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Hans Werner Richter im Januar 1952 (Fotoarchiv Timpe / Bayerische Staatsbibliothek)

Haus am Bannwaldsee: Treffpunkt der Gruppe 47

Am 1. März 1945 erscheint die erste Ausgabe von Der Ruf, der „Zeitung der deutschen Kriegsgefangenen in den USA“. Das Magazin dient der „Reeducation“ der teilweise bereits seit Frühjahr 1943 in den USA inhaftierten Deutschen. Die Redaktion befindet sich im Kriegsgefangenenlager Fort Kearney in Rhode Island, zu den Mitarbeitern gehören Walter Kolbenhoff, Alfred Andersch, Gustav René Hocke und Hans Werner Richter, als Herausgeber fungiert Curt Vinz.

Nach der Rückkehr nach Deutschland gründet Vinz in München die Nymphenburger Verlagsanstalt; ab dem 15. August 1946 erscheint dort Der Ruf mit dem neuen Untertitel „Unabhängige Blätter der jungen Generation“. Herausgeber sind Alfred Andersch und, ab der vierten Ausgabe, Hans Werner Richter. Doch deren politische Einlassungen missfallen der „Information Control Division“ der USA: Im April 1947 wird Der Ruf verboten – und kann schließlich nur wegen der Kündigungen von Andersch und Richter sowie der Einsetzung von Erich Kuby als neuem Herausgeber weiterhin erscheinen.

Hans Werner Richter hat schnell die Gründung einer neuen Zeitschrift im Sinn, die Der Skorpion heißen soll. Zu diesem Zweck lädt er Anfang September 1947 Autoren, Verleger und Kritiker – darunter Kolbenhoff, Wolfgang Bächler, Heinz Friedrich und Wolfdietrich Schnurre – ins Allgäu; dort besitzt die Ethnologin und Schriftstellerin Ilse Schneider-Lengyel ein kleines Haus am nahe dem Forggensee gelegenen Bannwaldsee, das sie für das Treffen zur Verfügung stellt. Sowohl Haus als auch See hat sie von ihren Eltern geerbt. Bei den Einheimischen ist Schneider-Lengyel als die „Hex vom Bannwaldsee“ bekannt, da sie alleine in dem umgebauten Fischerhäuschen lebt und sich überhaupt ganz anders als die Frauen ihrer Generation kleidet und benimmt.

Hans Werner Richter erinnert sich an das Wochenende, an dem vor allem vorgelesen und über die vorgetragenen Texte geredet wird: „So vergehen drei Tage, und vom frühen Vormittag bis zum späten Abend, ja bis in die Nacht hinein, nur unterbrochen von kargen Mahlzeiten, die Ilse Schneider-Lengyel organisiert. Sie fährt auf einem alten Motorrad einen Sack Kartoffeln heran, schwarz in Füssen besorgt, fängt immer wieder Fische aus ihrem See und versucht uns, so gut es in diesen Zeiten geht, zu ernähren.“

Die Zeitschrift Der Skorpion wird nie erscheinen, Richter gelingt zwar die Zusammenstellung einer Nullnummer, jedoch geht diese nicht in Druck. Und dennoch bleibt das Treffen nicht ohne Folgen, tatsächlich gilt dieses Wochenende im September 1947 als erste Zusammenkunft einer der wirkungsmächtigsten Autorenvereinigungen des 20. Jahrhunderts: In dem Haus am Bannwaldsee formiert sich die Gruppe 47.

Ilse Schneider-Lengyel verkauft ihren Besitz in den 1960er-Jahren. Seit 1987 befindet sich auf dem Gelände ein Campingplatz, doch seit 1997 zeugt von der Bedeutung dieses Orts immerhin eine Gedenktafel an dem Haus.

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