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04.04.2022, 10:27 Uhr
Slata Roschal
Text & Debatte

Ein Auszug aus dem aktuellen Roman von Slata Roschal

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© homunculus verlag / Florian L. Arnold

Slata Roschal (*1992 in St. Petersburg) ist Lyrikerin und Literaturwissenschaftlerin und lebt in München. Auf Veröffentlichungen in Literaturzeitschriften wurde sie 2018 mit dem Jury- sowie dem Publikumspreis beim Literaturpreis Mecklenburg-Vorpommern ausgezeichnet. 2021 veröffentlichte Slata Roschal ihren zweiten Gedichtband Wir tauschen Ansichten und Ängste wie weiche warme Tiere aus bei hochroth München. Der Band war einer von 10 Titeln von Bayerns besten Independent Büchern 2021Im Herbst desselben Jahres bekam sie das Aufenthaltsstipendium des Adalbert-Stifter-Vereins in Oberplan/Horní Planá sowie das Arbeitsstipendium des Freistaats Bayern „Junge Kunst und neue Wege“. 2022 erhielt sie ein Aufenthaltsstipendium am Literarischen Colloquium Berlin. 

In ihrem aktuellen Debütroman 153 Formen des Nichtseins (homunculus verlag) erzählt Slata Roschal „von einer Jugend zwischen den Kulturen, Sprachen, Religionen, von Klischees und Konflikten, Ängsten und Aufbruch“, so Antje Weber in der SZ. Die Ich-Erzählerin balanciert dabei unter anderem „zwischen zwei Formen des Nichtseins, des Russischseins und des Deutschseins“. Der folgende Auszug wird mit freundlicher Genehmigung der Autorin und des Verlags abgedruckt.

*

153 Formen des Nichtseins


(Romanauszug)

 

1.

Eine alte Frau mit blondierten Haaren und pink geschminkten Lippen steht vor dem Obststand im Einkaufscenter. Sie betastet die vor ihr liegenden Melonen und fragt die Verkäuferin:

Cколько стоят дыни?

Die Verkäuferin bemerkt nicht, dass die Frage an sie gerichtet ist.

Die alte Frau wiederholt langsamer: Skol’ko stojat dyni?

Die Verkäuferin sortiert weiter Zitronen.

Die alte Frau spricht noch langsamer und deutlicher: Skol’-ko sto-jat dy-ni?

Als sie keine Antwort bekommt, lässt sie die Melonen sein und geht weiter.


2.

Ich war achtzehn, er war vierzig. Er war zur Hälfte Russe, zur Hälfte Armenier, und mochte es nicht, darüber zu reden. Trotz seines starken Akzents sprach er gern Deutsch, er nannte sich nicht Georgij, sondern Georg. Wenn ich Armenisch brauchen würde, dann würde ich auch Armenisch sprechen, sagte er. Er war ein richtiger Mann, stark, potent, mit allen dazugehörigen Attributen, einem großen Mercedes und einer behaarten tätowierten Brust. Er roch nach Leder, Zigaretten und Parfüm, trug massivgoldene Ringe und er wusste genau, worin sich Frauen und Männer voneinander unterschieden. Ich stellte ihm selten Fragen, aber er wusste viel über mich, ich hatte ja auch nichts zu verbergen. Warum bist du nicht zu Hause um diese Zeit, fragte er am Telefon, und glaubte mir nicht, dass ich samstags immer Oma und Opa besuchte. Bist du eine Nutte, fragte er, als ich mit einer grellroten Handtasche auf einem Parkplatz auf ihn wartete. Einmal zog ich mir ein neues Kleid an, um darin eine Stunde lang in seinem Auto zu sitzen, er lobte das Kleid, verlangte dann aber, dass ich mir nächstes Mal etwas Einfacheres anziehen solle. Wir trafen uns im Hotel, im Auto, im Park, und ich verlangte nichts von ihm dafür, also war ich keine Nutte. Er verlangte von mir, kein Parfüm zu benutzen und bei unseren Treffen genau seinen Anweisungen zu folgen, Zeit und Ort bestimmte er. Irgendwann erklärte er, dass er mit einer Frau zusammenwohne und ein kleines Kind mit ihr habe. Eine Frau müsse den häuslichen Herd hüten, sich nicht so stark schminken wie ich, erklärte er mir in einem Café, so sei er erzogen worden, obwohl heutzutage ja alles anders sei. Er war es auch, der mich zum ersten Mal in meinem beginnenden Leben als devuška bezeichnete, etwa „junge Frau“, ein gebräuchliches Wort, das mich definierte. Nein, sagte ich, Ich bin keine devuška, in erster Linie bin ich ein Mensch, in erster Linie sind wir beide zwei Menschen.

Du als Frau, sagte er auch.

Ich bin keine Frau, sagte ich, Ich bin keine Frau.

Was bist du denn, sagte er lächelnd, Bist du etwa ein Mann.

Nein, sagte ich, Ich bin kein Mann, aber auch keine Frau.

Georgij wollte so sehr Mann sein, dass ich nicht mehr weiß, wie er als Mensch war. Wenn er im Hotel getrunken hatte, weinte er und sprach in lauter Aphorismen. Ist das Leben gut, wollte er nach der zweiten Flasche plötzlich wissen, presste sein Gesicht an meines, ich bejahte, er warf sich begeistert zurück, und ich betrachtete eine Tätowierung in Form von chinesischen Schriftzeichen auf seiner Schulter.

Mir standen in seinen Augen nur zwei Wege offen, Mutter und Ehefrau zu werden oder Nutte. Wenn ich mich schön machte, und damals fand ich riesige schwarze Augen schön, gefiel ich ihm nicht, und manchmal hatte er keine Lust darauf, mit mir zu schlafen, weil ich nicht auf seine Ratschläge hörte, und ich musste beschämt wieder nach Hause gehen.

Die Dinge, über die wir uns unterhielten, bargen so viele Definitionen in sich, dass sie zu einem Rahmen wurden, den ich nicht übertreten durfte. Wagte ich einen zu großen Schritt, hieß es: Ich sei keine Frau. Keine richtige Frau. Oder doch eben Frau. Typisch Frau. Oder keine richtige Frau, aber zum Mann würde ich es nicht bringen. Sobald ich etwas tat, das ihm nicht gefiel, machte ich als Frau etwas, das jedem Mann an seiner Stelle nicht gefallen würde. Nicht einmal als Frau, sondern als devuška, ewiges Mädchen, Halb-Frau. Ich wusste, dass ich äußerlich eine seltsame Figur abgab, mich schwankend auf hohen Absätzen fortbewegte, und doch naiv und unschuldig war, auf jemanden wartete, der mich wie Dornröschen aus einem peinlichen Traum erlösen würde, peinlich deswegen, weil die Scham für meine willenlose Sprachlosigkeit wuchs. Aber er war der Erste, der meinen damals unbeholfenen, dünnen Körper als Frau definierte, und ich konnte dieses Wort nicht gänzlich von mir weisen.


3.

Wenn du später selber Kinder hast, verstehst du das.

(internationales Sprichwort)

Meine Familie war ziemlich konservativ, aber auf ihre eigene, originelle Art. Bei uns zu Hause herrschte eine Mischung aus russischer Familientradition, sowjetischer Zensur, religiösem Fanatismus und den individuellen Spezifika meiner Eltern. In der dunklen Perestroika-Zeit, als sie mit zwei kleinen Kindern in einem WG-Zimmer hausten und ums Überleben kämpften, waren sie Zeugen Jehovas geworden und haben nicht mehr von ihrem Glauben abgelassen. Als ich vier Jahre alt war, zogen wir nach Deutschland, ich hatte einen jüdischen Großvater, der bereits in Deutschland war, diesem Großvater durften fünf andere Personen, seine Frau, seine Tochter, sein Schwiegersohn, seine Enkelkinder folgen. Mein Vater arbeitete, meine Mutter machte den Haushalt, aber sie hatte immer das Sagen, und alle Angelegenheiten, die unsere Familie betrafen, wurden von ihr entschieden. Ich mochte es, wenn ich nach der Schule nach Hause kam und Mutter nicht da war, das kam selten vor. Abends guckten wir alte sowjetische Filme, bei neueren Märchenverfilmungen und Familienkomödien durfte die Altersbeschränkung nicht über 6 Jahren liegen. Auf DVD-Hüllen strich meine Mutter mit einem schwarzen Marker alle Titel der Filmsammlungen durch, in denen Unsittlichkeit, Gewalt und Spiritismus vorkamen, diese drei Begriffe waren bei uns eine Art Zauberformel des Bösen. Wenn niemand zu Hause war, schaute ich mir diese Filme heimlich an, die zaghafteste Anspielung auf die menschliche Sexualität faszinierte mich. Das nicht ganz zugeknöpfte Hemd von Sergej Sergeevič wies auf die Schändung der tugendhaften und musikalisch begabten Larisa Dmitrievna hin, aber was genau ereignete sich in der Schiffskajüte zwischen den beiden („Žestokij romans“). Wie hartnäckig versuchte der charmante Geheimrat die puppenartige Nasten’ka zu verführen, während er ihren Vater im Gefängnis hielt, oh hätte er sie doch verführt („O bednom gusare“)! Schließlich zeigte die Kellnerin eines provinziellen Bahnhofrestaurants ‒ endlich ‒ ein wenig Brust, als sie sich hastig mit einem kaukasischen Melonenverkäufer im Zugabteil auszog („Vokzal dlja dvoich“).

Diese 80er-Jahre-Filme waren die Büchse der Pandora, aus der ich etwas über die Welt erfuhr. Wahrscheinlich waren diese Filme damals mit einem ähnlichen Gefühl gedreht worden, mit dem ich sie mir zwanzig Jahre später anschaute ‒ vorsichtig, wenn keiner der Mächtigen hinguckte, mit geheimer Freude und Provokation, aber auch Angst. Schließlich stellte ich die DVD zurück an ihren Platz, schaltete den Fernseher und den DVD-Player aus, entfernte den DVD-Adapter aus dem Fernseher und strich den Teppich glatt.

Obwohl ich schon als Kind sehr kurzsichtig war, trug ich keine Brille, da ich glaubte, sie würde mich noch hässlicher machen. Erst mit sechzehn kaufte ich mir gegen den Willen meiner Mutter Kontaktlinsen und sah die Welt auf einmal scharf.


4.

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5.

Es war ein goldener Ohrring mit einem kleinen Brillanten, irgendwo im Erdgeschoss in der Mensa musste er sein, ich schrieb Anzeigen, klebte sie auf Pinnwände, schrieb in ein studentisches Forum, ging zur Information, ob jemand vielleicht einen goldenen Ohrring, den Brillanten sparte ich aus, die Frau wunderte sich und lächelte und ich schämte mich. Ein anders Mal ein Ring mit einem kleinen, ungemein teuren Rubin (ich hab schon immer gesagt, kauf nichts bei den deutschen Juwelieren, bestell bitte aus dem russischen Katalog, hier, und jetzt hast du es), er war mir zu groß geworden und einfach vom Finger geglitten, irgendwo zwischen dem dritten und vierten Gleis des Ostbahnhofs, in der Nähe des Getränkeautomaten, dort, wo abends Mäuse herausgelaufen kommen, nach Krümeln, vielleicht auch Ringen suchen, sie in ihren Vorratskammern unterhalb des Getränkeautomaten verstecken.


6.

Es gab Luftballons, grüne und rote, als wir am Bahnhof verabschiedet wurden, dann aufklappbare Betten mit dünnen Decken, zwei Tage, drei Nächte, geduldsame Zeit. Man sagte, die belorussische Grenze sei die schlimmste, nachts kamen Männer, fragten nach Pässen, Taschen, Inhalten, leuchteten mit einer Taschenlampe in unsere Gesichter. Es gefiel ihnen nicht, dass in Mutters Pass der Stempel auf dem Foto nicht zu sehen war, als wäre die Fotografie nachträglich reingeklebt worden, mit so einem Pass dürfe sie nicht weiterfahren, wir begannen, die Sachen zu packen, Vater ging mit den Männern in den Flur vor dem Abteil und sagte, dass wir kein Geld hätten, wir müssten dann aussteigen, die Männer berieten sich, dann kam einer und gab uns den Pass zurück und wir fuhren weiter. Wobei, das passierte nicht im ersten Zug, da waren ja gar keine Luftballons, es muss später gewesen sein, bei einer der Fahrten im zitternden Wagon, der Zugbegleiter, provodnik, brachte Tee in dünnen Gläsern in metallischen Haltern, im Flur wurden Bekanntschaften mit den Nachbarn geschlossen.

Ob die Männer den Pass wirklich für gefälscht hielten oder einfach nur nach einem Anlass suchten, ihr Gehalt aufzustocken, ob sie in anderen Abteilen erfolgreicher gewesen sind, jedenfalls sahen wir arm genug aus, um die Grenze zu passieren.