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09.11.2022, 09:45 Uhr
Kunstministerium
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© Gerald Quin

Förderstipendium Neustart-Paket Freie Kunst an Leo Hoffmann

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Gruppenfoto der Stipendiat*innen und Stipendiaten mit Kunstminister Markus Blume (8. v. r.) © Wolfgang Maria Weber/StMWK

Lyrik, Comics und Romane: Am 28. September 2022 wurden in der Bayerischen Akademie der Schönen Künste 22 Schriftstellerinnen und Schriftsteller von Kunstminister Markus Blume mit den Förder- und Arbeitsstipendien des Freistaates Bayern ausgezeichnet. Unter den geförderten Publikationsvorhaben finden sich Lyrik-, Erzähl- und Comicbände ebenso wie die Geschichte einer potenziellen Amour fou sowie eine im 19. Jahrhundert angesiedelte gesellschaftskritische „biofiction“. Das Literaturportal Bayern stellt in den kommenden 11 Wochen jeweils zwei der Preisträgerinnen und Preisträger mit einem Porträt und einem Textauszug vor.

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Gabriele Leo Hoffmann, 1964 in Hof a.d. Saale geboren. Studium der Germanistik, Theaterwissenschaften und Politologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München sowie der Washington University in St. Louis. Anschließend Ausbildung zur Dramaturgin. 2004/2005 Weiterbildung zur Drehbuch-Autorin an der ifs-Internationale Filmschule, Köln. Gabriele Leo Hoffmann arbeitet für Museen und in der Öffentlichkeitsarbeit, ist als Regisseurin und Hörfunkautorin tätig und schreibt Kurzgeschichten, Theaterstücke, Erzählungen und Kinder- und Jugendbücher. Für ihr literarisches Schaffen wurde sie bereits mehrfach ausgezeichnet, u.a. mit dem Agatha-Christie-Krimipreis (2008) und dem Preis des Fördervereins für Kinder- und Jugenddramatik (2003). Zuletzt erschien ihr Kinderbuch Das kleine gelbe Haus (Verlag Freies Geistesleben, 2022), das in diesem Jahr für den Korbinian – Paul Maar-Preis für junge Talente nominiert war, der von der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur verliehen wird.

Auszug aus Drunter und Drüber (Kinder- und Jugendbuch-Vorhaben)

Anfänglich waren die beiden stumm. Aneinander geklemmt saßen sie in einer Ecke des Käfigs, den wir aus dem Tierheim ausleihen durften. Wenn Mama oder ich mich näherten, duckten sie sich in die Hocke, zogen aber ihre Körper ganz lang.

„Hätte ich monatelang auf der Shibuya Crossing gezeltet und fände mich plötzlich zu zweit in einer Wohnung wieder, würde mich das auch verstören“, kommentierte Mama, die gerne mal übertreibt: Die Shibuya-Kreuzung liegt in Tokio und hat die belebtesten Zebrastreifen der Welt.

Aus einer Voliere voller Poser und Schreier in eine ruhige Küche zu wechseln, ist vermutlich genauso problematisch, wie aus einem Haus mit Garten, Nachbarshund und Eltern in eine Dachwohnung mit Mama und Balkon, dachte ich mir. Aber ich sagte es nicht.

„Guck mal, sie kneifen die Augen zusammen! Sie haben Angst!“

Ob Mama mit dieser Vermutung Recht hatte? Ich ging in die Hocke und streckte den Oberkörper in die Höhe, wie Percy es machte. Ergebnis: Ich fiel um und rollte über den Küchenboden. Mama kicherte. Percy und Runi trippelten, Flügel an Flügel geklebt, hin und her. Immerhin hatte ich sie in Bewegung gebracht. Entspannt sah trotzdem anders aus, fand ich.

Im Zoohandel hatten wir Kolbenhirse gekauft, angeblich unwiderstehlich für Piepmätze. Unsere zwei ignorierten sie ebenso wie die frischen Salatblätter und Apfelschnitze. War das ein Hungerstreik?

„Vielleicht nervt es, wenn man ständig vier Menschenaugen vor der Latichte hat und zwei Münder in der Sprache des Feindes Beruhigendes vor sich hinmurmeln“, stellte ich in den Raum. Latichte ist eines der Wörter, die Papa aus Berlin mitgebracht hat. Es verschmilzt Laterne mit Licht und bedeutet so viel wie Blickfeld.

Wir ließen die beiden in Ruhe und brachten stattdessen die letzten Umzugskisten in den Keller. Die leeren Pappkartons waren voller Sorge: Würden sie jetzt gefaltet im Dunkel verstauben, womöglich feucht werden, in sich zerfallen und nie, nie wieder etwas so schönes in ihrem Bauch haben wie meine Playmobilpiraten? Ich versicherte ihnen, dass es maximal zwei Monate dauern würde, bis wir sie erneut füllen und in unserem alten Haus wieder auspacken würden. „Alles kommt wieder an seine Stelle“, murmelte ich in mich hinein, „alles wird gut!“ Mann, war ich naiv! Aber damals war ich ja erst viertel nach zwölf.

Ohne gähnende Pappkisten mit offenen Mäulern wirkte unsere Wohnung gleich viel gemütlicher. Gähnende Kisten mit offenen Mäulern ist ein „weißer Schimmel“. Ich lasse ihn trotzdem über diese Seite galoppieren: Umzugskisten sind die unbehaglichste Errungenschaft der Welt.