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13.12.2023, 09:28 Uhr
Nicola Bardola
Text & Debatte
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© Hannibal Verlag

Literarisches und Sprachliches bei den Sportfreunden Stiller (6)

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Atomic Orange: eine Lampe im Atomic Café, wo Peter, Flo und Rüde arbeiten und auftreten.

Die Sportfreunde Stiller sind eine der erfolgreichsten Bands Deutschlands. Mit dem Sommermärchen- und Wiesn-Hit ’54, ’74, ’90, 2006 und Songs wie Ein Kompliment faszinieren sie Generationen und sorgen seit bald dreißig Jahren für eine Euphorie, die ihresgleichen sucht. Der Münchner Autor Nicola Bardola spürt in seiner soeben erschienenen Band-Biografie APPLAUS, APPLAUS. SPORT FREUNDE STILLER der Stiller-Story nach. Für das Literaturportal Bayern arbeitet er in einer achtteiligen Serie literarische Bezüge und sprachliche Eigenheiten der Indie-Formation aus Germering bei München heraus.

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Musikkritiker besprechen einzelne Songs der Sportfreunde Stiller manchmal so, als seien sie Spielzüge während eines Matches: „Rocket Radio“ ziele einerseits hoch (mit der Aussage „Melodien vereinen Millionen“), andererseits reduziere der Song die Erwartungen, so als ließen sich die Hörerinnen und Hörer auf eine Radiosendung ein. Zu Beginn wird denn auch am Transistorradio der Sender gesucht. In den Liner Notes wird jeder Song kurz kommentiert: „stell den Sender ein!“ Das Publikum wird angesprochen: „Guten Tag, sehr verehrte Damen und Herren, Sie sollten sich jetzt nicht beschweren. Waren es nicht Sie, die sagten, Sie hätten gern mal was auf die Ohren?“ Und der Frontmann Peter Brugger schlägt vor: „Wie wäre es, wenn Sie sich nur wenige Minuten den Geist durchfluten lassen, sich mit neuen Ideen befassen, die Sie sonst so nicht sehen.“

Die Produktion ist ausgeklügelt. Garage und Punk war in den Anfangstagen. Jetzt ist es perfekt abgemischt inklusive der Background-Stimmen und der zahlreichen im Verlauf des Albums So wie einst Real Madrid eingespielten O-Töne sowie zahlreicher Synthie- und sonstiger Sound-Effekte. Die Hörer werden auch im zweiten Song weiterhin gesiezt, was nach den vorangegangenen Songs auf den beiden EP's merkwürdig wirkt. Früher fühlte sich das Publikum von den Sportis geduzt. Die Live-Atmosphäre entsprach den kleinen Clubs wie dem Knast, wie dem Atomic Café und unzähligen anderen Locations im deutschsprachigen Raum. Und explizit hieß es noch vor zwei Jahren: „Jetzt haben wir’s euch gezeigt …“ Aber hier steuert man nun schon mittelgroße Bühnen und Hallen als Headliner an, gibt sich als futuristisches Reisebüro aus wie in „Einmal Mond und zurück“: „Was hätten Sie denn gern? Verweigert Ihnen Ihr Leben das, wonach Sie suchen? Und wonach Sie wirklich streben, das ist doch gar kein Problem. Wir übernehmen das. Unter Garantie findet sich im Angebot auch was für Sie.“ Sportfreunde Stiller für alle? Später werden sie von einem Journalisten (Duzfreund seit frühen Tagen) gefragt: „Sie werden bis heute in Interviews praktisch immer geduzt. Andere werden ab einem gewissen Alter gesiezt. Warum Sie nicht?“ Peter Brugger: „Das liegt daran, dass wir uns immer mit Vornamen vorstellen. Ich finde Siezen komisch. Florian Weber: „Es klingt so geschäftlich. Ich fühl mich durch das Siezen gleich älter.“ Rüdiger Linhof: „Im Kontext der Musik begegnet man sich eher auf so einer Herzensebene. Wir duzen das Publikum, die Leute duzen uns. Dann in einem offiziellen Gespräch plötzlich ins Sie zu wechseln … eigenartig.“

Anfang April 2014 bespielen die Sportfreunde Stiller an zwei aufeinanderfolgenden Tagen die Olympiahalle. Der Journalist Karl Forster, bislang kein Verehrer der Sportfreunde, berichtet kurz davor in der Süddeutschen Zeitung von seinem Besuch in der Münchner Pfarrei Leiden Christi in Obermenzing und von der Predigt dort von Abt Johannes Eckert. Der Kirchenmann spricht: „Ist meine Hand eine Faust, machst du sie wieder auf und legst die deine in meine. Du flüsterst Sätze mit Bedacht durch all den Lärm, als ob sie mein Sextant und Kompass wär’n.“ Der Abt zitiert damit den Stiller-Hit „Applaus, Applaus“ als Gebet, „als fromme Bitte für ein friedliches Miteinander, für mehr Verständnis unter den Menschen“, so Forster, der dank des Kirchenbesuchs das Trio aus Germering nun schätzen lernt und einen Besuch in der Olympiahalle empfiehlt.

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Nicola Bardola wird 1959 in Zürich geboren, studiert Germanistik und lebt seit über 40 Jahren in und um München. Während seiner Mitarbeit von 1986 bis 1993 in der Internationalen Jugendbibliothek beschäftigt sich Bardola mit Kinder- und Jugendliteratur und setzt sich für Leseförderung ein. Ein weiteres Gebiet, mit dem er sich seit seiner Zeit als Sekretär bei Michael Ende in den 1980er-Jahren beschäftigt, ist die phantastische Literatur. 2009 veröffentlicht er ein Buch über das „Twilight“-Phänomen (Heyne), das in mehrere Sprachen übersetzt wird, und 2012 die Anthologie Utopien (S. Fischer). Bekannt wird er 2005 mit dem Roman Schlemm (A1, Heyne, Piper), der den assistierten Suizid thematisiert. Ferner ist Bardola für seine Biografien über John Lennon und seine Frau Yoko Ono bekannt. Nach Büchern über Elena Ferrante, Ringo Starr, Freddie Mercury und Jack Kerouac widmet er sich zuletzt mit einer Bandbiografie den Sportfreunden Stiller (Hannibal).