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Singer-Songwriting (7): Der Reggae-Punk der bayerischen Liedermacherszene: Hans Söllner

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Er erscheint auf dem ersten Blick wie DER typische Liedermacher: Ein Mann, eine Gitarre, eine Aussage. Höchstmögliche persönliche Identifikation von Autor mit seinem Text. Politische Statements. Kurzum: Protestsongs vom reinsten!

Und was die „Identifikation mit dem arbeitenden Volk“ angeht, wie einst von Wolf Biermann gefordert, so ist die Form seiner Texte und das Gros seiner Inhalte wie geschaffen dafür: Eine so unverblümte Direktheit findet sich wohl bei keinem anderen bayerischen Liedermacher; er steht hier ganz in der Tradition der Stanzl- und Folksänger. Und so ist er beim Volk auch beliebt – so wie seine politischen Aktionen, etwa sein mehrtägiger Sitzstreik 2010 in Bad Reichenhall, bei dem er für den Bau eines Familienbades auf dem Grund der 2006 eingestürzten Eishalle demonstriert. Polizei und Obrigkeit jedoch sind von ihm nicht so begeistert und somit hat er mit ihnen auch ein Leben lang Probleme.

Dabei fing alles doch fast an wie ein Märchen: Am Weihnachtsabend, dem 24. Dezember 1955 kommt er im idyllischen Bad Reichenhall zur Welt: am Fuße des Untersberg, einem der sagenumwobenen Berge der Alpen, den der Dalai Lama sogar als das „Herz-Chakra Europas“ bezeichnet. Allein, Söllner war keine glückliche Kindheit gegeben: Seine Eltern waren nicht reich, sein Vater, der auswärts arbeitete, verbrachte seine Wochenenden oft im Wirtshaus. Schon früh macht ihn seine Unangepasstheit zum Außenseiter: Mit 14 Jahren muss er wegen seiner langen Haare den Trachtenverein verlassen, Freunde kann er ohnehin nicht mit nach Hause nehmen. Nach der Hauptschule macht er eine Ausbildung zum Koch, danach zum KFZ-Mechaniker. Als er Ende der 1970er-Jahre einen Auftritt des Zither-Manä sieht, sagt er sich: Das kann ich auch! 1979 hat er seinen ersten Auftritt auf der Bühne Robinson. Und tatsächlich: Der spätberufene Liedermacher kommt mit seinen direkten Liedern so gut an, dass er bald damit deutlich mehr verdient, als er sich als KFZ-Mechaniker nur hätte erträumen können.

Die logische Schlussfolge von ausverkauften Konzerten kommt 1983: Eine Plattenaufnahme, ebenso wie die meisten seiner Platten, als Live-Mitschnitt: „Endlich eine Arbeit“.

Stilistisch hier noch recht klassisch vom bayerischen Folklied beeinflusst, hat er 1986 ein Erlebnis mit einem nicht zu unterschätzenden Einfluss auf sein Schaffen: sein erster Jamaika-Urlaub. Die Beschäftigung mit dem Reggae wirkt sich sowohl musikalisch als auch textlich aus; besonders deutlich bei der Verquickung von Sprache und Musik durch repetitive und rhythmische Elemente:

Is as jetzt deins oda is des, des von mir, geh weida
oda is jetzt dos seins, oda g'heat des ihr
Gib ma doch a bissl, ja gib ma doch a bissl
Ja gib ma doch a bissl wos her, mensch, gib ma doch a bissl
Ja gib holt amol a bissl, gib holt a bissl wos her.
Is des des von ea'm, oda is des des von ihr, oda is des des von trend
Oda von da ren't, oda von drob'n, oda viellecht des von drun't.

(Hans Söllner: A jeda. Aus: A Jeda, 1997)

Künstlerisch zeigt sich dies neben den neuen Stilelementen auch in der Gründung einer bayerischen Reggaeband, deren erstes Album Bayerman Vibration von 1990 Söllner einen riesigen Erfolg beschert und ihm nun die Tore zu Reggae-Festivals wie dem Chiemsee Reggae-Summer-Festvial aufschließt.

Und auch ein neues Lieblingsthema – das ihm ab nun zur Zielscheibe von Politik und Polizei macht – schält sich seit der Jamaika-Erfahrung heraus: die Legalisierung von Cannabis.

Tatsächlich findet sich allerdings bereits auf seiner ersten Veröffentlichung wohl Söllners bekanntestes Lied zu dem Thema – ganz in der Tradition von Hannes Waders „Kokain“ verarbeitet er hier die Alkoholsucht des Vaters und bietet „Alternativen“ an:

„Mei Vodda“:

Mei Vodda hot an Marihuanabam,
seitdem is der Typ wieder völlig normal.
Mei Vodda raucht jeden Tog an Eimer voll Shit.
Und I ois braver Bua, I rauch natürlich mit.

(Aus: Endlich eine Arbeit, 1983)

Während auf dieser ersten und den folgenden Platten noch viel Humor und auch immer Selbstironie zu finden sind („'S Liad von der Energie“, „'S Schwabingliad“, „Sakrament warum steig agrat i in Hundsdreck eini Blues“. Aus: Endlich eine Arbeit, 1983), so tendieren seine Texte mit zunehmender Auseinandersetzung mit Anwälten und Polizei immer mehr zum Deklamatorischen.

Angriffspunkte sind neben ganz konkreten Personen – gerne Minister wie Franz Josef Strauß, Peter Gauweiler, Heiner Geißler oder Friedrich Zimmermann – auch immer wieder allgemein „die da Oben“:

geh weida herr minister, brauchst di'nit genier'n
tu'ast uns nur kräftig abkassier'n
zohl du nit deine mörder von unsa'm geld
es kost'jo nit de wöid

(Hans Söllner: Geh Weida. Aus: A Jeda, 1997)

Zentrales Staatsorgan von Söllners Unmut: die Polizei. Ihr widmet er einen Großteil seines künstlerischen Schaffens. Sei es der Politesse, die ihm einen Strafzettel verpasst („Mama ziag die Schürz'n aus.“ Aus: Endlich eine Arbeit, 1983) oder dem verscharrten Polizisten im Vorgarten („Mi schatt da Sheriff.“ Aus: A jeda, 1997).

Oder – ganz allgemein gefasst – beinahe in der wiederkehrenden meditativen Repetition eines Rosenkranzes, auf eine Länge von sage und schreibe sieben Minuten gezogen:

Du bist koana von uns, koana von uns
Du werst nie'a oana, nie'a oana, nie'a oana sei'
Oana von uns, oarbeit' a nie
Oarbeit' a nie, oarbeit' a nie für die polizei
Oarbeit' a nie, für die polizei
Des sog i da glei, oarbeit' a nie, für die polizei
Des sog i da glei, oarbeit' a nie für die polizei.

(Hans Söllner: Koana von uns. Aus: A Jeda, 1997)

Höhepunkt der Eskalation zwischen Söllner und der Polizei ist die Leibesvisitation nach einem Konzert im Allgäu 1996, wo er erfolglos nach Drogen durchsucht wird. Das als Antwort auf diesen Vorfall geschriebene Lied „Nennen wir sie Irmgard“ (aus: 241255), das er gleich beim nächsten Konzert zum Besten gibt, bringt ihm viele Jahre Strafanzeigen ein, bis er es endlich – seinem Konto und seiner Familie zu Liebe – kurz vor dem finanziellen Ruin in der Schublade verschwinden lässt. Das Feindbildtrio Legislative-Judikative-Exekutive jedoch wird durch diese Erfahrungen nur verstärkt.

Auch viele nachdenkliche und romantische Lieder finden sich im Repertoire des „bayerischen Rastas“ aus Reichenhall: Sei es aus reiner Zukunftsangst („Manchmoi wenn i aufwach“. Aus: Endlich eine Arbeit, 1983), Lieder gegen Prostitution, Heroin und den Paragraphen 218 („Er war aus Landshut“. Aus: ...der Charlie, 1992), oder gegen Ausländerfeindlichkeit („Die Jenny hot an Job kriagt“. Aus: Hey Staat!, 1997).

Mit seiner zweiten Reggae-Band, Bayaman'Sissdem, bringt Söllner sogar hoffnungsvolle, nahezu versöhnliche Lieder zu Gehör. Wie bei „Do hob I's troffa“ (aus: Oiwei I, 2004) – über die erste Liebe und den ersten Kuss.

Oder auch das Lied „Josefina Marie“ für seine Tochter:

Josefina Marie
Bleib no a bissl in meim Kopf, lass mi traama von Dir,
Josefina Marie.
Josefina Marie
Los mi die Mystik vasteh, die do wochst mit Deim Lebn,
Josefina Marie.
Josefina Marie
Loch Du ned über mi, Loch mi O und ned aus,
Josefina Marie
Josefina Marie.
Loch ned über mei Lebn, sonst locht as Lebn über di,
Josefina Marie.

(Hans Söllner: Josefina Marie. Aus: Oiwei I, 2004)

Der „Punk der Liedermacherszene“ ist also nicht immer nur „dagegen“.

Zum Jahreswechsel 2013/2014 setzt Söllner sogar in Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister seiner Heimatgemeinde Ainring das Projekt einer öffentlichen Feuerstelle als Treffpunkt für die Gemeinde um. Seine Kandidatur zum Oberbürgermeister von Bad Reichenhall jedoch blieb bislang erfolglos.