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05.11.2020, 12:30 Uhr
Patricia Blob
Text & Debatte
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Henrik Ibsen und die Frauen. Zum Essay von Gunna Wendt

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(c) Limbus Verlag

Gunna Wendt lebt und arbeitet seit 1981 als freie Autorin, Publizistin und Kuratorin in München. Neben verschiedenen Arbeiten für Theater und Rundfunk veröffentlichte sie mehrere Bücher, darunter vor allem Biographien über weibliche Künstlerinnen, wie z.B. Liesl KarlstadtFranziska zu Reventlow und Erika Mann. 2017 wurde Gunna Wendt für ihre Arbeit mit dem Schwabinger Kunstpreis ausgezeichnet. 2020 erschien ihr jüngstes Werk Henrik Ibsen und die Frauen beim Limbus Verlag.

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Henrik Ibsen zählte bereits zu seinen Lebzeiten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zu den erfolgreichsten Schriftstellern Skandinaviens. Bekannt ist er vor allem für Dramen wie Nora oder ein Puppenheim, Hedda Gabler oder Die Frau vom Meer. Das Besondere an Ibsens Dramen ist, dass sie die Unübersichtlichkeit der modernen Welt thematisieren und dabei oft die Position der Frauen in der patriarchalischen Gesellschaft in den Fokus rücken, wodurch die Dramen an Aktualität bis heute nicht verloren haben. „Wie ist es möglich, dass ein bis zur Verschrobenheit eigensinniger skandinavischer Dramatiker mittleren Alters aus der norwegischen Provinz gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts Werke schafft, die auf einzigartige Weise weibliche Lebenszusammenhänge darstellen und bis heute nicht an Brisanz verloren haben?“ Diese Frage zu Beginn des Essays fasst wohl am besten zusammen, worauf Gunna Wendt versucht, eine Antwort zu geben.

Der Frage nähert sie sich auf biografischem Wege an: Ibsen wächst im Süden Norwegens als Sprössling einer wohlhabenden Familie auf und zeigt schon früh sein literarisches und dramaturgisches Talent. Mit diesem schafft er es trotz einiger Schwierigkeiten zu großem Erfolg, so dass seine Dramen zu seinem 70. Geburtstag europaweit auf den Theaterbühnen zu sehen sind. Elementar für diesen Erfolg waren jedoch die Frauen in Ibsens Leben, die ihn zu Dramen und einzelnen Figuren inspirierten. Der Essay geht auf fast alle der wesentlichen Frauen in seinem Leben ein und erläutert neben deren kurzen Biographien und den individuellen Beziehungen zu Ibsen auch die künstlerische Bedeutung für den Dramatiker und zieht Parallelen zu den einzelnen Werken, Figuren und bekannten Motiven.

Trotz des Fokus' auf den weiblichen Einfluss lässt Gunna Wendt aber weitere wichtige Motive in Ibsens Dramen nicht außer Acht und geht z.B. auf das immer wiederkehrende Vater-Sohn-Motiv ein. So erhält der Leser einen einheitlichen Überblick über Ibsens literarisches Schaffen, was den biografischen Charakter des Essays unterstreicht. Auf der anderen Seite wird Ibsens Leben etwas isoliert von den zeitaktuellen Begebenheiten der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts betrachtet, was aber möglicherweise auch dem Hauptaugenmerk auf Ibsens Literatur geschuldet ist. Denn beispielsweise die norwegische Abhängigkeit von Dänemark hatte einen schweren Stand für die norwegische künstlerische Individualität zur Folge, die Ibsen wohl zusätzlich zum Exil nach Italien und Deutschland führte.

Abschließend wird zudem dargestellt, wie die Dramen von Frauen gelesen und verarbeitet wurden. Dazu nutzt Gunna Wendt geschickt u.a. die Biografien der deutschen Schriftstellerinnen Franziska zu Reventlow und Lou Andreas-Salomé, die bereits Gegenstand früherer Erscheinungen von ihr gewesen sind. Ibsens Dramen bestärken die beiden Frauen in ihrem Kampf gegen die unterlegene Stellung der Frau in Gesellschaft und Ehe. Sie sahen in dessen Werken „ihre eigenen Konflikte dargestellt, und die Forderung nach einem freien, selbstständigen Individuum war auch ihre Maxime.“

Vor allem durch die romanartige Erzählweise mit dem Spielraum für Interpretationen und einer Vielzahl an Anekdoten aus Ibsens Leben wirkt der Essay keineswegs trocken oder faktenlastig. Aufschlussreich sind auch Zeitzeugenberichte über Ibsen selbst, wie die Berichte aus weiblicher Perspektive von Ibsens Schwester Hedvig, die zeitlebens ein enges Verhältnis zu dem Dramatiker pflegte. So ist der Essay nicht nur für Ibsen-Spezialisten, sondern durchaus auch für Personen geeignet, die sich bisher noch nicht näher mit der Biografie oder den Werken Ibsens beschäftigt haben. Denn im Anhang findet sich zusätzlich eine Zusammenstellung der wichtigsten Werke mit kurzen Inhaltsangaben.

Gunna Wendt macht klar: Ibsens Werke polarisieren. Aber findet sie auch eine Antwort, warum gerade Ibsen so außergewöhnliche Dramen verfasst hat? Tatsächlich ja. Entlang der Biografie zeigt sie anschaulich auf, wie Ibsen zu einem anerkannten Dramatiker wurde, wie die Frauen in seinem Leben seine Entwicklung beeinflusst haben und wie die weibliche Welt seine Werke rezipiert hat.