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Singer-Songwriting (6): Bitterböse Schmählieder und beißende Protestsongs: Sarah Hakenberg

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Foto: Ralf Bauer

1978 in Köln geboren, dann aber in einem Vorort von München aufgewachsen, begann sie schon früh mit ihrer musikalischen Ausbildung, wenn auch zunächst nicht nach eigenen Interesse. Den in den 1980er-Jahren wohl jedem Kind verordneten Blockflötenunterricht tauschte sie bald gegen einen zukunftsträchtigeren Musikunterricht ein, wie sie selber sagt: „Nach einem halben Jahr Blockflöten-Unterricht durfte ich mit fünf Jahren glücklicherweise auf Klavier umschwenken! Auch wenn ich mich in der Pubertät für fast nichts in der Schule interessiert habe – Klavier habe ich fast jeden Tag geübt, zum Teil wie eine Besessene.“

Doch so sehr sie das Klavier liebte, die Liedermacherei kam erst recht spät. Das geschah erst mit ihrem Umzug nach Berlin im Jahr 2005 – direkt nach dem Abschluss des Studiums der Theaterwissenschaften, Philosophie und Neueren deutschen Literatur: „Dafür musste ich erst in Berlin Sebastian Krämer und Bodo Wartke kennenlernen.“ Diese beiden Liedermacher zählt sie auch heute noch als ihre großen Vorbilder auf, auch wenn sie einmal von einem Kritiker als legitime Erbin Georg Kreislers bezeichnet wurde. „Ich wusste tatsächlich gar nicht, wer Georg Kreisler war! Im Anschluss habe ich natürlich jedes Lied und jeden Text von ihm verschlungen. Als ich angefangen habe, eigene Lieder zu schreiben, kannte ich – abgesehen von ein paar bekannten Liedern von Reinhard Mey, Hannes Wader oder Konstantin Wecker – nur Sebastian Krämer und Bodo Wartke. Ich habe einfach darauf losgeschrieben und war selbst immer wieder überrascht, was da aus mir herauskam.“

Und tatsächlich ist der Vergleich mit dem Altmeister des schwarzhumorigen Wienerlieds nicht weit hergeholt. Auch in Sarah Hakenbergs Liedern geht es recht schwarzhumorig zu. Und mit ihren Zeitgenossen geht sie dabei nicht gerade zimperlich um. Gerne werden Liebhaber und Ehemänner mal in den April geschickt oder gleich dorthin, wo der Pfeffer wächst – Opas, Omas und zu lästig gewordene Eltern unverzüglich ins Seniorenheim. Und die Schwerverletzten und Toten, die ihre Songs auf dem Gewissen haben, sind schier unzählig. Nicht umsonst tragen ihre Programme auch so vielsagende Titel wie „Der Fleischhauerball: Bitterböse Lieder und süßsaure Geschichten“ (2011). Auch der Album-Titel Struwwelpeter reloaded (2013) lässt vermuten, dass die Protagonisten in dieser Liedersammlung nichts zu lachen haben, etwa der „dralle Kalle“ oder „Benni, dem Bombenbauer“. Und auch Tieren geht bei Sarah Hakenberg zur Genüge an den Kragen. Etwa bei „Rolf und die Hamster“ oder der Kreisler-Hommage „Hündchenlynchen in München“:

Ja der Flieder floriert und der Fink tiriliert,
Wir gehn Hündchen lynchen in München.
Die Sonne brilliert und ein Kind applaudiert,
Wir gehn Hündchen lynchen in München.
Das Frauchen ist nun voller Trauer, hin ist ihr kleiner Chihuahua.
Ja für hochgezüchtete Hündchen schlägt heut das letzte Stündchen.

(Sarah Hakenberg: Hündchenlynchen in München. Aus: Struwwelpeter Reloaded, 2013)

Auf die Frage, ob sie wirklich so böse sei, antwortet Sarah in einem Interview mit dem Autor dieses Beitrags im November 2023: „Ich habe ziemlich schnell festgestellt, dass sich auf unseren Bühnen schon sehr sehr viele sehr sehr nette junge Frauen tummeln. Ich wollte anders sein. Manche Frauen wurden immerhin als ‚frech‘ bezeichnet, aber auch das war mir noch zu öde. Also habe ich bewusst nach Abgründen in mir gesucht, um darüber Lieder schreiben zu können. Ich war mir sicher, dass auch wir Frauen solche Abgründe haben – wenn wir nur mal danach suchen. Und ja, ich wurde schnell fündig.“

Glücklicherweise präsentiert Sarah Hakenberg in ihrem Lied „Mord in Gedanken“ auch eine eher pazifistische Alternative. Seien es schnarchende Mitschlummerer auf der Berghütte, quatschende Mitreisende in der Bahn, der technohörende Nachbar, der unfähige Friseur oder einfach nur die Panflötenspieler in der Fußgängerzone, Sarah weiß wie man mit ihnen verfahren sollte:

Warum sich ärgern und weinen und zanken?
Oft hilft ein kleiner Mord in Gedanken!
Auf Psychologen können wir nun pfeifen!
Auf auf zum Morden - nur nicht kneifen!
Nicht weiter zögern und hadern und wanken!
Oft hilft ein kleiner Mord in Gedanken!
Nur Mut, das wäre doch gelacht!
Schon ist der Nächste um die Ecke gebracht

(Sarah Hakenberg: Mord in Gedanken. Aus: Nur Mut!, 2017)

Doch ihre Lieder sind nie nur mit schwarzem Humor durchzogene Gewaltphantasien, sondern beinhalten meistens auch eine gesellschaftspolitische Aussage. So nimmt sie sich auf Struwwelpeter reloaded Themen wie Ritalin, falsche Ernährung oder Handy- und Mediensucht an. Spätestens seit Nur Mut! (2017) auch immer häufiger dem erstarkenden Nationalismus und Rechtspopulismus. Sarah Hakenberg selber sagt dazu: „Ich glaube, seit ein paar Jahren ist es unmöglich geworden, unpolitisch sein. Die Politik ragt inzwischen so sehr in unseren Alltag, dass sie uns permanent beschäftigt. Und das, was mich beschäftigt, wird natürlich auch thematisch in meinen Liedern verarbeitet.“

Doch auch wenn die Zeiten düsterer werden, ihren Humor hat Sarah Hakenberg nie verloren, war er doch schon immer auch ein wenig dunkel: „Ich mag es sehr gerne schwarzhumorig, aber ich mag es nicht schwarz. Einfach nur lustig wird schnell langweilig, und bitterböse ohne lustig finde ich zu einfach und uninteressant. Es ist die Mischung, die ein Lied für mich spannend macht.“