Kultur trotz Corona: Ein journalistischer Comic zur Kolonialgeschichte Deutschlands. Von Illi Anna Heger

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© Illi Anna Heger 2020

Hintergründe zum Comic und 'Kultur statt Corona'

Um aktuelle Ereignisse, wie die Bemühungen, die Straßen der sogenannten Kolonialviertel in deutschen Metropolen zu verstehen, ist es wichtig, die deutsche Geschichte zu kennen. Was die koloniale Besetzung Afrikas angeht, war das deutsche Reich federführend und ganz vorn mit dabei. Dieses journalistische Comic von Illi Anna Heger folgt den kolonialen Bestrebungen und wie sie Deutschland geprägt haben bei einem Spaziergang durch die Hererostraße in München. Einer Straße, die 1933 und dann 2007 umbenannt wurde.

Illi Anna Heger macht journalistische, dokumentarische und biographische Comics und lebt in München.

Die aktuelle Corona-Krise war der Anlass, sich an Kultur trotz Corona“ zu beteiligen, einem Projekt des Literaturportals Bayern zur Unterstützung bayerischer Literaturschaffender. Alle bisherigen Beiträge der Reihe finden Sie HIER.

Unter dem visuellen Comic folgen Quellen und Links für weitere Informationen zum Thema sowie eine Transkription des Comics in reinen Text, die für Screenreader geeignet ist.

Visuelle Version des Comics

Visuelles journalistisches Comic namens Herero Ecke Waterbergstraße. Die Transkription des Comics in reinen Text folgt am Ende der Webseite.

Danksagung

Ich möchte mich bei Modupe Laja, Ali Schwarzer und Zara Jakob Pfeiffer für Sensitivity Reading und wertvolle Anmerkungen bedanken.

Transkription – das Comic in reinem Text

Herero Ecke Waterbergstraße

Ich stehe nachdenklich am Anfang der Hererostraße vor einem modernem Einfamilienhaus. Eine von 6100 Münchner Straßen. Was verbindet Deutschland mit den OvaHerero?

1884 lädt Bismarck Vertreter aus Europa und den USA nach Berlin ein. Sie sitzen in einem großen Saal um ihn herum. Der Raum sieht durch gedämpfte Farben nach einer sehr alten Fotografie aus. An der Wand hängt eine große Karte des afrikanischen Kontinents mit hellen Markierungen in einzelnen Küstenregionen. Damals sind einige Küstengebiete von Afrika kolonial besetzt. Sie wollen den Kontinent ganz unter sich aufteilen. Einer der Männer zeigt auf der Karte auf einen unmarkierten Bereich nördlich der Britischen Kapkolonie. Dort liegen 1884 die Gebiete der folgenden Führer der OvaHerero: Manasse Tjisiseta, Kahimemua Nguvauva, Maharero ua Tjamuaha und Kambazembi wa Kangombe.

Vor dem Hintergrund der Hererostraße mit rot gedeckten Häusern und grünen Bäumen spricht Maharero ua Tjamuaha: "Ich, Maharero, protestiere hiermit auf das Ernstlichste gegen alle und jede Erwerbungen von Land und Mineralien." Er ist wie auf einer alten Fotografie in gedämpften Farben dargestellt. Ich stehe etwas an der Seite und höre ihm zu. Ich trage eine grüne Umhängetasche und eine pinke Strickjacke.

In gedämpften Farben stehen fünf junge Frauen vertraut zusammen und reden. Sie tragen knielange Röcke, zwei haben einen Umhang um die Schultern. Alle fünf tragen hohe dreiteilige Hüte auf dem Kopf. Hinter ihnen steht ein Junge inmitten einer Herde Rinder. Einige Tiere drehen die Köpfe zu den Mädchen. Das Wort Herero kommt von Rinderherdenbesitz. Seit Mitte des 19. Jahrhundert gedeihen die Herden und wachsen.

Einer der Lüfterköpfe eines Dampfschiffes schiebt sich vor die Darstellung der OvaHerero und ihrer Rinder. An Deck stehen uniformierte weiße Männer und schauen in die Ferne. Auf Schiffen kommen nicht nur Siedler und Soldaten. 1897 dezimiert die Rinderpest die Herden der OvaHerero. Koloniale Enteignungen bedrohen ihr Überleben.

Ich stehe im hier und jetzt auf der Straße, die Hand entsetzt vor dem Mund. Die toten Rinder scheinen auf der Straße rund um mich herum zu liegen.

Wieder in gedämpften Farben: Zur Jahrhundertwende stehen ein weißer Mann und zwei weiße Frauen vor ihrem Edeka Kolonialwarengeschäft. Sie sind offensichtlich die Besitzer und tragen Anzug und Bluse. Auf einer der Schaufensterscheiben ist die Gründungsjahreszahl des Ladens, 1901, aufgemalt.

Bis 1899 kontrolliert das Kaiserreich seine sechsfache Fläche an Kolonien. Es hat das drittgrößte Kolonialgebiet nach Großbritannien und Frankreich.

1904 lehnen sich die OvaHerero gegen die Fremdherrschaft und Unterdrückung auf.

Der deutsche Kaiser schickt von Trotha hin.

In der heutigen Hererostraße vor einem alten Haus mit geschwungenen Dach sitzen eine Gruppe kolonialer, deutscher Soldaten auf Pferden, in gedämpften Farben. Viel größer davor sitzt Kommandeur von Trotha auf seinem Pferd. Er proklamiert: "Gewalt mit krassem Terrorismus und selbst mit Grausamkeit auszuüben, war und ist meine Politik. Ich vernichte [sie] in Strömen von Blut und Strömen von Geld." Ich stehe daneben mit entsetztem Gesicht und offenem Mund.

Bis 1908 setzt von Trotha seine Pläne mit aller Gewalt um, durch Einkesseln auch von Zivilisten am Waterberg, durch Abriegelung der Wasserstellen der Omaheke Wüste und verdursten lassen und durch Hunger, Zwangsarbeit und medizinische Experimente in Konzentrationslagern.

In der Ferne sind hohe Sanddünen zu sehen und im Vordergrund einzelne knorrige Bäume, weiße Streifen zerteilen das Bild in 7 schmale Streifen.

Von 80 000 Menschen sterben 60 000.

Das ist der erste deutsche Völkermord des 20. Jahrhunderts. Der Blick fällt nochmals auf einen der knorrigen Bäume. Windhuk, Karibib, Omaruru, Haifischinsel und Swakopmund sind 1908 die ersten deutschen Konzentrationslager. Ich stehe vor der Baustelle eines Einfamilienhauses in der Hererostraße. Die rotbrauen Ziegel sind noch nicht verputzt, ein grünes Gerüst ist aufgebaut. Ich starre beklommen vor mich hin.

1933 benennt der Münchner Stadtrat viele Straßen um. Davon sollen 26 Straßen die koloniale Eroberung feiern. Seit Ende des ersten Weltkrieges ist das üblich. Aus einer der Ganghoferstraßen wird die von-Trotha-Straße. Diese wird 2007 zur Hererostraße. Die Waterbergstraße ehrt immer noch den Ort der Einkesselung.

Vor meinem inneren Auge erscheint ein Ausschnitt des Münchner Stadtplans von 1935: die von-Trotha-Straße kreuzt die Waterbergstraße, diese die von-Erckert-Straße, diese die Tangastraße, die Gorch-Fock-Straße, die Niobestraße, die Taku-Fort-Straße, die Samoastraße, die Sansibarstraße, die Windhukerstraße, die Tsingtauer Straße, die Togostraße, die Iltisstraße und so weiter.

Ich stehe Herero Ecke Waterbergstraße und schaue nachdenklich auf das Straßenschild an der Kreuzung.

Sekundärliteratur:

Straßenbenennungen in dem Gebiete der ehemaligen Gemeinde Trudering“, Beschluss des Stadtrates vom 22.6.1933 als Übersicht auf den Seiten von Stadtgeschichte München.

Völkermord in Deutsch-Südwestafrika – Der Kolonialkrieg (1904-1908) in Namibia und seine Folgen“ von Jürgen Zimmerer, Joachim Zeller (Hg.), Ch. Links Verlag Berlin, 2016. Proklamation von Maharero ua Tjamuaha von 1884, S. 24.

Towards Redemption – A socio-political history of the Herero of Namibia between 1890 and 1923“ von Jan-Bart Gewald, Ridderprint, 1996, Gebiete der OvaHerero 1884, S. 27.

Trudering – Waldtrudering – Riem : Münchens ferner Osten“ von Willibald Karl, Buchendorfer Verlag München, 2000. Bebauungsplan von 1935, inneres Vorsatzblatt.

„Südwestafrika unter deutscher Kolonialherrschaft. Der Kampf der Herero und Nama gegen den deutschen Imperialismus (1884-1915)“ von Horst Drechsler, 2. Aufl. Berlin 1984. von Trotha an Leutwein auf S. 156. Zitat vom Deutschen Historischen Museum. [Ohne den Inhalt des Zitats zu verändern, habe ich „die aufständischen Stämme“ mit „sie“ ersetzt, um dieser gewaltvollen Beschreibung der OvaHerero nicht zu mehr Verbreitung zu verhelfen.]

Koloniale Straßennamen in München“ von Zara S. Pfeiffer, Dokumentation des Beschlusses vom Ausländerbeirat der Landeshauptstadt München zur Entkolonialisierung der Münchner Straßennamen, im Auftrag des Ausländerbeirates der Landeshauptstadt München, April 2013.

Kolonialschuld und Entschädigung  Der deutsche Völkermord an den Herero“ von Janntje Böhlke-Itzen, Diplomarbeit, Brandes & Apsel Verlag, 2004.

Externe Links:

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