgeschichte zu verstehen und über literarische Mittel zu versuchen, es herauszuschürfen.

Vielen Dank, Dagmar Leupold!

Sehr gerne.