Info

Acht Mal Ankommen – Texte zum internationalen Meet your neighbours-Kulturfestival: James Tugume

https://www.literaturportal-bayern.de/images/lpbblogs/autorblog/2018/8xAnkommen_James_500.jpg
James Tugume © Verena Kathrein

Auf Betreiben einer Reihe von Münchner Kulturschaffenden werden unter dem Motto Meet your neighbours seit April 2016 einmal im Monat Menschen vorgestellt, die auf der Flucht nach München gekommen sind. Die Reihe ist unter dem Dach des Aktionsbündnisses Wir machen das entstanden. Nun veranstaltet Meet your neighbours ein großes internationales Lese- und Kulturfestival in der Monacensia im Hildebrandhaus – mit Neuankömmlingen in Bayern aus 25 Jahren. Die Autorin Sandra Hoffmann führte mit James Tugume aus Uganda, der für die Zeitschrift NeuLand erstmalig Texte auf Deutsche verfasst hat ein sehr persönliches Gespräche über seine Zeit in Deutschland. James Tugume lebt seit 2014 in München, gemeinsam mit seiner Frau und seiner Tochter. Als Sozialarbeiter ist beim Arbeiter-Samariter-Bund in einer Flüchtlingsunterkunft tätig. Da sein Studienabschluss der Sozial- und Gemeinschaftsentwicklung aus Uganda in Deutschland nicht anerkannt ist, absolviert er derzeit ein Aufbaustudium. Sandra Hoffmann erzählt er, dass er außerdem gern einen Roman schreiben würde.

*

Neuland

Ich bin seit drei Jahren in Deutschland, ich fühle mich frei: ich kann mich mit allen Leuten unterhalten, ich kann meinen Weg finden, wenn ich irgendwo hinwill.

Als ich 8 Jahre alt war, starben meine Eltern. Dann wurde ich in die Hauptstadt (Kampala) von Uganda gebracht, um dort als Hausjunge für jemanden zu arbeiten. Dort blieb ich ein Jahr. Dann lief ich von dort weg, weil ich misshandelt wurde.

Danach lebte ich drei Jahre lang mit anderen Kindern auf der Straße. Die meisten dieser Kinder mussten stehlen für ihr Essen. Aber ich holte immer Wasser mit einem Kanister aus der öffentlichen Quelle und verkaufte es in einem kleinen Markt. Nach 2 Jahren konnte ich für einen Marktverkäufer arbeiten, wo ich sein Obst und Gemüse anpreisen sollte.

In diesen drei Jahren schliefen wir zum Beispiel in unfertigen Häusern oder in Video-Hallen. Wir wussten am Morgen oft nicht, wo wir am Abend schlafen würden.

In dieser ganzen Zeit hatte ich nie das Gefühl, dass mir etwas fehlte oder dass ich Probleme hatte. Ich hatte nie Angst oder gefährliche Situationen. Für mich war das mein normales Leben.

Wenn mich heute Deutsche nach Uganda und den Gefahren dort fragen, dann erzähle ich von Löwen, Schlangen, die in die Augen spucken, Straßendieben, verrücktem Verkehr, Malaria-Mücken, giftigem und verdrecktem Essen und Wasser. Aber als Kind war ich nie krank, ich wusste, wer oder was gefährlich war und hatte nie einen Unfall.

Das erste Mal habe ich Julia in einer Pizzeria in meiner Heimatstadt Fort Portal gesehen. Ich war von einem deutschen Freiwilligen eingeladen worden. Es waren viele Leute da und der Tisch war sehr groß. Ich kam ein bisschen später und es war noch ein Platz frei – genau gegenüber von Julia. Ich kannte sie nicht, aber ich fand es sehr gut gegenüber von einem schönen Mädchen zu sitzen. Wir haben dann den ganzen Abend geredet und so fand ich heraus, dass sie ein Fahrrad braucht, um zur Arbeit zu fahren. Ich habe zu der Zeit mit gebrauchten Fahrrädern gehandelt, sie repariert, verkauft und auch kleine Fahrradtouren für Touristen angeboten. Da habe ich mich natürlich gefreut, ein Geschäft mit Julia zu machen, denn ich habe das Geld gebraucht. Das Fahrrad habe ich zu Julia nach Hause gebracht und ich habe dann im Garten „Kodi, kodi“ (Hallo, hallo in meiner Muttersprache) gerufen, bin aber nicht zur Haustüre hin. Julia hat mir später erzählt, dass sie das sehr beeindruckt hat, weil alle anderen Leute immer sofort an die Haustür geklopft haben oder einfach so ins Haus gekommen sind. Das Fahrrad, was ich Julia dann verkauft habe, war aber für ihre Größe nicht richtig und das konnte man nicht ändern. Sie hat mich dann gefragt, ob sie es tauschen kann und ich habe wie ein Businessman ihren Wunsch erfüllt. Als wir uns dann für die Übergabe des zweiten Fahrrads getroffen haben, haben wir nochmal viel gequatscht und Scherze gemacht. Alle Jungs, die in der Werkstatt waren, fanden Julia sehr hübsch. Ich habe Julia gesagt, sie sollte nie einen Mann ohne Leatherman heiraten und sie fand das lustig. Ich habe da zum ersten Mal gefühlt, dass ich mit dieser schönen Frau zusammen sein möchte. Zum Glück hatte ich einen Leatherman und habe ihn immer noch – genauso wie ich Julia habe.

2014 kam ich das erste Mal nach Deutschland, um Julia zu besuchen. Wir kamen mit dem Auto nach Hause, stiegen aus und gingen ins Haus. Dann merkten wir, dass ich meine Tasche im Auto vergessen hatte. So rannte ich nochmal raus, aber übersah die große Glastür. Das Gute war, die Tür zerbrach nicht. Das Problem war, ich hatte Teile meiner Zähne im Mund, überall war Blut, meine Lippe hatte ein Kilo, und meine Freundin sagte, ich sehe hässlich aus. Ich habe mich so geärgert, dass mir das sofort nach meiner Ankunft passiert ist. Und nie vorher hatte ich einen Unfall!

In Uganda ist es normal, Menschen zu sehen ohne Zähne. Nur in der Stadt kann man für viel Geld zum Zahnarzt gehen. Aber für die allermeisten ist das nicht möglich. In Uganda gibt es keine Krankenversicherung. Entweder man zahlt selber, oder man lebt ohne Zähne oder man betet zu Gott für neue Zähne (was schwierig wird!). Alte Leute haben selten Zähne. Das ist normal in Uganda. Das Schlimmste aber sind schwere Verletzungen oder schlimme Krankheiten, die unversorgt bleiben. In Uganda gibt es zum Beispiel viele schreckliche Verkehrsunfälle, weil viele junge Leute ohne Führerschein und manchmal unter Drogen Auto oder Boda Boda (Taxi-Motorrad) fahren. Entweder sterben die Opfer auf der Straße oder sie haben Glück und werden mit einem Boda Boda oder mit einem „Special Hire“ (Autotaxi) ins Krankenhaus gebracht. Aber die meisten werden dort nicht versorgt, weil sie kein Geld haben. Einen Notarztwagen bekommt man sehr selten und auch nur, wenn man das Benzin vorher zahlt und dann die Fahrer nochmal extra mit Geld oder Tee.

Wegen meinen Erfahrungen aus Uganda war ich sehr traurig, weil ich dachte, meine Zähne sind für immer weg. Erst nach vier Tagen hatte ich einen Termin bei einer Zahnärztin. Ich hatte ein schreckliches Gefühl, weil ich dachte, meine Freundin muss furchtbar viel Geld für meine Zähne zahlen und ich bin jetzt ein schlimmes Problem für die Familie meiner Freundin. Sie erklärte mir, dass ich ja krankenversichert sei und diese Versicherung für mich zahlen würde.

Dann kam der magische Moment: Ich saß wie eine ugandischer Präsident oder ein großer Politiker in Uganda auf einem höhenverstellbaren Sessel, alles war schick und weiß und sauber, zwei Frauen beugten sich über mich, 40 Minuten lang hörte ich die Geräusche der Werkzeuge, Absauger, Luft, Bohrer, und dann gab mir die nette Zahnärztin einen Spiegel: Die Zähne waren wie vorher. Magisch! Ein Wunder! Aber hier war es Realität. Die Zahnärztin lachte, ich ging nach Hause, und da war keine Polizei. In Uganda hätte das
Krankenhaus längst die Polizei gerufen, damit sie ihr Geld bekommen.

In Uganda habe ich ein Bachelor in Sozial- und Gemeinschaftsentwicklung gemacht. Ich habe mit jugendlichen Waisen- und Straßenkindern gearbeitet und auch Teilzeit mit Flüchtlingen. Seit Dezember 2015 arbeite ich in einer Flüchtlingsunterkunft als pädagogische Ergänzungskraft. Es ist anders hier mit Flüchtlingen zu arbeiten als in Uganda, weil das System unterschiedlich ist. Trotzdem macht es Spaß, weil ich gerne mit Menschen arbeite. Leider ist mein Bachelor hier nicht anerkannt und ich muss noch ein Jahr studieren, damit ich als Sozialpädagoge arbeiten kann. Jetzt fange ich mit dem Aufbaustudium an, aber es hat lange gedauert, weil ich die B2-Sprachkenntnisse brauchte und viel Bürokratie erleiden musste.

In den zwei Jahren hier in München hatte ich immer das Gefühl, sehr vorsichtig sein zu müssen, weil es überall gefährlich ist: Elektrische Autos, die ich nicht höre, Fahrräder, die rücksichtslos fahren, aggressive Leute auf der Rolltreppe, die links überholen wollen, überall komplizierte Regulation, die ich nicht immer verstehe.

Aber das Allerschlimmste passierte mir im Januar, eine Woche vor meinem Geburtstag: es war morgens, ich war auf dem Weg zur Arbeit am Odeonsplatz und war spät dran. Die U-Bahn war schon da, und so rannte ich die Treppe runter, um sie noch zu bekommen. Unglücklicherweise fiel mir mein Handy direkt hinter den letzten Wagon in den Gleis-Schacht. Ich wartete, bis die U-Bahn losfuhr. Auf der Anzeige stand, die nächste Bahn kommt in 3 Minuten. Also sprang ich in den Schacht, um das Handy zu holen. Eine Frau schrie: „Raus, raus, raus!!!! Was machst du da? Die U-Bahn kommt, die U-Bahn kommt!“

Ich hatte mein Handy schon in der Hand und wollte wieder nach oben springen, aber es war nicht einfach. Die Frau schrie: „Komm raus, komm raus!“, aber ich konnte nicht alleine raus. Die Frau rannte zu mir, gab mir ihre Hand und half mir raus. Ich spürte schon den kalten Wind der U-Bahn, die gerade kam. Es war in der letzten Sekunde.

Als ich in der U-Bahn saß, klopfte mein Herz und wusste, dass diese Frau mir mein Leben gerettet hatte. Leider konnte ich mich nicht bei ihr bedanken, sie ging einfach weg, irgendwo in die U-Bahn. Sie hat einem Typen aus Uganda das Leben gerettet!

So wie es schwierig ist einen Weg in einem Dschungel zu finden, war es auch am Anfang für mich hier. Zum Beispiel eben mit dem Verkehrssystem. Das war der große Dschungel. Und auch die deutsche Sprache.

Trotzdem fühle ich mich bis jetzt gut hier.

Verwandte Inhalte
Städteporträts
Städteporträts