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09.11.2017, 15:20 Uhr
Gerhard Bauer
Oskar Maria Graf-Reihe
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Prof. Gerhard Bauer

Zum 50. Todesjahr von Oskar Maria Graf (10): eine neue Biografie von Ulrich Dittmann und Waldemar Fromm

Die 128. Ausgabe der Literatur in Bayern (Allitera Verlag, München) widmet ihren Schwerpunkt dem selbsternannten „Provinzschriftsteller“, geschichtenerzählenden Revolutionär und international erfolgreichen Autor Oskar Maria Graf aus Berg am Starnberger See. Die Autorinnen und Autoren beleuchten unterschiedliche Facetten des widersprüchlichen Dichters, dessen Tod im Exil in New York sich 2017 zum 50. Mal jährt. Gerhard Bauer, emeritierter Professor für Neuere Deutsche Literatur, zu dessen Forschungsschwerpunkten die Exilliteratur gehört, bespricht eine neue Graf-Biografie von Ulrich Dittmann und Waldemar Fromm.

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Mit Gespür für Ausnahmesituationen

Von einer zünftigen Biographie erwartet man, dass ihre Verfasser den Lebenslauf ihres Helden von Grund auf überschauen, dass sie mit ihm etwas anfangen können, ihn ins rechte Licht zu rücken verstehen und, wo es not tut, auch für ihn eintreten. Alle diese Desiderate sind hier mustergültig erfüllt. Beide Verfasser sind Germanisten (seit jeher im Dienst der LMU, München), beide mit dem Gegenstand ihrer Darstellung bestens vertraut. Ulrich Dittmann war sogar über 20 Jahre Vorsitzender der Oskar Maria Graf Gesellschaft e. V. und hat zuletzt 13 kleinere, nicht kanonische, aber besonders gewitzte Werke im (Allitera-Verlag) herausgegeben.

Damit wäre die Rezension schon zuende. Wäre es, wenn es sich um die Biographie eines herkömmlichen Könners seiner Kunst handeln würde. Das aber ist Oskar Maria Graf nie gewesen. Über ihn zu schreiben heißt, ein Gespür für Ausnahmesituationen, für Abweichungen vom korrekten Verhalten und korrekten Schreiben (gibt es das?) entwickeln. Zu Hause in Berg unter dem drakonischen Regiment seines ältesten Bruders hielt er es nicht aus, mit 17 floh er nach München. Da musste er sich irgendwie durchschlagen, musste sich auch politisieren (lassen). Am meisten imponierten ihm die Anarchisten. Zum Militär eingezogen im Ersten Weltkrieg, ruhte er nicht, bis er die Diagnose „Idiot“ weg hatte; dadurch kam er frei. Statt sich dann mit aller Energie der so herbeigesehnten Revolution zu widmen, gerade München hätte ihm Gelegenheit geboten, verbrachte er halbe Nächte mit Saufgelagen in der Villa eines reichen holländischen Lebemanns. Und schrieb auch noch darüber: Das wurde sein Signalwerk Wir sind Gefangene. Und verteidigte dann auch noch seine rückhaltlose Darstellung, just in der „Linkskurve“, vor einem Genossen aus Moskau.

Im gleichen Duktus ging es durch die folgenden Lebensstationen, die hier Stufe für Stufe verfolgt werden. „Die Politik“ kam noch hinzu, jetzt als Antifaschismus, s. seinen weltberühmt gewordenen Aufruf „Verbrennt mich!“ zwei Tage nach der faschistischen Bücherverbrennung. Seine Exil-Stationen: Wien, Brünn, New York, von Brünn aus noch mit einem Abstecher nach Moskau. Für sein Schreiben brachte das politische Engagement, obgleich wenig ergiebig und zeitraubend, doch eine Straffung sowie Schärfung. Anton Sittinger nimmt das Sujet des Bolwieser noch einmal auf, versetzt aber den garstigen Helden in die Zeit des heraufziehenden und des sich etablierenden  Faschismus – umso widerwärtiger wird der Patron. Den Mammutroman Das Leben meiner Mutter konnte Graf in einer einmaligen regelrechten Sinekure außerhalb von New York vollenden – bezeichnenderweise als die von ihm wiederbelebte, nach Kräften geförderte German American Writers Association gründlich Schiffbruch erlitten hatte (an der Stalin-Frage). Mit dem Roman einer abgründigen Gelassenheit im Angesicht der Fatalitäten aus Staatlichkeit und NS-Herrschaft, konzentriert um eine Identifikationsfigur, die alles mit sich geschehen lassen muss, Unruhe um einen Friedfertigen, begrüßte Graf das Ende der braunen Diktatu. Und fügte sein Memento hinzu: Vergesst, wenn ihr jetzt wiederaufbaut, die Kräfte des Dorfes nicht!

Was die beiden Autoren (Fromm zeichnet für Grafs Jahre in Berg und München, Dittmann für die gesamte Exilzeit) dem inzwischen bekannten, in ihrer neuen Biographie stark konzentrierten Ablauf dieses Lebens hinzufügen, ergibt sich aus ihrem Metier als Philologen. Sie geben nicht nur, in Grundzügen, die Handlungsverläufe und Ernst oder Komik von gut einem Dutzend Werke an, sondern verzeichnen auch viele der Beigaben, die ein Werk seinerzeit auffällig gemacht hat: Vorwörter, Bilder, Vokabelverzeichnisse des Bayerischen, eingebaute Kommentare, Fragen an die Leser(innen) ... Sie etablieren damit einen Hauch von Kontinuität (auch zwischen Romanen und einzelnen Erzählungen), eine Duftmarke seiner Heimat, gerade wenn der Autor schon eine Weile oder lange von „seiner“ Gegend entfernt war. Und sie fragen, in welche literarische Landschaft hinein die einzelnen Werke publiziert wurden. Was ging voraus, was dominierte, wofür und wogegen sprach Graf sich aus, wie wurde sein Machtwort oder Plädoyer aufgenommen? Wenn einmal ein Werk zunächst auf Englisch erschien: The Life of my Mother, 1940, dann schlagen sie auch die englische Ausgabe auf und konstatieren z. B., dass „gentile cattle-dealers“ die satirische Spitze des Autors gegen die „christlichen Viehhändler“ verfehlt. „Gentile“ heißt eben außer „christlich“ auch „heidnisch“, also jegliche Abweichung vom Judentum. Damit konzentriert es nicht wie die deutsche Wendung auf die christlichen Konkurrenten, die nach der Vertreibung des kulanten „Jud“ den Viehhandel an sich bringen.

Die beigefügten Bilder sind zum größten Teil die bekannten Erinnerungsstücke aus der Graf-Hagiographie, aber auch ein paar neue, überraschende. Von denen hätten einige ein Frage- oder Ausrufungszeichen vertragen. S. 14: Mehr als 50 Schülerinnen und Schüler drängeln sich in sieben Reihen im Eingang ihrer Schule in Aufkirchen.  Wie jung die z. T. waren, wie fern von dem, was sie da drin erwartete!  S. 33: Wie hat Graf es fertig gebracht, dass seine erste und seine zweite Frau (Karoline Bretting / Mirjam Sachs) so friedlich zu seiner Rechten und seiner Linken gingen? Und was verrät die Miene des solchermaßen Umringten oder Eingekesselten? Eine solche gut gemeinte Anregung verdient aber nicht, zu einem Manko des Buches aufgebauscht zu werden. Es bleibt dabei: Do feit si nix!

 

Ulrich Dittmann, Waldemar Fromm: Oskar Maria Graf – Rebellischer Weltbürger, kein bayerischer Nationaldichter. Verlag Friedrich Pustet, Regensburg.

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