Info
Geb.: 31. 3.1865 in Wiesbaden
Gest.: 8.12.1942 in München
Namensvarianten: Helga oder Helge Heldt [Pseudonyme]

Helene Raff

Geboren wird Helene Raff 1865 in Wiesbaden als Tochter und einziges Kind des Komponisten Joachim Raff (1822-1882) und der Schauspielerin Doris Genast (1826-1902), eine Tochter des Schauspielers Eduard Genast und seiner Gattin Christine, geb. Böhler. Eduard Genast gehörte noch zu Goethes Schülern.

Helene Raff wächst in Wiesbaden auf, besucht keine Schule, sondern wird von einem Hauslehrer nach einem Lehrplan ihres Vaters unterrichtet, der die damals übliche Bildung „höherer Töchter“ für ungenügend hält. Schon in ihrer Kindheit liest sie viel, denkt sich Geschichten und Märchen aus, die sie selbst auch illustriert. Als ihr Vater 1877 zum Gründungsdirektor des neuen Hoch'schen Konservatoriums für Musik berufen wird, siedelt die Familie nach Frankfurt am Main über. Helene Raff tritt als jüngste Schülerin ins Konservatorium sein, erhält auch Unterricht in Zeichnen, Poetik und Metrik. Ihre Mutter lässt ihr malerisches Talent bei Angilbert Göbel (1821-1882) ausbilden; ihr Vater fördert ihre schriftstellerische Begabung, indem er sie die Texte für seine Kantate Die Tageszeiten (1878) und für den Liederzyklus Blondes de Nesle (1880) schreiben lässt. Unter dem Pseudonym Helge Heldt werden diese veröffentlicht.

Als Joachim Raff 1882 stirbt, zieht Helene Raff mit ihrer Mutter im August 1883 nach München, wo sie bis zu ihrem Tod lebt. Sie wohnt erst in der Augustenstraße 24, in der Rottmannstraße 16 und der Mauerkircherstraße 12. Ausgedehnte Reisen führen sie länger nach Rom, Paris, Südtirol, Weimar, Berlin und Hamburg.

In München lässt sie sich zur Malerin ausbilden, erst bei Heinrich Lossow (1843-1897), dann bei Prof. Claus Meyer (1856-1919) und Paul Höcker (1854-1910). Als Künstlerin debütiert sie 1890 mit dem Gemälde Palmsonntag im Münchner Glaspalast, später wird es durch den Hamburger Kunstverein angekauft. 1891 arbeitet sie in Paris im Atelier von G. Courtois (1852-1923), kehrt dann mit ihrer Mutter wieder nach München zurück. In Ausstellungen im Münchner Glaspalast in den 1890er-Jahren ist sie wiederholt mit Werken vertreten, darunter auch mit Porträts der Schriftstellerin Gabriele Reuter und des Dichters Paul Heyse.

In München verkehrt Helene Raff aber nicht nur in Malerkreisen, sie bewegt sich auch in den Schriftstellerkreisen der Moderne und auch im Haus von Paul Heyse, das damals ein Zentrum der Begegnung großer Persönlichkeiten ist. Eine besondere Beziehung verbindet sie bald mit Henrik Ibsen. Im März 1890 schenkt sie ihm ein Mädchenbildnis, das Ibsen „Kleine Solveig“ nennt, weil es ihn sehr an seine Peer Gynt-Dichtung erinnert. Nach Jahren des Zweifelns an den eigenen malerischen Qualitäten wendet sie sich immer mehr der Schriftstellerei zu und gibt die Malerei schließlich auf.

Der Germanist Karl Weinhold animiert sie dazu, etwas von sich drucken zu lassen, kleine volkskundliche Mitteilungen in der von ihm geleiteten Zeitschrift des Vereins für Volkskunde in Berlin. Da Volkssagen, Legenden und alte Chroniken von je zu ihrer Lieblingslektüre gehören, folgt sie seinem Rat, beginnt Volkssagen und alte Legenden zu sammeln. Auf einem Fest, für das sie ein Festspiel verfasst hat, erfährt Paul Heyse von ihrer Schriftstellerei und wird jetzt zu ihrem wichtigsten Förderer. Anfangs schreibt sie vor allem Verserzählungen, die auf Heyses Vermittlung hin in der Deutschen Rundschau veröffentlicht werden. Auch ihre ersten Novellen und weitere poetische Erstlinge erscheinen hier und in der Deutschen Dichtung. Allmählich rutscht sie von einer Kunst in die andere. „So schwer mein Weg als Malerin gewesen, so schön und verhältnismäßig leicht gestaltete sich der Weg ins Schrifttum“, schreibt sie rückblickend 1938.

Unter dem Eindruck der sozialen Umwälzungen am Ende des 19. Jahrhunderts und deren Auswirkungen auf Frauen engagiert sich Helene Raff aber auch in der bürgerlichen Frauenbewegung. Seit den 1890er-Jahren besucht sie das Haus Emma Merks in der Schönfeldvorstadt, das ein Treffpunkt der bewegten Frauen ist. Dort lernt sie wohl auch Gabriele Reuter kennen, von der sie ein Porträt malt, das 1898 im Glaspalast ausgestellt wird. 1899 tritt sie in den in München gegründeten Verein für Fraueninteressen (1894) ein, das Flaggschiff der bürgerlichen Frauenbewegung in Bayern.

1902 erscheint Helene Raffs erste Sammlung Modellgeschichten für die Süddeutschen Monatshefte. Bald schreibt sie auch für Westermanns Illustrierte Monatshefte, Velhagen und Klasings Monatshefte, für Daheim, Die Musik, Die Literatur und die Tägliche Rundschau. Sie gibt Erzählungen heraus, Sünder und Entsühnte (1907), Naturgewalten (1909), Der Nebelreiter (1912) und historische Romane wie Der Findling vom Arlberg (1913). 1910 veröffentlicht sie auch eine Biografie über Paul Heyse.

1913 tritt sie in den von Emma Haushofer-Merk und Carry Brachvogel in München gegründeten Schriftstellerinnenverein ein. Mit beiden Frauen steht sie zeitlebens in sehr engem freundschaftlichen Verhältnis. Während des Ersten Weltkriegs veröffentlicht sie 1917 eine Sammlung mit Erzählungen Friedenskämpfe. Nach dem Krieg gibt Helene Raff vor allem Orts- und Volkslegenden aus dem süddeutschen Raum und Tirol heraus, darunter Tiroler Legenden (1924), Altbayerische Legenden (1925), Fränkische Legenden (1927); zudem widmet sie sich nun auch der Münchner Heimatpflege, so in ihrem Buch von 1923 So lang der alte Peter. Ein Alt-Münchner Stadtbuch. Von Beginn ihrer schriftstellerischen Tätigkeit an thematisiert Helene Raff in ihren Werken auch immer den Wandel der Rolle der Frau in ihrer Gegenwart, die erst geprägt wird von der Industrialisierung des ausgehenden 19. Jahrhunderts, dann vom Ersten Weltkrieg und schließlich von der wirtschaftlichen Not der Weimarer Republik.

Mit der Biografie ihres Vaters Joachim Raff. Ein Lebensbild legt sie 1925 ein bedeutendes musikhistorisches Dokument vor. Helene Raff ist über ihr Elternhaus mit zahlreichen bedeutenden Musikerinnen und Musikern wie Clara Schumann, Richard Wagner und Franz Liszt bekannt. Den Briefwechsel ihres Vaters mit Franz Liszt hat sie in der Zeitschrift Musik veröffentlicht. Von 1923 bis 1933 leitet sie die Frauenbeilage der Münchner Neuesten Nachrichten.

Ab März 1933 werden die Mitglieder der Chefredaktion und die der Verlagsleitung von Knorr & Hirth, der man u.a. separatistische und monarchistische Bestrebungen nachsagt, von den Nationalsozialisten verhaftet. Der nationalsozialistische Kommissar Leo Hausleiter (1889-1948) entlässt zahlreiche Mitarbeiter der Redaktion, darunter auch Helene Raff, angeblich wegen „unsittlichen Lebenswandels“. Der dagegen protestierende Betriebsratsvorsitzende Dr. Walter Schellhase (1891-?) wird, obwohl NS-treu, am 9. Juni 1933 verhaftet, am 20. Oktober 1933 jedoch wieder entlassen. 1938 kann Helene Raff bei Knorr & Hirth noch ihre Autobiografie publizieren, die allerdings in der Berichterstattung schon 1918 endet.

Helene Raff stirbt unverheiratet und kinderlos am 8. Dezember 1942 in München und wird am 11. Dezember 1942 auf dem Münchner Waldfriedhof bestattet. In einem Nachruf in den Münchner Neuesten Nachrichten wird sie mit den Worten gewürdigt: „Ihr Tod ist ein Verlust für das deutsche Schrifttum. Sie war ein Mensch von echter, alter Kultur, eine Dichterin, in der sich das von den Vätern überkommene geistige Erbe mit der Lebenswärme einer immer gütiger werdenden, immer weiter schauenden Frau vereinigte.“ (Münchner Neueste Nachrichten 1942).

Verfasst von: Monacensia Literaturarchiv und Bibliothek / Dr. Ingvild Richardsen

Sekundärliteratur:

Kannenberg, Simon (2014): Artikel Helene Raff. In: MUGI. Musikvermittlung und Genderforschung: Lexikon und multimediale Präsentationen, hg. von Beatrix Borchard und Nina Noeske, Hochschule für Musik und Theater Hamburg, 2003ff. Stand vom 1.9.2014. 
URL: https://mugi.hfmt-hamburg.de/artikel/Helene_Raff.html, (15.12.2017).

Münchner Neueste Nachrichten (1942): Nr. 344, 10. Dezember, S. 2.

Reiser, Rudolf (1978): Alte Häuser-Große Namen. München, S. 54 u. 231f.

Verein für Fraueninteressen (1897): 3. Jahresbericht. München.

Quellen:

Helene Raff: Selbstbiographie (1913). In: Zils, Wilhelm (Hg.): Geistiges und künstlerisches München in Selbstbiographien, S. 289f.

Dies.: Blätter vom Lebensbaum. Verlag Knorr & Hirth, München 1938.


Externe Links:

Literatur von Helene Raff im BVB

Literatur über Helene Raff im BVB

Helene Raff in der Deutschen Biographie

Helene Raff in der Wikipedia