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04.04.2024, 20:00 Uhr
Albrecht Bedal
Text & Debatte
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Jahrbuch-Cover 2023 (c) Allitera Verlag

Kurze Biografie der in Vergessenheit geratenen Schriftstellerin Sophie Hoechstetter (1873-1943)

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Sophie Hoechstetter, ca. 1925, Privatarchiv

Am 4. April 1943 starb die aus Pappenheim stammende Schriftstellerin, Dichterin und Malerin Sophie Hoechstetter in der Moosschwaige bei Dachau. Das Jahrbuch 2023 des Fördervereins Freunde der Monacensia e.V. (Allitera) enthält anlässlich ihres 50. Geburtstages einen Beitrag zu ihr, den wir mit freundlicher Genehmigung hier abdrucken.

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Im Jahr 2023 gedenkt die Stadt Pappenheim einer ihrer wichtigen Persönlichkeiten: Die bei unseren Urgroßeltern bekannte und beliebte Schriftstellerin Sophie Hoechstetter wird hier vor 150 Jahren geboren und bleibt Zeit ihres Lebens Pappenheim verbunden, auch wenn ihr Lebensweg sie zwischenzeitlich in die Großstadt Berlin geführt hat.

Am 15. August 1873 kommt sie als jüngstes Kind der Eheleute Christian und Sophie Hoechstetter zur Welt. Ihr Vater leitet in zweiter Generation die Apotheke der kleinen Stadt. Haus und Apotheke existieren heute noch, auch wenn sie den modernen Bedürfnissen angepasst worden sind. Sophie ist das ‚Nesthäkchen‘ unter ihren fünf Geschwistern, wie man damals zu den jüngsten und nachgeborenen Kindern gesagt hat, denn ihr jüngster Bruder ist schon sieben Jahre alt, als Sophie geboren wurde. Offiziell trägt sie den Namen Sophia, gerufen wird sie jedoch Sophie wie ihre Mutter. Diesen Namen verwendet sie auch bei ihren späteren Veröffentlichungen.[1]

Da ihre Familie zu den Honoratioren der kleinen Altmühlstadt gehört, wird ihr eine gute bürgerliche Bildung zuteil. Nach dem obligatorischen Besuch der Volksschule soll das begabte junge Mädchen eine weitere Ausbildung erhalten. Es bietet sich an, sie nach Bayreuth in die Höhere Töchterschule zu schicken, da dort ihre Tante lebt, in deren Familie sie aufgenommen wird. In Bayreuth, aus Pappenheimer Sicht eine ‚richtige‘ Stadt mit vielen kulturellen Angeboten, bekommt Sophie Anregungen vielgestaltiger Art – sowohl in der Schule, in der Familie ihrer Gasteltern als auch bei Theater- und Opernbesuchen. Im April 1890 erhält die 16-Jährige ihr Abschlusszeugnis mit besten Noten. Sprachen, Literatur und Geschichte sind ihre Leidenschaft. Eine anschließende höhere Schulbildung bis zum Abitur und eventuell einem Hochschulstudium war für Frauen regulär erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Bayern möglich. Vermutlich hätten ihre Eltern eine solche Möglichkeit, wenn sie es denn damals schon gegeben hätte, kaum akzeptiert.

Eine junge bürgerliche Frau, so ist es damals üblich, soll keinen Beruf erlernen, sondern in Haushaltsführung Kenntnisse erwerben, um später einem großen Haushalt vorstehen zu können. Bei einem dafür gedachten längeren Aufenthalt bei ihrer Patentante in Ansbach lernt sie die zweite fränkische Residenzstadt kennen und lieben. Ihr Interesse an fränkischer Geschichte wird geweckt, das sie später in zahlreichen Novellen und Romanen verarbeitet. Sophie Hoechstetter beginnt in dieser Zeit zu schreiben und zu malen.

Ob sie sich damals ihr zukünftiges Leben als Ehefrau und Mutter vorstellt, wissen wir nicht. Sie stellt sich jedoch bewusst ihrer Rolle als Frau, die von der Gesellschaft noch nicht als gleichberechtigt anerkannt wird, und wählt ihren eigenen Weg, um unabhängig zu werden – Sophie bleibt unverheiratet und bekommt keine Kinder, gestaltet aber ein eigenes Leben. Ihr wird vermutlich schon früh bewusst, dass sie sich zu Frauen hingezogen fühlt. Das erlebt sie das erste Mal mit großer Leidenschaft, als sie 1893 die gut drei Jahre jüngere Toni Schwabe während eines Kuraufenthaltes kennenlernt. Mit ihr teilt sie das Interesse an Literatur, beide wollen erfolgreiche Schriftstellerinnen werden. Schon in ihrem ersten (und relativ erfolgreichen) Roman nimmt sie sich der Stellung der Frauen in der Gesellschaft an: Goethe als Erzieher, ein Wort an emancipierte Frauen (1896).

1898 zieht Sophie Hoechstetter in das Elternhaus ihrer Freundin und Geliebten in Jena, von der sie sich jedoch nach einigen Jahren ‚schmerzhafter Liebe‘ trennt. Ihre neue intime Freundin wird Maria von Gneisenau. Sie zieht mit ihr im Sommer in ein Haus neben den Dornburger Schlössern oberhalb des Saaletales. Dort existiert ein kleiner Kreis schriftstellernder Frauen, die sich ihren Lebensunterhalt selbst verdienen. Den Winter verbringt sie üblicherweise in Berlin bei ihrer Freundin. Sie lebt nun in einem progressiven künstlerischen Umfeld, gleichzeitig verkehrt sie in höheren Kreisen. Dazu hat sie erste Erfolge mit ihren Romanen und Novellen, die die frühere Welt des Adels nostalgisch beschreiben.[2] Sie kann inzwischen von ihren Druckauflagen gut leben, nachdem sie in den ersten Jahren eine Art Stipendium der Deutschen Schillerstiftung erhalten hat.

Aber die Beziehung zur Gräfin ist nicht von langer Dauer, schon 1909 trennen sie sich. 1911 verfasst sie ihren Roman Passion, der bei dem renommierten S. Fischer Verlag in Berlin erscheint. In den Jahren darauf lernt sie Carola von Crailsheim, eine junge fränkische Literaturstudentin, kennen, die zu ihr nach Dornburg zieht und, mit Unterstützung und Hilfe von Sophie Hoechstetter, ebenfalls zu schreiben beginnt. Beide haben in den 1920er-Jahren mit ihren schriftstellerischen Arbeiten großen Erfolg und können von den Einnahmen gut leben. Auch engagiert sie sich als prominente Vertreterin weiterhin für die Rechte von Frauen und gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften.

Nach den Inflationsjahren kauft sie sich zusammen mit ihrer Lebensgefährtin ein Grundstück in der Nähe der Pappenheimer Burg und lässt ein hübsches Haus in einem großen Garten bauen. Dort leben sie im Sommer, Frühjahr und Herbst verbringen sie weiterhin in Dornburg, im Winter wohnen sie in Carolas Berliner Wohnung. Mit ihrem männlich geprägten Erscheinen verbirgt Sophie Hoechstetter weder dort noch hier ihre Homosexualität und lebt mit ihrer Lebensgefährtin auch im Pappenheimer Haus zusammen. Es ist wohl ihre beste Phase ihres Lebens: Sie ist als Schriftstellerin anerkannt, sogar Rainer Maria Rilke kommt zu Besuch nach Pappenheim und lobt ihre Fränkischen Novellen als „eine vollendete Schöpfung aus dem Geist der Landschaft“[3]. Dazu entstehen drei Hohenzollernromane, die vom Publikum gerne gelesen werden. Zu ihrem 60. Geburtstag im Jahr 1933 erhält sie die Ehrenbürgerrechte ihrer Geburtsstadt.

In Berlin lernen die beiden Frauen um diese Zeit Elly Petersen kennen, die in der Moosschwaige bei Dachau zusammen mit ihrem schwedischen Mann eine Art Künstlerkolonie aufgebaut hat. Sie besuchen ab Mitte der 1930er-Jahre immer häufiger die Moosschwaige und geben ihren Wohnsitz in Berlin auf, später dann auch Dornburg, behalten aber das Haus in Pappenheim für den Sommer. Am 4. April 1943 stirbt Sophie Hoechstetter siebzigjährig in der Moosschwaige in Dachau.

Sophie Hoechstetter ist eine fleißige Schreiberin. Über 50 Bücher sind von ihr veröffentlicht worden, dazu viele Beiträge und Artikel zur Geschichte Frankens. In ihren Romanen bezieht sie sich ganz bewusst nicht auf eigene Beobachtungen und Lebenserfahrungen – sie schöpft ihre Erzählungen aus ihrer reichen Kenntnis der Vergangenheit und Landschaft, aber auch aus ihrer Phantasie, sie besitzt eine unerschöpfliche Vorstellungskraft. Deshalb setzt sie sich nie mit der Zeit, in der sie lebte, auseinander. Sie liebt hingegen die Geschehnisse des 18. und 19. Jahrhunderts, die sie in ihren Figuren zum Leben erweckt. Die großen gesellschaftlichen Veränderungen nach dem Ersten Weltkrieg finden keinen Widerhall in ihrem Werk. Aber sie kann Stimmungen, Landschaften und Gefühle mit ihren eigenen Worten so einfühlsam ausdrücken, dass sie die Leser in Bann schlägt. Heute wirkt ihre Sprache für uns etwas überspannt und schwülstig. Zeitgenossen haben ihre schriftstellerischen Leistungen viel positiver wahrgenommen.

 

[1] Almut Binkert: Sophie Hoechstetter, Leben und Werk 1873–1943. Weißenburg / Bayern 2017. Alle biographischen Angaben und Zitate sind diesem Buch entnommen, das leider derzeit vergriffen ist. Eine Neuauflage ist in Planung.

[2] Ihr erstes Buch 1896 erschien beim Verlag Schupp in München, ihr erster erfolgreicher Roman Passion dann beim S. Fischer Verlag in Berlin. Verschiedene Verlage aus Leipzig, Dresden, Ulm oder Stuttgart veröffentlichten ihre Werke, später dann auch der Eichhorn-Verlag in Dachau.

[3] Binkert 2017, S. 51.