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23.03.2021, 19:40 Uhr
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Literarische Schätze der BSB
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Walter Höllerer © Stefan Huber

Literarische Schätze der Bayerischen Staatsbibliothek (11): Der Nachlass von Walter Höllerer

Walter Höllerer: Trotz allem die schönste Gegend der Welt , S. 1 u. 12 © Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg | Literaturhaus Oberpfalz - Signatur: 03WH/BA/27,3 CC BY-NC-ND 4.0

Regelmäßig stellt die Redaktion des Literaturportals Bayern literarische Schätze aus den Archiven der Bayerischen Staatsbibliothek und ihrer Partnerinstitutionen vor: ausgewählte Höhepunkte, die in ihrer Entstehung, Überlieferung und Wirkung einen Bezug zu Bayern haben und in die Literaturgeschichte eingegangen sind. Spannweite und Vielfalt dieser Literatur aus zwölf Jahrhunderten lassen sich aus digitalisierten Handschriften, Drucken, Manuskripten und Briefen exemplarisch ablesen, die in bavarikon versammelt sind. Wir präsentieren daraus eine Auswahl.

 

Bausteine zu einer Poetik

Seit 2005 befindet sich der Nachlass des Literaturwissenschaftlers und Schriftstellers Walter Höllerer (1922-2003) im Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg. Der Bestand wurde mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) erschlossen und im Kalliope-Portal der Staatsbibliothek Berlin katalogisiert. Die Sammlung, die Höllerers gesamten Arbeits- und Lebensbereich dokumentiert, umfasst rund 250 Aktenordner, 300 Mappen und 825 Audiokassetten. Damit zählt der Nachlass zu den bundesweit bedeutendsten Überlieferungen des Literaturbetriebs nach 1945. Nun enthält auch bavarikon einige Digitalisate des Nachlasses.

Unter diesen befindet sich die Rede Höllerers, die er anlässlich der Eröffnung des von ihm gegründeten Literaturarchivs Sulzbach-Rosenberg am 4. November 1977 in zwei Fassungen anfertigte. Bei der ersten handelt es sich um ein geklebtes Typoskript mit handschriftlichen Ergänzungen, bei der zweiten um die handschriftliche Vorlage. Mit dem Titel Trotz allem die schönste Gegend der Welt berichtet er von einigen seiner eigenen Erlebnisse, die er in der „Gegend zwischen den Mundarten und den Volksarten“ sammelte. Auch seine Kindheitstage werden thematisiert, als er gemeinsam mit seinen Freunden in den Südhang des Annabergs „Heckenburgen“ baute, um sich selbst „das Leben zu erhalten.“ Höllerers Rede zum Widerspruch anlässlich der Herbsttagung der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung in Darmstadt aus dem Jahr 1975 beinhaltet bavarikon ebenso wie die Bayreuther Rede zur Aktualität des Schriftstellers Jean Paul zu dessen 150. Todestag. Zu beiden Reden liegen sowohl die fertigen, maschinell erfassten Fassungen als auch die handschriftlichen Vorlagen vor.

Darüber hinaus finden sich Digitalisate von Vorlesungen, die Höllerer in seiner Zeit als Professor der Literaturwissenschaft an der Technischen Universität Berlin verfasst hat. Die Vorlesungsreihe „Poetik und Literaturgeschichte“ aus dem Wintersemester 1967/68 ist als Transkription auf Grundlage von Tonbandaufzeichnungen vorhanden. Höllerer geht hier u.a. Fragen zur Literatur auf die Spur, wie z.B., ob die Gesellschaftskritik in der Literatur Zukunftschancen hat oder warum aktuell ein Hass auf alle Literatur zu spüren ist. Eine daran anschließende Vorlesung fand u.d.T. Bausteine zu einer Poetik des 20. Jahrhunderts im folgenden Sommersemester statt und umfasste insgesamt acht Sitzungen. Im gleichen Semester fertigte Höllerer auch eine Vorlesung zu Heinrich Heine an, deren vorhandene Transkription wie die vorherigen auf Tonbandaufnahmen basieren. Diese erstreckt sich auf insgesamt elf Sitzungen über Heine und dessen Bedeutung in der revolutionären Bewegung des Jungen Deutschlands.

Bausteine zu einer Poetik des 20. Jahrhunderts. Vorlesung Sommersemester 1967, S. 49 © Literaturarchiv Sulzbach-Rosenberg | Literaturhaus Oberpfalz - Signatur: 03WH/EA/1,1-2,4 CC BY-NC-ND 4.0

Modernisierer und Wegbereiter der Literatur

Walter Friedrich Höllerer wurde 1922 in Sulzbach geboren und war als deutscher Schriftsteller, Literaturkritiker und Literaturwissenschaftler tätig. Nachdem er als Soldat am Zweiten Weltkrieg teilnahm, begann er nach Kriegsende Philosophie, Geschichte, Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft in Erlangen, Göttingen und Heidelberg zu studieren. 1949 promovierte er in Erlangen und war von 1954 bis 1958 Assistent an der Universität in Frankfurt/Main, wo er sich 1953 habilitierte. Seine akademische Laufbahn setzte er anschließend dort als Privatdozent für Deutsche Literaturwissenschaft fort, wo sich ein informeller Kreis von Studenten und Doktoranden um ihn sammelte, die sein Interesse für die Gegenwartsliteratur teilten. 1959 wurde Höllerer an die Technische Universität Berlin berufen. Bis zu seiner Emeritierung 1987 arbeitete er als ordentlicher Professor für Literaturwissenschaft und gründete das Institut für Sprache im technischen Zeitalter.

Neben seiner wissenschaftlichen Arbeit veröffentlichte Höllerer eigene Gedichte und Romane, verfasste Kritiken und Nachworte. Bereits 1952 debütierte er als Lyriker mit dem Gedichtband Der andere Gast. Seine Texte präsentierte er teilweise bei Treffen der Gruppe 47, einem losen Zusammenschluss junger Nachkriegsautor*innen, an denen er auch als Kritiker teilnahm. Dort las er 1959 zum ersten Mal aus seinem Roman Die Elephantenuhr vor, der allerdings erst Jahre später, 1973, erschien. Sein 1978 veröffentlichtes Theaterstück Alle Vögel alle wurde 1982 am Schiller-Theater in Berlin uraufgeführt.

Darüber hinaus war Höllerer als Herausgeber tätig, u.a. der Zeitschriften Akzente und Sprache im technischen Zeitalter, die für die Modernisierung des deutschsprachigen Literaturbetriebs wichtige Beiträge darstellten und leisteten. In den frühen 1960er-Jahren moderierte er Literatursendungen des Senders Freies Berlin. 1963 gründete Höllerer das Literarische Colloquium Berlin, das zum einen als Treffpunkt für Literaten diente, zum anderen als Talent-Schmiede für viele Autorinnen und Autoren wegweisend war.

Durch seine vielfältigen Tätigkeiten im deutschen Literaturbetrieb prägte Walter Höllerer das geistige Leben einer ganzen Epoche entscheidend mit. Dafür wurde er mit zahlreichen Auszeichnungen, wie dem Fontane-Preis der Stadt Berlin (1966), dem Johann-Heinrich-Merk-Preis (1975) sowie einer Mitgliedschaft des deutschen PEN-Zentrums ab 1960 geehrt. Er starb am 20. Mai 2003 in Berlin.

Verfasst von: Bayerische Staatsbibliothek / Patricia Blob & Dr. Peter Czoik

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