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08.05.2013, 13:11 Uhr
Frank Piontek
Jean-Paul-Reihe
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Jean Paul selbst nannte seinen Debütroman eine „geborne Ruine“: Frank Piontek liest „Die unsichtbare Loge“ von Jean Paul, Tag für Tag, von der ersten bis zur letzten Seite, und bloggt darüber.

Logen-Blog [150]: Allerletzte Fortsetzung des Bamberger Berichts

Und die Säule? Gibt's in Bamberg etwa keine vom Verein Jean Paul 2013 aufgestellte Säule?

Doch, es gibt eine. Sie steht vor dem E.T.A.-Hoffmann-Theater, schräg links von der Theaterrose, also der Gaststube, in der der Dichter (Hoffmann) oft saß und trank, an sein „Käthchen“ Julia Marc dachte und Kelche in sein Tagebuch zeichnete. Ich habe auf de Schnelle leider nicht herausfinden können, wo der Gasthof Goldner Adler war, in dem Jean Paul 1820 abstieg, und in dem er sich sogleich betrank. „Himmel! Welch ein Bier! Kaum eine Maß hab' ich getrunken“, wie er Freund Emanuel mitteilt. Bislang las ich das immer als ironische Kritik am schlechten Bamberger Bier – denn ein Biertrinker, der kaum eine Maß trinkt, dachte ich, muss ein schlechtes Bier vor sich haben, aber ich habe mich geirrt. Am Nachmittag nämlich hatte er Emanuel noch geschrieben, dass er vom Felsenkeller-Bier nicht lange reden wolle – „denn trinkt man eben so lange davon, so kann man über gar nichts mehr reden; und darein setzt es eben seine Tugend, gleich der höchsten Entzückung nur stammeln zu lassen.“

Es ist eben immer schwierig, aus dem Zusammenhang zu zitieren – was auch für die Kurzform des Zitats gilt, die die Bamberger Brauereiwirtschaft auf ihre Bierdeckel setzen ließ: „Himmel! Welch ein Bier!“ Es macht nämlich schon in Kürze so besoffen, dass selbst der geübte Trinker zu keiner vernünftigen Aussage mehr fähig ist. Ein echter „Stoff“ also, eine Droge, dieser Alkohol, der, im Übermaß genossen – aber lassen wir das. Das Bamberger (Rauch-)Bier ist immer noch vortrefflich; die Straßen scheinen leicht zu tanzen, wenn man eines der vielen schönen Wirtshäuser an der Regnitz verlassen hat.

Die Säule weist auf eben dieses Bier hin – und sie erwähnt die Begegnung von Kunz und Jean Paul im Jahre 1809, als die Herren sich in der Eremitage trafen. Kunz schreibt darüber sehr anschaulich in seinen Erinnerungen – und Eduard Berend, der Herausgeber der zeitgenössischen Berichte über Jean Pauls Persönlichkeit, merkt in seiner Notiz zu Nr. 177 an: „Kunz hat seine Erinnerungen stark romanhaft ausgeschmückt; so gleich diese Schilderung seiner ersten Begegnung mit Jean Paul, die sich kaum so abgespielt haben kann, da sie schon vorher korrespondiert hatten, siehe Briefe VI, 592.“ Die sich kaum so abgespielt haben kann...

Ein Medium der Legendenbildung: die Bamberger Jean-Paul-Säule (Fotos: Frank Piontek, 3.5. 2013)

Und wieso ging Jean Paul nach Bamberg? Aufgrund einer „manifesten Ehekrise“. Es stimmt: es krachte gehörig in diesem Jahr – aber als Jean Paul nach Bamberg ausrückte, nachdem der Ehemann „bei gießender Regennacht“ in den Main gestürzt war, scheint man sich wieder zusammengerauft zu haben: die Not und der Schock verbinden. Philipp Hausser zitiert in seinem Buch über Jean Paul und Bayreuth[1] Jean Pauls Satz, dass „die Wetterwolke schon seitwärts gezogen“ sei, und er schreibt: „Der Vater in Berlin freut sich über den erneuerten ehelichen Frieden und mahnt zur Mäßigung.“ Da war die Ehekrise denn weniger manifest als (vorderhand) erledigt.

Auch der Rest der Säulen-Schilderung – die Anrede an Jean Paul, Kunzens „Einsatz“ für Hoffmann – entstammt eher dem Hirn des Schnurrendichters als der durch Kunzens Bericht bezeugten und „romanhaften“ Historie, aber wir wollen nicht päpstlicher sein als der Papst. Schließlich hat auch schon E.T.A. Hoffmann seine Erfahrungen mit der Bamberger Wirklichkeit so fiktionalisiert, dass zwischen Realität und Fantasie kaum noch ein Blatt Papier mehr passte.

Nehmen wir also die Bamberger Säule als Produkt einer kreativen Legendenbildung, die den Fußgänger mit Histörchen erfreuen sollte.

 

PS: Wie oft kam Jean Paul nach Bamberg? Jean Paul ging „weiterhin immer gerne vorbei“, lese ich. Das klingt so, als sei er öfters hier gewesen, aber wir wissen, dass er Kunz nur noch einmal besuchte: 1821. Ist das wichtig? Muss man immer übertreiben? Irgendwann glauben die Leute das und erzählen einem bei einer Stadtführung[2], dass Jean Paul „öfters nach Bamberg kam, um mit Hoffmann zusammen zu trinken“ – und irgendwann ist es unmöglich geworden, die Geschichtsfälschung, die im Kleinsten beginnt, aus den Köpfen der Leute zu bringen.

PPS: Bayreuth kam 1810 nach Bayern – „ausgerechnet!“, vermerkt der Säulenkommentar. Wieso „ausgerechnet?“ War Jean Paul etwa frustriert über die Inkorporation des ehemaligen Fürstentums in das neue Bayerische Königreich? Ganz und gar nicht. In Haussers erstklassigem Buch lese ich, dass man bei Richters von den großen Veränderungen dieses Jahres wenig gemerkt habe, ja: Jean Paul speiste beim Minister von Rechberg, der nach Bayreuth gekommen war, um die Übergabe an Bayern zu regeln, und gewann ihn, den „redlichsten, hellsten Minister“, „bei einem langen Gespräche ordentlich persönlich lieb“, wie Jean Paul selbst schrieb. An Jacobi aber schrieb er: „Ich bin jetzt mit Euch Münchner Protestanten sehr vereinigt – durch einerlei Zepter.“ Dass er den König Max Joseph, zu dem er sich 1820 gern begab, wenig schätzte: das ist schon deshalb unwahrscheinlich, weil der König – aufgrund seiner bürgerlich-ehrlichen Rechtsauffassung und seiner Verfassungstreue – sehr beliebt war. Dieses „Zepter“ konnte Jean Paul vorbehaltlos anberkennen.

Wieso also „ausgerechnet?“ Was soll der Unsinn? Man muss kein Extremfranke sein, um den polemischen Ton zu vernehmen, der sich hinter dieser lässig-unreflektiert Wertung versteckt, die die Geschichte in Bezug auf Jean Paul schlicht und einfach falsch darstellt (um es zurückhaltend auszudrücken). Wen will man damit erfreuen? Die Franken, die ihre Ressentiments gegen das böse, böse München bestätigt sehen wollen – oder die Touristen, die sich wieder einmal ihren spottenden Reim auf das angeblich so miserable Verhältnis zwischen Franken und dem Rest der bayerischen Welt machen?

Wo wird noch einmal dieser Jean-Paul-Blog, wo wird der Panizza-Blog verwaltet?

Eben.

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[1] Das demnächst, versehen mit einem neuen Vorwort des Logenbloggers, wieder auf den Markt kommt.

[2] Es könnte auch in Bayreuth passieren, wo Hoffmann ein Mal hinreiste, um Jean Paul zu treffen – einmal, nicht öfters.